Überbrückungshilfe bis zur nächsten Sherlock-Staffel

Die Sherlock-Macher spielen gelegentlich auch selbt mit Fanfiction-Ideen und liefern Futter für Sheriarty-Anhänger...
Die Sherlock-Macher spielen auch selber mit Fanfiction-Ideen und liefern Futter für Sheriarty-Anhänger…
Pfingsten ist vorbei, die vorerst letzten „Sherlock“-Folgen im deutschen Fernsehen sind gelaufen. Nun also ein, zwei Jahre warten auf die neue Staffel, mal sehen, und dazwischen Andeutungen, Gerüchte und gelegentliche Fotos vom Dreh. Was tun, bis dahin?

Bei Archiveofourown.org gibt es aktuell mehr als 55.000 von Fans ausgedachte Geschichten rund um den Fernseh-Sherlock; hinzu kommen noch diejenigen, die auf den Büchern von Sir Arthur Conan Doyle und den Kinofilmen basieren. Auch Fanfiction.net und Livejournal bieten einiges an Sherlock-Kreativität, bloß weniger übersichtlich und oft ziemlich gruselig formatiert.

Fanfiction, das hat mit dem Original im schlimmsten Fall so viel zu tun wie der letzte Rest Billig-Erdbeershampoo mit einer frisch gepflückten, sonnenwarmen Erdbeere. Einerseits.

Sherlolly
…und Sherlolly-Shipper.
Andererseits findet, wer klug sucht, auch Geschichten, die den richtigen Ton treffen, die Figuren nicht verbiegen, sondern plausibel weiterentwickeln. Stories, die ihre Tausende von treuen Lesern verdienen. Wonach also suchen?

Wer den Detektiv-Aspekt schätzt, findet mit dem Schlagwort casefic Geschichten, in denen Sherlock neue Fälle lösen muss. Auch bestimmte Figurenkonstellationen haben ihr Kürzel, wobei es da meist um Liebe und/oder Sex geht: Allen voran Johnlock (John Watson und Sherlock), aber auch Sherlolly (Sherlock und Molly), Sheriarty (Sherlock und Moriarty) oder Mystrade (Mycroft Holmes und Inspektor Lestrade).

Autoren, die sich bewusst sind, dass ihr Sherlock nur wenig mit dem Original zu tun hat, kennzeichnen das mit OOC (out of character); spielen die Geschichten in einer anderen als der BBC-Welt, wird mit AU (alternative universe) verschlagwortet. Und wer nur wenig Zeit hat, sucht nach drabbles oder vignettes, also extrakurzen Geschichten. Wenn dann die Nutzer-Bewertung stimmt (50 Kudos oder mehr sollten es schon sein), lohnt sich das Lesen.

Sogar ein eigenes Genre haben die Fan-Autoren erfunden: Ein „221B“ (benannt nach Sherlocks Hausnummer in der Baker Street) muss genau 221 Wörter haben – von denen das letzte mit B beginnt.

(Dieser Text ist so ähnlich auch in der Wochenendbeilage der WAZ erschienen.)

Krimmer geht’s nimmer

Während in Deutschland derzeit auf alles WM-Kram draufgedruckt wird, bleibt in Russland das Schlüsselwort „Krim“. In beiden Fällen ist das Prinzip dasselbe: Hier, komm – wir nehmen diesen Begriff, mit dem Du etwas Positives verbindest, um Dir was anderes zu verkaufen. Im WM-Fall zum Beispiel Grillwürstchen, Chips, Kredite oder Mittelchen gegen Sodbrennen.

krim probokIn Russland, wo eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Annexion gutheißt, ist „Krim“ ein Feel-Good-Zauberwort. Was erklärt, weshalb sie auch für Ziele herhalten muss, bei denen sich ein Zusammenhang nicht mal mehr an den Haaren herbeiziehen lässt. Wie bei dieser Plakat-Kampagne der Verkehrsinitiative Probok.net. Der Slogan ist an Schlichtheit kaum zu überbieten – aber Hauptsache, die Krim kommt vor: „Wir haben uns die Krim (zurück)geholt. Holen wir uns jetzt ein Moskau ohne Staus!“

Gespiegelte Videos & gnubreW etlegeipseg

Das Schild ist ganz klar falschrum. Die Folge „South Park“ bei YouTube fängt gerade an, nur dass da „HTUOS KRAP“ auf dem Schild steht; außerdem gucken S, K, R und P in die falsche Richtung. Beim Fußball-Clip kommt der Freistoß von der anderen Seite, und Lady Gaga sieht arg blötschig aus, so mit vertauschten Gesichtshälften.

Gespiegelte Videos sind bei YouTube gar nicht mal so selten. Das liegt an der Automatik, mit der hochgeladene Filme darauf geprüft werden, ob sie unter Copyright stehen: Wer einen Bundesliga-Mitschnitt, einen Kinofilm oder eine Folge „Sherlock“ vor dem Upload spiegelt, macht sie schwerer zu finden. (Nach demselben Prinzip filmen manche das Material auch vom Bildschirm ab.) Und der Aufwand lohnt sich, denn ein populärer Clip kann in wenigen Stunden schon mal fünfstellige Zuschauerzahlen erreichen.

So weit, so plausibel. Richtig interessant wurde es dann beim Relegationsspiel zwischen dem HSV und Greuther Fürth: Auf dem Platz 22 verzweifelte Fußballer, auf der Bande die spiegelverkehrte Werbung eines Wettanbieters.

Was für ein Kalkül! Wobei der Wettanbieter (der hier ungenannt bleiben soll) gegenüber den Online Marketing Rockstars (die sich auch sonst zu lesen lohnen) natürlich die Unschuld vom Lande gab: Keineswegs gehe es hier darum, bei gespiegelten Videos die einzig lesbare Werbung zu haben, neinnein: „Wir wollten uns einfach abheben.“

Schon klar.

(Dieser Text ist so ähnlich auch in der Wochenendbeilage der WAZ erschienen. Danke an Christoph Burseg von VeeScore für Idee und Erklärgeduld.)

Russland, China und diese eine Szene aus „Friends“

Vokabelkarte pivotWährend die Kluft zwischen Russland und dem Westen wächst, rücken Russland und China immer enger zusammen. Allein in diesem Monat gab es nicht nur den massiven Gas-Liefervertrag, sondern auch Absprachen für eine engere Zusammenarbeit im Weltraum und für den Bau einer Brücke über den Amur.

Erst gestern Abend haben China und Russland gemeinsam einen Resolutionsentwurf zu Syrien im UN-Sicherheitsrat blockiert, und das gemeinsame Seemanöver soll auch noch in den Mai fallen.

Die Tücke daran ist, dass sich die englischsprachigen Medien auf einen Begriff für diese Hinwendung Russlands nach China geeinigt haben, der sich unsprünglich auf das Verhältnis zwischen Washington und Peking bezog: „Russia makes its own pivot to Asia„, schreibt die FT, für CNN ist „Putin’s China pivot: All tactics, no trust“ und Charles Krauthammer schreibt in der Washington Post: „Who made the pivot to Asia? Putin.

Pivot bei Reuters, pivot bei Bloomberg, pivot hier, hier und dort – und hey, Alliteration: Putin’s Pivot.

Was natürlich dazu führt, dass ich seit Wochen jeden Tag das hier im Hinterkopf habe.

Film-Fundstücke aus dem Pathé-Archiv: Dortmund

Von dem großartigen Fundus an historischen Filmen, der seit knapp vier Wochen bei Youtube steht, war hier ja schon mal die Rede. Und klar: Dass sich zu einer Millionenstadt wie Moskau reichlich Material in den Pathé-Archiven findet, ist keine Überraschung.

Überraschend war dagegen, was es an sehenswerten Clips auch aus Dortmund gibt und wie weit sie zurückreichen. Zu den frühesten musste ich mir den genauen Hintergrund erst mal anlesen (gute Zusammenfassungen hier und hier). Kurzfassung: Weil Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg mit den Reparationszahlungen in Verzug geriet, besetzten französische Truppen erst Düsseldorf und Duisburg, später dann das ganze Ruhrgebiet.

Ganz leicht ist es nicht, diese Filme zu verstehen, zumal ohne Ton. Uniformierte führen andere Uniformierte ab – am ehesten lassen sich Deutsche und Franzosen noch an den verschiedenen Kopfbedeckungen unterscheiden. Sich an Gebäuden zu orientieren, ist dagegen schwierig. Der erste Reflex: Ach guck, das Klinikviertel! Dann die Erkenntnis: Das kann überall sein – vor den Bomben des Zweiten Weltkriegs sahen viele Ecken in Dortmund so aus.

Die Auswirkungen der Besatzung beschreibt die Stadt Dortmund heute so: „Als die Franzosen am 22. Oktober 1924 die Stadt Dortmund schließlich räumten, waren fast 90 Prozent aller Erwerbstätigen arbeitslos und 78 Zechen im Oberbergamtsbezirk Dortmund stillgelegt.“

1947 geht es um den Wohnungsmangel im Ruhrgebiet – und damit vor allem um Bergleute. In Dortmund entsteht gerade eine neue Bergmannssiedlung, im Krieg beschädigte Bergmannshäuser werden gleichzeitig repariert:

SPD und Dortmund – es gab eine Zeit, da waren das fast Synonyme. Was die Massen an Menschen erklärt, die hier 1952 dem neuen Parteichef (und gebürtigen Bochumer) Erich Ollenhauer zuhören:

Wenn Pathé die Filme für britische Kino-Wochenschauen gedreht hat, wird natürlich die britische Beteiligung hervorgehoben – so wie hier beim Bericht über eine schwere Explosion in einem Wohnhaus:

Und zum Schluss, als bunter Rausschmeißer, die Erkenntnis: Es gab offenbar eine Zeit, da war „Holiday on Ice“ ein ganz großes Ding. Und Dortmund hatte Europas größte Eislaufhalle.

Mehr Dortmund-Filme aus dem Pathé-Archiv gibt es hier.

Der bisher schönste Tweet des Tages (III)

…ist dieser hier. Auch, wenn er schon ein paar Tage alt ist – und auf den ersten Blick kryptisch. Trotzdem. Wirklich.

Warum, zeigt sich erst im Zusammenhang mit den drei Tweets, die bisher über diesen Account veröffentlicht wurden. Man beachte den Abstand zwischen dem vorletzten Tweet und dem aktuellen.


Und während ich noch staune über so viel Hingabe und Geduld für eine einzige Pointe (ob sich Frank Furter eine Erinnerung im Kalender eigestellt hat?), hat David Weiner schon auf den Punkt gebracht, was da gerade passiert ist.

Wer jetzt noch nicht die Stimme eines ’sweet transvestite from Transsexual, Transylvania‘ im Ohr hat, für den hier noch mal kurz der Clip.

Warten lohnt sich eben.

Wie wir die Moskauer Siegesparade nicht mal ansatzweise sahen

Die besten Orte, um am 9. Mai die große Moskauer Militärparade zu sehen, sind: 1. Die VIP-Tribüne auf dem Roten Platz. 2. Die Pressetribüne. 3. Der Fernsehsessel. 4. Sonstwo auf dem Roten Platz.

Unser Frauengrüppchen ist unterwegs zu Nummer 5: Mit der Metro bis zur Haltestelle Twerskaja, wo es um 9 noch gute Stehplätze in der zweiten Reihe hinterm Absperrgitter gibt.

müllauto Seitenstraßen blockieren die Paradenplaner gerne mal mit geparkten Müllautos, die daraufhin sofort als Aussichts-Plattform umgenutzt werden. Wir sehen auch von hier unten: dunkelgrüne Armee-Gefährte, die ich leichtfertig für Panzer halte.

Die Korrektur kommt kurz darauf via Twitter: Das ist doch self-propelled artillery! Anfängerfehler.

Lang wird uns die Stunde bis zum Beginn nicht, zu interessant ist das Leutegucken. Wieder überall schwarz-orangene Bänder, dazu Russlandfahnen; als die Nicht-Panzer ihre Motoren anwerfen, brandet kurz Jubel auf. Sie rollen weg und es bleibt das, was beim Rosenmontagszug die Putz- und Baggagewagen sind: drei, vier grüne Trumms, die man gut auf einem Abenteuerspielplatz parken könnte. Kein einziges Regiment marschiert vorbei, stattdessen sehen wir das Geschehen auf dem Roten Platz beim netten Nebenmann auf dem Tablet-Bildschirm.

Nein, die Twerskaja ist nicht der beste Ort, wenn man ein Paradengefühl erleben will. Aber als Gegenpol zu den durchchoreografierten Fernsehbildern ist sie genau richtig. Die entspannten Soldaten, die gelangweilten Wachhunde. Der Dreck und Lärm, den solche Motoren machen. Die Zuschauer, die auf ein Gerüst klettern und wieder runtergescheucht werden. Familien, die für den Nachmittag Schaschlik-Pläne schmieden.

6Auch zum Flugzeugegucken stehen wir hier falsch: Dass gerade wieder neue Maschinen der russischen Luftwaffe unterwegs zu uns sind, hören wir nur am Jubel aus den Wohnhäusern gegenüber. Denn die Helikopter, Transport- und Kampfflugzeuge fliegen hinter uns vorbei – bis wir sie sehen, sind sie nur noch kleine Tupfen in Keilformation. Im Herbst gingen sie als Kraniche durch.

Erst, als Putin und die Paradeure Feierabend haben, wird es bei uns noch einmal kurz spektakulär. Denn nun rollen reichlich Fahrzeuge vorbei, mit Raketen (non-self propelled rockets?) hinten drauf oder mit wehenden Fahnen. Sehr nah, sehr grün, und nie ganz zu sehen wegen all der Fotohandys. War’s das jetzt? Das war’s. In der U-Bahn-Haltestelle legt ein alter Mann in Uniform Blumen vor einem Kriegerdenkmal nieder. Wenn ein Bild von heute bleibt, mehr als rollende Militärmaschinerie, ist es das.

veteran

Warten auf die Panzer

– Meinst Du, die kommen noch?
– Weiß nicht, noch ist ganz normaler Verkehr.
– Naja, irgendwann müssen sie ja kommen.
– Vielleicht fahren sie auch wo anders lang.
– Komm, wir gehen schlafen.
– Hm.
– Komm.
– Halbe Stunde noch.

Es ist der 8. Mai, kurz vor Mitternacht. Wir stehen am Wohnzimmerfenster, gucken über den dunklen Innenhof auf den Kutusowskij-Prospekt und warten auf die Panzer.

Angeblich ist unsere Straße manchmal die Zufahrtsstrecke am Abend vor der großen Parade. Unklar, warum die Möglichkeit, dass da gleich Militär durch die eigene Straße rollt, uns wachhält. Irgendwo zwischen gruselig und faszinierend muss der Grund liegen.

Letztlich gewinnt dann aber doch das Bett.