„Spasskaja Baschnja“, das Moskauer Militärmusikfestival

Spasskaja Baschnja Totale 

Erste Male: ein Militärmusik-Festival ansehen. Und das in diesen Zeiten, wo der nichtmusikalische Teil des russischen Militärs sich gerne mal in der Ukraine aufhält, natürlich nur auf Eigeninitiative im Urlaub oder weil er sich verlaufen hat. Trotzdem zum Festival gehen, geht das? Es geht.

„Spasskaja Baschnja“ heißt das Festival, nach dem Erlöserturm des Kremls, aber um es ausländischen Gästen leicht zu machen, ist auf der englischen Version der Homepage lieber vom „Kremlin Military Tattoo“ die Rede. Ein „großes ‚Schlachtfeld‘ der Bands aus verschiedenen Ländern“ sei das, ein „Kampf um die Liebe und Bewunderung des Publikums„, ein „gut gestimmtes Instrument des internationalen Kulturaustauschs“.

Antreten zum Austreten - Soldaten in historischen Kostümen kurz vor Beginn.
Antreten zum Austreten – Soldaten in historischen Kostümen kurz vor Beginn.

Im Vorprogramm reiten russische Soldaten Dressur auf Trakehnern, können Kinder unter Anleitung eines Clowns eine Kanone abfeuern, posieren Männer in historischen Uniformen für Fotos. Dann also internationaler Kulturaustausch, will sagen: Russlands Kapellen haben sich Verstärkung geholt. Aus Serbien und Armenien, Italien und der Türkei, aus der Schweiz, Irland und Mexiko. Und dafür, dass im Gastgeberland Militarismus und Uniformen zum Alltag gehören, ist das Ergebnis ungefähr das flauschigste Musikfestival aller Zeiten.

Ja, es gibt Märsche, aber dazwischen „Venus“, „Unchain my Heart“, „You’re in the Army now“ und „Bésame mucho“ – nur eben mit jungen Gardesoldaten, die dazu in Formation ihre Gewehre samt Bajonett jonglieren und Salutschüsse abgeben. Ein Posaunist und ein Saxophonist in Traumschiff-tauglichen Uniformen wetteifern in Bigband-Solos. „Katjuscha“ auf Dudelsäcken gehört zum Programm, auch „Korobeiniki„, die Tetris-Melodie. Eine Frau singt von der Liebe zu Moskau. Männer marschieren in Formationen, mal zackig, mal bilden sie ein warm angestrahltes Herz. Wem das noch nicht genug Flausch ist, der kann beim Bauchladenmann eine rote Fleecedecke gegen die Abendkälte kaufen.

Ein Herz für Militärmusik, gebildet von Militärmusikern
Ein Herz für Militärmusik, gebildet von Militärmusikern

Manchmal erinnert es an Jugend im Rheinland. Daran, mit Klarinette in der klammen Händen einem Sankt Martin hinterherzustolpern und sich zu wünschen, es gäbe Regen, weil dann nur die Blechbläser spielen müssten. An Karnevalszüge, zu denen der Farbe halber Gruppen aus anderen Ländern eingeladen werden. Ans Schützenfest, bei dem diese Kapelle aus Serbien sicher der kleinste Teilnehmer gewesen wäre zwischen all den Sankt Sebastianern und Hubertusschützen. Et Trömmelsche jeht heute Abend in Moskau. Manchmal synkopiert es sogar und alle, die gerade noch auf Eins und Drei geklatscht haben, gucken irritiert.

Wer ein Ohr fürs Zeitgeschehen hat, hält nicht nur beim Rhythmuswelchsel inne. Sondern auch, wenn die lautstark bejubelte Kapelle aus Sewastopol auftritt und eine Frau im blauweißen Kleid den „Sewastopol-Walzer“ von der Liebe der Matrosen singt. Wenn die Schweizer Sappeure mit ihren weißen Schürzen nach Gemetzel aussehen. Wenn „The Final Countdown“ erklingt. Wenn der Moderator jede ausländische Gruppe in der Landessprache verabschiedet: „Danke, Freunde, für einen großartigen Auftritt. Wir sehen uns nächstes Jahr.“

Wenn sie denn nächstes Jahr noch kommen. 2012 war hier die Bundeswehr dabei, kamen Polen und Franzosen. Noch 2013 wurden auf der Veranstalter-Seite explizit die teilnehmenden Nato-Staaten genannt, außerdem liefen Österreicher, Finnen und Briten auf.

Die Kasachen jedenfalls, das steht fest, werden wohl auch 2015 keinen Grund haben, nicht zu kommen. Vielleicht spielt ihre Ehrengarde ja dann noch mal „I Like To Move It“.

Stromschläge, inspiriert von Iwan Petrowitsch Pawlow

german-shepherd-248622_640 

„Pawlow“, klingelt da ein Glöckchen? Der Mann hat Hunden beigebracht, auf Befehl zu sabbern – eine Fähigkeit, von der man annehmen sollte, sie sei nicht besonders stark nachgefragt. Berühmt wurde Iwan Petrowitsch Pawlow trotzdem, denn er hatte mit seinem Versuchsaufbau (Glöckchen + Futter = Hund läuft Wasser im Mund zusammen, ein paar Mal wiederholen und der Sabber tropft auch von der Glocke allein) etwas belegt, was wir heute als klassische Konditionierung kennen. Nobelpreis! Tusch! Glückwunsch!

Maneesh Sethi möchte keinen Nobelpreis, sondern Bares. Per Crowdfunding will er Geld sammeln für ein Armband namens Pavlok, das uns zu sabbernden Hunden machen soll – oder zu braven Frühaufstehern, fleißigen Kirchgängern, ausdauernden Sportlern. Dazu können wir das Armband beauftragen, uns zu überwachen: War ich diesen Monat an mindestens drei Sonntagen in einer Kirche? Zweimal die Woche in der Muckibude? Und wenn der Wecker klingelt, stehe ich wirklich auf? Wenn nein, darf uns das Armband bestrafen – per Stromschlag.

Ja, richtig gelesen: Wer will, kriegt vom Pavlok eine gewischt. Bis die Konditionierung greift, man morgens um sechs aus dem Bett hüpft, Laufschuhe anzieht und zur Kirche joggt. Täglich. Eigentlich dürfte sich der Produktname nicht allein von Iwan Pawlow ableiten, sondern müsste Milgram-Pavlok lauten. Milgravlok.

Trotz des überdrehten Werbevideos und der pixeligen Testimonial-Fotos: Unterm Strich deutet die Unternehmensseite von Pavlok.com darauf hin, dass Sethi diese Idee ernst meint. Wäre es ein Scherz oder gar Satire, ein Experiment mit dem Leidenswillen von Menschen, wäre es sehr subtil. Subtiler als ein Stromschlag. Subtiler als ein sabbernder Hund.

(Foto von cocoparisienne bei Pixabay.)

Chinas Staatsmedien und die Ironie

Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking
Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking

Dass die staatlich kontrollierten Medien in China nicht immer gut darin sind, Ironie zu erkennen, war hier schon mal Thema. Als The People’s Daily eine satirische Lobeshymne auf Kim jong Un für bare Münze nahm und weiter verbreitete, ging ein Lachen um die Welt.

Bisher noch nicht ausreichend gewürdigt wurde dagegen die Rolle derselben Staatsmedien als Ironie-Lieferant. Als Beispiel taugt dafür die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, bei der ich 2012 über das Medienbotschafter-Programm der Bosch-Stiftung ein paar Tage hospitieren durfte. Eigentlich sollte der Zeitraum länger werden, aber es kam ein Parteitag dazwischen, währenddessen viele chinesische Redaktionen lieber keine Gäste im Haus haben wollten.

Der „Stift“, das Xinhua-Redaktionshochhaus
Am Anfang ist die Marschmusik. Quer über den Innenhof des Xinhua-Geländes ist sie bis zur Schranke am Eingang zu hören, dazu eine Lautsprecherstimme: eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Daneben steht aufrecht das Haupthaus, das angeblich an einen Bleistift erinnern soll.

Xinhua ist die große, die einzige und vor allem: die staatliche Nachrichtenagentur in China. Andere Länder haben Sperrfristen, China hat Xinhua. Erst, wenn sie etwas berichtet, ist eine Meldung auf dem Markt – so ist es immer noch oft. Hier wird entschieden, was wahr ist und was öffentlich.

Vom Redaktionsalltag soll nichts Konkretes nach außen dringen, den Zettel muss ich noch vor Praktikumsbeginn unterschreiben. Das ist an sich nicht unüblich, auch in demokratischen Ländern unterschreiben Mitarbeiter solche Klauseln, wenn Firmen ihre Geschäftsgeheimnisse schützen wollen. Hier ist es allerdings doppelt bedeutsam, denn nicht nur Xinhua will sich schützen. Auch das Austauschprogramm beruht auf dieser Vertraulichkeit; wenn ein Medienbotschafter-Jahrgang sie ramponiert, erschwert er dem nächsten die Chance zum Einblick – und brockt den chinesischen Kollegen Ärger ein.

Zur Infrastruktur auf dem Xinhua-Gelände gehören auch Wohnblocks und ein eigenes Hotel.
Um vieles kann es darum in diesem Blogpost nicht gehen. Nicht um die redaktionelle Praxis, die gerade so kurz nach den neuen Beschlüssen des Parteitags interessant war. Nicht um die kritisch-flapsigen Sprüche beim Gang übers Firmengelände, das ein eigener kleiner Kosmos ist, mit Supermarkt, Hotel, Wohnblocks für pensionierte Mitarbeiter, einer Post und dem Souvenir-Shop, in dem der Schnaps der Marke Xinhua leider gerade aus dem Sortiment genommen wurde. Nicht darum, wie man beim Gespräch über den WLAN-Zugang merkt: Ach guck, Nerd ist Nerd, bei uns und bei euch.

Stattdessen eine Beobachtung, für die man nie bei Xinhua gewesen sein muss. Man kann das von außen mitbekommen, wie die Marschmusik, ehe man das Gelände betritt.

Greatfirewallofchina.orgViele Internetseiten, die der Regierung in Peking gefährlich scheinen oder ihr auch nur lästig fallen, sind in China blockiert, gelegentlich kommen neue hinzu. Unter Greatfirewallofchina.org lässt sich das leicht testen: einfach eine URL eingeben und die Seite versucht, sie von China aus aufzurufen. Google? Fail. Twitter? Fail. Facebook? Fail. Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, Wikileaks? Fail, fail, fail.

Und was macht Xinhua? Betreibt einen eigenen Twitter-Account mit derzeit fast 800.000 Followern, mit offiziellem Verifizierungs-Häkchen. Dort posten die Redakteure zum Beispiel Fotos vom aktuellen Militärmanöver. Von einem Schönheitswettbewerb in Peking. Chinas eigenes Computerbetriebssystem soll im Oktober vorgestellt werden. Mehr private Investoren für die chinesische Eisenbahn gesucht. Chinesische Promis machen mit bei der Ice Bucket Challenge. Die Schlagzahl der Tweets ist hoch, oft sind es mehrere pro Stunde.

Technisch ist es kein Problem, trotz geblockter Seite auch von Peking aus zu twittern. Das geht bequem per VPN oder, etwas umständlicher, auch mit einem IFTTT-Recipe nach dem Prinzip „Wenn ich eine Mail von diesem Account an jenen Account schicke, dann poste deren Inhalt auf meinen Twitter-Account.“

Wie gesagt, technisch keine große Nummer. Aber in Sachen Ironie ist eine staatliche Nachrichtenagentur, die jeden Tag ein paar Dutzend Mal die Zensurmaßnahmen ihrer eigenen Regierung umschifft, schon bemerkenswert. Erst recht, wenn sie dabei auch direkt noch auf „China View“, ihren Auftritt bei YouTube hinweist.

Auch YouTube ist in China geblockt.

Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto “Schönes bleibt” nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte.

Completely at Home as a Foreigner

Christopher Isherwood 

And how strange and delightful it was to be sitting here, with Turkish smoke tickling his nostrils and German beer faintly bitter on his tongue, writing a story in the English language about an English family in an English country house! It was most unlikely that any of the people here would be able to understand what he was writing. This gave him a soothing sense of privacy, which the noise of their talk couldn’t seriously disturb; it was on a different wave length. With them around him, it was actually easier to concentrate than when he was by himself. He was alone and yet not alone. He could move in and out of their world at will. He was beginning to realize how completely at home one can be as a foreigner.

(Christopher Isherwood: Christopher and His Kind)

Keine Russland-Witze mehr bei der BBC

Am 22. Juni 1941 beginnt „Unternehmen Barbarossa“, der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion.

Einen Tag später schreibt John Watt, Leiter des Bereichs Unterhaltung bei der BBC, an seinen Vorgesetzten. „Kann ich eine Richtlinie haben zu Russland?“, fragt er. „Nicht politisch, aber ob wir ganz allgemein noch Anspielungen auf Genossen und Witze übers aktuelle Geschehen in Russland machen dürfen?“

Auftauchen würden diese Witze bereits, so Watt, darum brauche er eine Rückmeldung – lieber jetzt als gleich.

BBC – Archive – WWII: The Soviet Union Joins the Allies – Memos Regarding Jokes about Russia

Es dauert einen Tag, bis die Antwort kommt – ein Vermerk in Großbuchstaben, unmissverständlich: ALLE WITZE ÜBER RUSSLAND BIS AUF WEITERES BITTE EINSTELLEN.

BBC – Archive – WWII: The Soviet Union Joins the Allies – Memos Regarding Jokes about Russia

(Gefunden im Archiv der BBC)

Russische und sowjetische Werbeposter aus dem Getty-Archiv

(Ein Werbeplakat für die Versicherungsgesellschaft „Russland“ aus dem Jahr 1903)

Ab und zu muss dieses Blog für Fundstücke aus öffentlich zugänglichen Archiven herhalten. Heute ist wieder so ein Tag, diesmal geht es um Bildmaterial von Getty Images. Seit einiger Zeit dürfen Blogger diese Motive kostenlos verwenden – immer vorausgesetzt, sie betten sie ein.

Das hat für die Nutzer diverse Haken – rechtliche, technische, organisatorische, im Detail hier gut zusammengefasst. Hinzu kommt, was beim Embedden immer gilt, egal ob Getty-Fotos, Youtube-Videos oder Tweets: Wo nur Code statt Foto, da auch kein Vorschaubild. Selbst ein knatschbunter, abwechslungsreicher Post wie dieser hier sieht also auf Facebook nur wie ein schrabbeliger Link aus.

(„Raucht Zigaretten des ukrainischen Tabaktrusts – höchste Qualität!)

Alte Werbeplakate aus Russland und der Sowjetunion gibt es bei Getty Images reichlich. Vermutlich sogar mehr, als ich gefunden habe, denn sie sind eher mittelprächtig verschlagwortet. Vor allem die Zeitangaben sind bei Russland-Motiven oft falsch, gerne mal um ein, zwei Jahrhunderte verrutscht. Irgendwer hat da wohl als Default-Einstellung den 1. Januar 1753 gewählt.

Egal. Die Poster wirken auch so, ob als farbige Zeichnung oder Schwarzweißfotografie. Hier also ein paar Lieblingsmotive aus der Zeit, als es einem noch nicht seltsam vorkam, wenn Syndikate, Trusts und Staatsfirmen Konsumgüter herstellten.

(Werbung für die staatliche Parfum-Marke теже/Tesche)

(„Immer ab Lager lieferbar – verlangen Sie Schuhe vom Allrussischem Ledersyndikat.“)

(20 Zigaretten der Marke „Soldat“ für fünf Kopeken, hergestellt von der Tabakfabrik „Kolobow und Bobrow“ aus Sankt Petersburg)

(„Kauf Kalender von Zentrosojus“)

(Werbung für die Transsib aus dem Jahr 1930)

(„Kauft Hefe“)

(„Kaviar vom Stör – ein körniges, leckeres, nahrhaftes Lebensmittel“)

(Puder, Parfum und Crème der Marke „Weiße Nacht“)

Ein Jahr ohne West-Essen als Facebook-Projekt

Am Tag, als Russland seinen Lebensmittelmarkt abschottete, entschied sich Eva Mala für die Öffentlichkeit. Die 29-jährige Tschechin mit russischen Wurzeln lebt in Moskau, gibt hier Sprachunterricht und betreibt neuerdings eine Facebookseite: 365 Days Of Russian Ban On Food. Ein Jahr lang will sie dort Mahlzeit für Mahlzeit dokumentieren, wie sie sich ernährt – und wie sich die Ernährung im Laufe des Jahres verändert.

„Es gibt auf den diversen Websites so viele Kommentare zu dem Thema, die manchmal gar nicht stimmen, also will ich das korrigieren“, erklärt sie. Den Facebooknutzern wolle sie zeigen, wie es tatsächlich hier aussehe, was wirklich geschehe. „Denn die Menschen im Westen denken, hier gibt es nichts mehr zu essen, und die Russen denken, das Einfuhrverbot ist eine super Sache. Keiner von beiden hat Recht.“

Bisher sind es erst knapp über 100 Facebook-Nutzer, die Eva auf den Teller gucken wollen. Dass die Seite schon bald wachsen wird, liegt nahe – denn die Einblicke in Evas Essens-Alltag sind nicht nur anschaulich, sondern auch gut so getextet, dass der Genussmensch durchkommt.

Nicht jedes Glas Wasser will sie posten, sonst aber alles – auch, wenn es am Wochenende mal zu viel Wein war oder eine ganze Tafel Schokolade nach einem harten Tag. Das ist der Plan.

Schon vor dem Einfuhrverbot sei das russische Essen nicht allzu gut gewesen, findet Eva, die gerne kocht und nach Einschätzung ihres Freundes auch ziemlich gut. „Seit einem Jahr lebe ich jetzt hier, und das Problem waren immer niedrige Qualität und hohe Preise.“ Das selbstgebackene Brot aus russischem Mehl habe nicht richtig geschmeckt, und nun also auch noch das Einfuhrverbot. Seitdem, sagt Eva, sei ihr vor allem eines aufgefallen: die Sache mit dem Käse.

„Ich finde keinen Parmesan, keinen Camembert, keinen guten Blauschimmelkäse.“ Auch manche Obst- und Gemüsesorten seien in Noginsk, wo sie sich derzeit aufhält, schwer zu bekommen. Alles noch keine ernsthaften Probleme, aber das Einfuhrverbot ist ja auch erst ein paar Tage alt. Die Pizza mit sauren Gurken könnte da nur der Anfang sein.

Wie David Sedaris einmal fragte, ob ich mich ausziehen würde

Auf der Liste der Dinge, die ich nicht verstehe, ist eine nicht ausverkaufte Lesung von David Sedaris ziemlich weit oben. „Me Talk Pretty One Day“ war das erste Buch, das ich von ihm gelesen habe. Seitdem dann so gut wie jedes, fast alle mit Hingabe, weil: so klug, so lustig, so lakonisch. Als er letzten Herbst zu einer Lesung nach Köln kam, war das also ein Pflichttermin.

Vor der Lesung hat er schon mal alles an Büchern wegsigniert, was ihm so unterkam. Neben der Schlange stand dabei – vier, fünf Wartende von Sedaris entfernt – eine Frau vom Verlag, fragte die Leute nach ihren Vornamen und schrieb die dann auf ein Post-It. Ergebnis: kein „Neinnein, Reiner mit E!“, keine Extrawartezeit für die dahinter. Clever.

Aus dem Signieren ist auch der Titel von Sedaris‘ aktuellem Buch entstanden. Bei „Fresh Air“ auf NPR hat er erzählt, wie unangenehm es ihm wäre, irgendwelchen Nullachtfünfzehnkram in ein Buch zu schreiben.

Als also nach einer Lesung in den USA eine Frau vor ihm stand und partout für ihre Tochter ein total motivierendes „Explore your possibilities!“ als Widmung wollte, hat Sedaris sich gedrückt, aber höflich das „explore“ behalten und weitergedreht: „Lets explore diabetes with owls“ steht nun in dem Mutter-Tochter-Buch. Und auf dem Cover seiner aktuellen Sammlung an Essays.

Der Mensch vor mir in der Kölner Schlange hatte auch einen Sonderwunsch. Und zwei Post-Its.

„Could you sign these two, please? One is for my friend, Anna.“
„Is she your friend or your girlfriend?“
„Oh no, she’s, uhm, she’s just a friend!“
„Have you seen her naked?“
„No!“
„Well, if you gave her, say, twenty euros, and said ‚Can I please see you naked‘ – do you think she’d do it?“

Gedruckse, Filzstiftgeräusch, nächster bitte.

„Ah, how about you?“
„Huh?“
„If I gave you twenty euros, could I see you naked?“
„Uhm – I think I’d wait for a better offer.“
„That’s probably a good idea.“

Ins Buch hat er mir dann ein eher lahmes „To Katrin, with friendly friendship“ reingeschrieben. Dafür kann ich mit der hypothetischen Frage eines schwulen Humoristen – die ich natürlich als ernstgemeintes Angebot deute – seitdem angeben. Danke dafür.

Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto „Schönes bleibt“ nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte. Danke an Monika für das Foto!

Moskauer Warenkorb, August 2014

Dieser Blogpost ist leider nicht besonders faszinierend, aber nötig als Ausgangspunkt für andere in der Zukunft. Die werden dann auch hoffentlich wieder interessanter, versprochen. Sorry.

Seit dieser Woche gilt also das russische Einfuhrverbot für viele Lebensmittel aus dem Westen. Nach allen Gesetzen von Angebot und Nachfrage müsste das zu steigenden Lebensmittelpreisen führen – erst recht, weil die Entscheidung so abrupt kommt. Die Lücken gibt es ab sofort, wer sie füllt, klärt sich erst nach und nach. Was also wird teurer, was verschwindet vielleicht ganz aus dem Angebot?

Zeit für einen Warenkorb.

Wissenschaftlich ist das hier nicht, die Auswahl eine Mischung aus Nachdenken und Zufall: Es sollten Obst, Gemüse, Milchprodukte und Fleisch dabei sein; russische Produkte und solche, bei denen mir in der Vergangenheit aufgefallen ist, dass sie importiert waren, etwa Holland-Tomaten. Andererseits gab es zum Beispiel Auberginen, die eigentlich in den Korb sollten, gerade schlicht nicht. Das ist halt manchmal so, auch schon vor dem Importverbot.

Herausgekommen ist darum, der Vollständigkeit halber, ein Warenkorb in zwei Hälften*. Die erste Hälfte sind Preise aus einem echten Supermarkt. Perekrjostok (Kreuzung) ist ein mittelguter, mittelteurer Laden; wer Luxusprodukte will, muss zu Asbuka Vkusa gehen oder zur Perekrestok-Edelschwester Seljonyj Perekrjostok. Die Preise sind die unserer Filiale am Kiewer Bahnhof. Dort gab es diese Woche:

    Möhren für 29 Rubel/Kilo
    Tomaten für 39 Rubel/Kilo
    Rote Paprika für 44,50 Rubel/Kilo
    Weißkohl für 10 Rubel/Kilo
    Äpfel für 44,50 Rubel/Kilo
    Birnen für 69 Rubel/Kilo

    Milch (2,5%) für 63,44 Rubel/Liter**
    Naturjoghurt (bio) für 37,6 Rubel/100g
    Butter für 46,50 Rubel/100g
    Brie für 97,50 Rubel/100g
    Parmesan für 159,50 Rubel/100g

    Hähnchenbrust (aus der Fleischtheke) für 185 Rubel/Kilo
    Schweinekotelett (aus der Fleischtheke) für 406 Rubel/Kilo

Der zweite Teil des Korbes ist umfassender und deutlich leichter recherchiert. Aus dem Angebot von Utkonos (Schnabeltier), einem Lebensmittel-Lieferdienst mit halbwegs zivilen Preisen, habe ich für die kommenden Monate diese Lebensmittel gebookmarkt, auch hier sind die Preise aus dieser Woche.

Kartoffeln für 28 Rubel/Kilo
Zwiebeln für 34 Rubel/Kilo
Gurken für 109 Rubel/Kilo
Zucchini (hellgrüne, nicht die dunklen, die wir in Deutschland kennen) für 26 Rubel/Kilo
Auberginen für 145 Rubel/Kilo
Rote Bete für 17 Rubel/Kilo
Eisbergsalat für 75 Rubel/Stück
Kohlrabi für 85 Rubel/Kilo

Nektarinen für 117 Rubel/Kilo
Zitronen für 139 Rubel/Kilo
Papaya für 415 Rubel/Kilo
Mango für 330 Rubel/Kilo
Bananen für 47 Rubel/Kilo
Orangen für 85 Rubel/Kilo
Grapefruit für 82 Rubel/Kilo
Kiwi für 229 Rubel/Kilo

Milch für 66,10 Rubel/Liter
Butter für 49,88 Rubel/100 g

Graubrot, geschnitten, für 76,56/Kilo
Toastbrot für 79,80 Rubel/Kilo

Rinderhack für 412 Rubel/Kilo
Ganzes Hähnchen für 150 Rubel/Kilo
Durchwachsener Speck für 650 Rubel/Kilo

Kabeljau (TK) für 228 Rubel/Kilo
Lachssteak (TK) für 576 Rubel/Kilo

Damit ist der langweilige Blogpost auch schon vorbei. Mehr dann im September, wenn es was zu vergleichen gibt. Und für alle, die bis hierher durchgehalten haben: ein Bild vom einem Schnabeltier, dem Namenspatron des Lieferdienstes.

* Im Supermarkt, wo man leicht den Blick schweifen lassen kann, gilt immer der Preis für die billigsten Äpfel, den billigsten Liter Milch. Bei Lieferservice mit seinem Riesenangebot, das man tatsächlich nicht nach Kilopreis sortieren kann, ist es jeweils ein Produkt von einer Marke, also zB immer die 1,5%-Milch von „Häuschen auf dem Lande“.

**Krumme Preise wie dieser liegen meist daran, dass hier viel mit Packungsgrößen getrickst wird. Bei der Milch zum Beispiel waren es im Original 59 Rubel für eine 930-Milliliter-Flasche.