The Twitter account formerly known as @DarthPutinKGB

@DarthPutinKGB Twitter

Satire gehört zu den Dingen, die in Russland derzeit nicht gern gesehen werden – erst recht, wenn sie so populär ist wie die von @DarthPutinKGB, der für fast 60.000 Follower Wladimir Putin parodiert. Oder vielmehr parodierte, denn seit gestern ist der Account offline, gesperrt von Twitter.

Was das mit der Sprecherin des russischen Außenministeriums zu tun hat, wie mau die Grundlage für eine solche Account-Sperre ist, und wie die vielen Fans von @DarthPutinKGB nun für seine Rehabilitierung kämpfen, habe ich hier für die Moscow Times aufgeschrieben und dazu auch den Mann hinter dem populären Account interviewt.

Weil in den Artikel naturgemäß nur ein paar Zitate passen, das Interview aber rundum interessant war, poste ich es hier noch mal komplett. Auf Englisch, ausnahmsweise – damit auch die es lesen können, die sich für Russland, Twitter und Meinungsfreiheit interessieren, aber kein Deutsch sprechen.

How did you find out about the account being suspended?

@DarthPutinKGB: I had a notification where someone tweeted it. I thought „so they (the Russian Ministry of Foreign Affairs) did get me shut down after all“. Shortly after I got the note [from Twitter].

What do you think triggered the suspension? Any particular tweet you can think of?

You read when their spokeswoman went off about Euronews‘ „russophobia“ and „info war against Russia“ because they mistook [a fake] Lavrov’s account tweeting about some insignificant Italian local council saying Crimea is Russia?

Sure.

I don’t run that account, but I saw the reaction it got, and then saw it was shut down.

I think that they cannot take being laughed at. They know all this bullshit about „those are not Russian troops“ and „Euromaidan was a CIA coup“ is just that – bullshit. So given that they throw millions at the message and still get mistaken for a parody, it’s a tough situation. They know that they have to show results, hence why RT went nuts about getting caught lying about their ratings. So come budget time, other ministries will say „give us the cash, they can’t spend it properly, they look like their parodies.“

So they had to do something, and shutting all these accounts down shows the superiors they are doing something. And if they can spin it to „russophobia“, it’s an excuse. No one is going to say that’s bullshit, then everything falls apart.

So did I understand correctly that you didn’t have any advance warning from Twitter – they went straight ahead and suspended the account?

No advance warning

Are you in touch with Twitter about getting the account reinstated?

Yes. I lodged an appeal and said no one could interpret this as anything but a parody. They replied this morning saying it may be reinstated if I change the name. I guess they don’t want tweets with the name „Vladimir Putin“ being followed by „this is more accurate than what the Kremlin says“. Or „I can’t tell this from the so-called real account“. So I probably have to appear as ‚Depressed Putin‘ or something.

What do you think this suspension says about freedom of speech in Russia – and about big technology companies‘ willingness to accommodate Russian authorities?

I think freedom of speech in Russia would be a good idea.

Twitter is setting a dangerous precedent. All of the world’s repressive regimes are aware that spontaneous, organic protests have been organized through Twitter (and other platforms). They fear this greatly, hence their various attempts to control it. If a company like Twitter can be told „kill these accounts now“ and they do it, whose side are they on? The people protesting to demand accountable governance, or with those who will shoot them for doing so?

What was your motivation for putting so much effort into this account?

I don’t think I put that much effort into it. While I loathe dictatorships who use mass surveillance, fear and targeted violence to keep themselves in power while they loot the state and extort bribes from people least able to pay them, I find that most of the tweets either write themselves or just come to me.

My motivation initially was that I didn’t think anyone was parodying him very well. No one who listened to what he said or watched what he did (carpet bombing Chechnya and then shooting any journalist that investigated the place was a pretty clear sign most chose to ignore) could be surprised at the current unpleasantness. The only surprise is that so many were surprised. Except I am not surprised. Stop me if that’s too many layers…

Do you think your account would still be up if you had been less funny?

Probably. It’s hard to say. It’s important to note that I don’t actually try to be funny with many of my tweets. I’m just holding a mirror to the Kremlin hypocrisy and lies. A lot of people who claim to be doing PhDs aren’t smart enough to see that. Fortunately, most are.

Anyway, I think that’s the aspect that pisses them off. If I just tweeted pictures of him topless and nothing else, they probably wouldn’t care.

I think they were stupid to make it obvious that it was annoying them by going after so many accounts. We weren’t that important – now everyone knows they fear humor and can’t stand being the butt of a joke.

Die #rpTEN – jenseits von Snapchat

republica snapchat rpTEN

Wozu war die zehnte re:publica gut, wenn man schon vorher wusste, wie Snapchat funktioniert? Ja, der Jahresrückblick Social-Media-Recht war mal wieder großartig, Randall Munroe ist live genau so unterhaltsam wie als Buch, die Verifizierungs-Arbeit von Bellingcat ist faszinierend und die Lesung aus komplett abwegigen Bürgermails an Bundestagsabgeordnete hat einen Heidenspaß gemacht.

Trotzdem musste ich diesmal vor allem an die vergangenen re:publicas denken. Über den Daumen war ich bei knapp der Hälfte dabei, auch schon so mit „in der Kalkscheune und es gab kein Internet“ – wobei letzteres ja eh die Große Konstante dieser Konferenz ist. Und dieses spiegelige Dekor der #rpTEN, mit ihren Discokugeln und reflektierenden, sich ständig verdrehenden Namensschildern, hat bei mir tatsächlich funktioniert und eigene Reflektionen ausgelöst.

An der alljährlichen Floskel vom Klassentreffen der Digitalbranche ist nicht nur das „Klassentreffen“ nervig und ausgelutscht, sondern auch das mit der Digitalbranche. Heute, ja, mag sein – aber bei den frühen re:publicas waren wir keine Digitalbranche. Wir waren vielleicht die Anfänge von sowas, in meinem Fall: eine Onlinerin in wechselnden Verlagshäusern, die für zwei, drei Tage plötzlich nicht mehr die Exotin mit den seltsamen Ansichten und Anliegen war.

Re:publica, das war der Ort, wo man plötzlich unter Seinesgleichen war und sich gegenseitig ermutigen konnte: Ja, dieselben Probleme gibt es bei uns im Haus auch – und so hab ich versucht, sie zu lösen. Nein, Du liegst mit Deiner Einschätzung nicht falsch, Du musst sie nur besser erklären. Du glaubst, Du hast die beste Anekdote zu Beharrungskräften im Printjournalismus? Na, da solltest Du aber erst mal meine hören – komm, wir holen uns ein Bier.

So war das damals, und darum ist die re:publica heute kein Klassen-, sondern ein Familientreffen. Neu kennengelernt hab ich diesmal nur wenige Leute. Aber ein paar Dutzend Freunde, Kollegen, Mitstreiter wiedergesehen und eine Handvoll Twitter-Bekanntschaften endlich auch mal ins richtige Leben rübergehoben, mit Bier oder ohne.

Das letzte Mal, dass ich in so kurzer Zeit so viele Leute umarmt habe, war Weihnachten. Und ich wünsche den 4000 Teilnehmern, für die 2016 ihre erste re:publica war, dass es ihnen bei der #rpTWENTY genau so geht.

Wie @GermanAtPompey nicht nur für Deutschlerner twittert

Zeit, mal wieder einen Twitteraccount zu empfehlen. Der Außenseiter-Blick auf ein Land ist für mich ja immer schon mal grundsätzlich interessant – egal, ob ich ihn mir selber machen kann (Schottland, USA, China, Russland) oder anderswo erlese wie bei Steinbeck und Capa, Ilf und Petrow, Isherwood und Auden.

Dass mich in letzter Zeit aber auch regelmäßig der Außenblick auf Deutschland beschäftigt, das liegt an einem britischen Twitteraccount: @GermanAtPompey, wo eine Handvoll Dozenten der University of Portsmouth über den Sprachraum aus Deutschland, Österreich und der Schweiz twittern.

Was ist das Besondere daran? Das Wiedererkennen von Vertrautem, klar. Aber vor allem: Nachzuvollziehen, wie Deutschland, seine Einwohner und seine Sprache auf Menschen wirken, die dort nicht aufgewachsen und sozialisiert sind. Menschen, die sich professionell mit dem auseinandersetzen, was für mich normal ist. Und Menschen, die nicht zu meiner Journalismus-Russland-NRW-Digitales-Chormusik-Schalke-Filterblase gehören.

Einer dieser Menschen, Paul Joyce, hat sich Zeit für ein paar Fragen genommen.

An wen denken Sie, wenn Sie twittern?

Gute Frage. Vergangenes Jahr habe ich dazu einen Vortrag an der Universität gehalten und unter unseren 3120 Followern 16 verschiedene Typen ausgemacht. Dazu gehören Studenten in Portsmouth, Sprachschüler in aller Welt, Übersetzer, Deutschlehrer und -dozenten, Journalisten, deutsche Botschaften und so weiter. Unser ursprüngliches Ziel war, unseren Studenten ein aktuelles Bild vom Leben in deutschsprachigen Ländern zu vermitteln. Seitdem hat sich unsere Zielgruppe ganz schön verändert.

Wir hoffen, dass wir der wachsenden Zahl an Germanophilen in Großbritannien und aller Welt interessante, manchmal auch lustige Einblicke in das moderne Deutschland bieten. Und so viele Beispiele für den Deppenapostroph, wie wir nur finden können…

Auf welche Tweets gibt es die meisten Reaktionen?

Wir haben festgestellt, dass es bei Tweets zu Berlin und zur DDR die meisten Reaktionen gibt. Das ist für uns außerordentlich wertvolle (und kostenlose!) Marktforschung, auf deren Grundlage wir auch schon unseren Lehrplan für den Bachelor-Studiengang angepasst haben. Es gibt immer eine Diskrepanz zwischen dem, wovon Menschen angeben, dass es sie interessiert, und dem, was sie wirklich interessiert. Aber unterm Strich gilt: „Klicks lügen nicht.“

Mir fällt auf, dass Sie viel Wert auf Bilder legen.

Optische Reize erleichtern denjenigen Followern den Zugang, die vielleicht von einem bestimmten Aspekt deutscher Kultur oder Geschichte fasziniert sind, aber noch nicht die Sprachkenntnisse für einen langen Artikel haben. Und Lehrer können Grafiken und Bilder nutzen, um in ihrer Klasse eine Diskussion in Gang zu bringen.

Auch über Retweets haben wir noch ein bisschen gesprochen – weil @GermanAtPompey da eine besondere Stärke hat. So viele Quellen, von denen ich noch nie gehört habe, deren Inhalte mir als Follower nun in die Timeline gespült werden. Dazu noch mal Paul Joyce:

Dank Twitter stecken wir inzwischen um einiges tiefer drin in unserem Themengebiet. Es gibt dort so viele Autoren, Lehrer, Kunstexperten, die faszinierendes Material mit einem Deutschland-Bezug liefern. Das ganze Medium ist immer noch weitgehend frei von Hierarchien: Man kann seine Ideen mit anderen teilen, und im Gegensatz zu den meisten Bereichen der akademischen Welt spielt dein Ruf keine Rolle.

Wenn ein Student über sein Auslandsjahr twittert, dann überzeugt das andere vielleicht eher davon, auch im Ausland zu studieren, als alles, was wir als Dozenten sagen. Und wenn ein enthusiastischer Amateur zum Beispiel über Ostdeutsche Bierdeckel oder über Kunst im Ostblock twittert, kann das innovativer und kommunikativer sein als bei einem etablierten Experten.

In der Praxis sieht das dann so aus (eine kleine Sammlung von @GermanAtPompey-Tweets, an denen ich in jüngster Zeit Spaß hatte, zusammengestellt mit Twitters „Collection“):

#twitspeare – jeden Monat ein neues Shakespeare-Stück lesen

#twitspeare Shakespeare Twitter 2016

Wir machen das jetzt einfach mal: Jeden Monat ein Stück von William Shakespeare lesen und drüber twittern. Ohne festes Ziel, ohne akademischen Anspruch, ohne Vorgabe, wie viele Tweets, wann oder in welcher Sprache. Es geht einfach nur um den Spaß daran, 400 Jahre nach Shakespeares Tod gemeinsam etwas von ihm zu lesen und sich darüber auszutauschen.

Bisher sind wir ein gutes Dutzend Leute, manche kennen sich, manche nicht. Wenn jemand das hier liest und mitmachen will – nur zu, es geht los mit „Much Ado about Nothing“. Oder, wie eine Moskauer Freundin es gestern so schön auf den Punkt brachte: „Ahhhhh, Ken and Em.“

Ja, auch für mich ist die Version mit Kenneth Branagh und Emma Thompson die Verfilmung. Müsste man direkt mal wieder… und dann gab es ja auch noch diese schwarzweiße von Joss Whedon vor ein paar Jahren… und den Theatermitschnitt mit David Tennant.

Hier schwört er (mit schottischem Akzent als Bonus-Feature) in der Rolle des Benedick, dass er sich nie verlieben wird.

Was passiert, wenn jemand sowas am Anfang der Handlung sagt, wissen wir alle. Wie es passiert, dafür nehme ich das Stück gerne mal wieder in die Hand – erst recht, weil Beatrice, das weibliche Gegenstück zu Benedick, von je her eine meiner absoluten Lieblingsfiguren in der englischen Literatur ist.


Der Haken an Facebooks neuem Karussell

Seit Anfang des Monats ist immer mal wieder die Rede von einem neuen Look, der Facebookseiten für ihre Post demnächst zur Verfügung stehen soll. Bei AdWeek bzw SocialTimes durfte dieses Karussell-Format schon mal jemand ausprobieren, Allfacebook.de hat versucht, es mit einem Hack nachzubauen.

Für die Facebook-Seite der Moscow-Times wurde mir das neue Format am 1. Oktober zum ersten Mal angeboten – am World Ballet Day. Ballett ist in Russland eine große Sache, wir haben dazu einiges an Texten und Fotos. Der erste Post im neuen Design sah also so aus* – verschiedene Bilder, die sich durchblättern lassen und alle zum selben Link auf der Seite führen.:

On #WorldBalletDay, a look at the hard work involved in becoming a ballerina.

Posted by The Moscow Times on Thursday, October 1, 2015

Wie man als Admin solch einen Post anlegt, habe ich heute mal dokumentiert. Gestern ist „Круг Света“ zuende gegangen, der „Lichterkreis“, bei dem Bilder und Animationen auf berühmte Moskauer Gebäude projiziert werden, Leuchtskulpturen die Teiche schmücken und ständig irgendwo Feuerwerk ist. Ein klassisches Fotothema eben, also rein ins Status-Feld mit dem Link.

facebook karussell moscow times 1

Wie man sieht, zieht sich Facebook drei Motive von selbst, nach welchen Kriterien auch immer. Von zehn Motiven der Galerie hat es sich hier die Nummern zwei, vier und neun ausgesucht. Über die kleinen Symbole unter dem Post kann die Haken entfernen und so die angezeigten Fotos ändern, hier lassen sich auch neue Bilder hinzufügen. Die Obergrenze liegt bei fünf Motiven, ein kleiner Scrollbalken erleichtert die Auswahl.

facebook karussell moscow times 2

Noch kurz antexten, posten und voilà:

Moscow's "Circle of Lights" festival may be over, but these stunning photos still shine bright.

Posted by The Moscow Times on Monday, October 5, 2015

Kurzer Anreißer, fünf Bilder mit je demselben Text, außerdem fügt Facebook selbst als sechstes Motiv ein Logo der Seite hinzu. Eine schöne Ansicht, dieser Karussell-Post, die sich bestimmt nicht nur für Fotogalerien eignet. Auch Reisereportagen, Produktbesprechungen (hallo, iPhone!) und andere bildlastige Formate kann man sich so gut vorstellen. Wie schön, wenn es das Karussell schon gegeben hätte, als diese Analyse zur Ost-Ukraine entstand!

Einen Haken allerdings hat das neue Format, und der ist gar nicht mal so klein. Denn Facebook geht, zumindest im Moment, davon aus, dass nun jeder neue Eintrag ein Karussell werden soll. Plant man also einen nachrichtlichen Text, der nur ein einziges Bild hat, greift es sich aus dem Umfeld des Artikels weitere Motive, die nicht unbedingt mit seinem Thema zu tun haben. So zu sehen bei diesem Text zu den russischen Luftangriffen in Syrien:

facebook karussell moscow times 3

Klar, man muss nur schnell die zwei Haken bei Bild zwei und drei entfernen. Aber bei einer Nachrichtenseite, wo Meldungen, Kommentare und andere Artikel mit nur einem Bild die klare Mehrheit der Inhalte stellen, läppert sich das ganz schön: Von Montag bis Freitag plane ich über den Daumen etwa 100 Facebook-Post mit Link, darunter sind mit Glück 20, bei denen sich das Karussell anbietet. Bei den anderen 80 muss ich also jedes Mal diese Häkchen wegklicken.

Definitiv Grund genug, ins Nachtgebet die Bitte aufzunehmen, Facebook möge sein wirklich schönes neues Karussell in Zukunft als Option anbieten, die der Admin auswählen kann – aber nicht als automatisch voreingestellte Variante.

*irgendwas ruckelt da gerade beim Zusammenspiel zwischen WordPress und den Embed-Codes von Facebook. Um den Post zu sehen, einfach aufs Datum klicken, bitte.

(Danke an Lars für Allfacebook-Link & Denkanstoß)

Verstärkung gesucht

250,000 Facebook-Fans, 60,000 Twitter-Follower, dazu ein YouTube-Kanal und ein Instagram-Account, die mal ein bisschen Liebe brauchen könnten. Das, lieber Leser, kann alles Dir gehören, jedenfalls auf Zeit.

Wir suchen bei der Moscow Times eine Praktikantin oder einen Praktikanten für Social Media. Die ganze Stellenanzeige gibt es hier, und wer sich die URL ansieht, der merkt schon: Einfach ist hier nur wenig. Einerseits sitzen wir an schicken, schnellen Macs in einem Gebäude im Norden der Stadt, in dem es entfernt so aussieht wie auf dem Bild. Die Atmosphäre ist irgendwo zwischen Start-Up und Lokalredaktion, die Kollegen kommen aus allen möglichen Ländern, und irgendwer plant immer gerade eine Reise irgendwohin und holt sich in der Teeküche Tipps von drei anderen, die schon da waren. Einerseits.

Foto: Startup Stock Photo
Foto: Startup Stock Photo

Andererseits haben wir das älteste CMS, mit dem ich seit dem Volo gearbeitet habe, und das war immerhin 1998. Neuankömmlinge müssen sich aus den schicken Mac-Bildschirmen, den schicken Mac-Tastaturen und den schicken Mac-Mäusen erst mal eine Kombination zusammenklauben, die auch funktioniert. Verständnis dafür, wie kritischer Journalismus funktioniert, ist in Russland nicht sehr weit verbreitet – die Philosophie ist eher „wenn ihr nicht für uns seid, seid ihr wohl gegen uns“ Das führt zu interessanten Facebook-Kommentaren. Und ja, das politische Klima hier ist genau so, wie ihr es euch vorstellt in einem Land, das in einen bewaffneten Konflikt mit einem Nachbar verwickelt ist.

Wenn das jetzt als Reaktion nicht „Oh Gott“ auslöst, sondern „Das muss ich mir mal anschauen“, dann freue ich mich über eine Bewerbung. Es wird viel ums Tagesgeschäft gehen, darum, wie man Leser rund um die Welt so erreicht, dass sie in ihrer Zeitzone im richtigen Moment den richtigen Inhalt von uns sehen. Aber es ist auch genug Luft zum Rumprobieren. Für Liveblogs, schlaflose Foto-Aktionen, Storifies, Memes, Thinglinks und anderen Spökes, den ihr als Idee mitbringt. Als Pluspunkt kann ich bieten, dass sich Leute (hier, hier, hier und anderswo) von mir bisher immer gut ausgebildet gefühlt haben. Sowas macht mir Spaß, und ihr wärt hier garantiert weder Kaffeekocher noch Kopierhilfe.

Zwei Hinweise noch zur Ausschreibung: Das Praktikum ist, so leid mir das tut, unbezahlt. Und ja, auch wenn ihr das hier auf Deutsch lest, suchen wir im Prinzip Englisch-Muttersprachler. Da mir klar ist, dass ich nicht in der besten Position bin, auf diesem Anspruch zu bestehen, hier die Ausnahmeregel: Wer kein Muttersprachler ist, aber schon Erfahrung im Arbeiten für englischsprachige Medien mitbringt und diese Erfahrung auch belegen kann, ist herzlich willkommen. Bei Zeitpunkt und Dauer des Praktikums sind wir flexibel, es würde also auch gut in die Semesterferien passen.

Fragen? Hier fragen

Eine Woche Instadvent

Advent, Advent, was man so kennt. Immerhin, eines ist dieses Jahr neu: der Instadvent. Freunde, Kollegen, Bekannte von Ex-Kollegen, die heute Freunde sind – seit einer Woche posten wir Tag für Tag ein weihnachtliches Foto bei Instagram, schön verhashtagt mit #instadvent und dem Datum, also #1von24, #2von24 und so weiter.

Eine gute Fingerübung, die dazu zwingt, täglich die Augen offen zu halten nach Motiven. Noch hält es sich auch gut die Waage zwischen Wärme, Gemütlichkeit, Vorfreude und Kitsch, Ironie, Distanz. Den fetten Besinnlichkeitshebel hat noch keiner umgelegt, stattdessen schleicht sich das Weihnachtsgefühl allmählich ins Bild – was ja auch die Idee ist beim Advent.

#instadvent #1von24

Ein von N Dave (@ruhrpoet) gepostetes Foto am

Weihnachtsdeko à la Karstadt. #instadvent #2von24 #Dortmund #ifttt

Ein von Katharina Kierig (@kakakiri) gepostetes Foto am

Schrottwichteln. Spannend. #instadvent #3von24

Ein von @kaehler_s gepostetes Foto am

#5von24 #instadvent Rotes Türchen für die Fünf

Ein von @peterssan gepostetes Foto am

#Winterleuchten #Westfalenpark #nofilter #instadvent #6von24

Ein von @anni_kari gepostetes Foto am

"Sag, wenn er wieder weg ist!" #instadvent #7von24

Ein von @textaufgabe gepostetes Foto am

Wer noch mitmachen will: Montag geht es weiter mit #8von24.

Ein Facebook-Trick für große Nachrichtenlagen

Wenn sich bei einem Thema in kurzer Zeit viel entwickelt, ist das für Onlinejournalisten gleichzeitig schön und schrecklich.

Schön, weil wir ein Medium zur Hand haben, mit dem sich diese Bewegung gut abbilden lässt. Erst die schnelle, kurze Meldung veröffentlichen, dann mit Details und Kontext ergänzen. Das Platzhalter-Symbolfoto durch ein richtiges ersetzen. Aus „Hauptbahnhof Essen gesperrt“ wird „Hauptbahnhof Essen wegen Oberleitungsschaden gesperrt“, dann „Hauptbahnhof-Sperrung dauert bis in den Feierabendverkehr“ und, aller Erfahrung nach, „Hauptbahnhof Essen frühestens Montag wieder offen, und auch das nur, wenn es am Wochenende nicht regnet“.

Schrecklich, weil viele Leser die erste, schnelle Meldung über die Facebookseite finden und sie von dort weiterteilen. Und auch, wenn auf der Website längst eine andere, präzisere Überschrift steht, zeigt Facebook immer noch die ursprüngliche an. Klar, man kann die Artikel-Updates von Hand drunter in den Kommentaren posten, aber elegant ist anders.

Praktisch also, dass man Facebook-Posts zwingen kann, den einmal geposteten Artikel später noch mal anzusehen und eine aktualisierte Fassung anzuzeigen. Dazu öffnet man zunächst den Post in einem eigenen Tab, indem man auf die Zeitangabe der Veröffentlichung klickt.

capello 1 

Per Klick auf den Pfeil nach unten, der oben rechts am Beitrag steht, öffnet sich ein kleines Menü. Die Funktion heißt „Refresh share attachment“ oder auf Deutsch-Ungelenk „Geteilten Anhang aktualisieren“. Nach dem Klick legt sich eine Vorschau des aktuellen Posts über den bestehenden – zum Vorführen habe ich hier in der Überschrift aus „funds“ mal „money“ gemacht:

capello 2 

Jetzt noch bestätigen, und schon ist alles auf Stand. Sehr nützlich, die Funktion – und zumindest für englischsprachige Seiten auch schon seit einiger Zeit verfügbar. Darüber hinaus scheint das aber noch nicht groß die Runde gemacht zu haben: Gestern entdeckt, seitdem schon zwei Dutzend Kollegen damit erfreut.

Endlich alle Stempel für den neuen Job

Moscow Times  
Wo hört Bürokratie auf und fängt absurdes Theater an? In Russland kann man sich das gut und oft fragen, egal, ob es ums Visum geht, um einen Büchereibesuch oder irgendwas dazwischen. In einem Land, wo man schon mal sieben Stempel braucht, um eine Fahrt in einem Pendlerzug filmen zu dürfen, dauert manches halt ein bisschen länger – auch die Wartezeit, bis es in Sachen Job etwas zu verkünden gibt.

Jetzt aber: Auf den neuen Visitenkarten steht „редактор социальных медиа“, oder, wenn man sie umdreht, „Social Media Editor“, darüber das blaue Logo der Moscow Times. Eine unabhängige Tageszeitung, die nicht in Staatsbesitz ist – was in Russland dieser Tage so schnell zu einer Seltenheit wird, dass es einen gruselt. Gleichzeitig ist seit Beginn des Konflikts in der Ukraine die Nachfrage nach unabhängiger Berichterstattung besonders groß: Anfang Februar hatte die Moscow Times 50.000 Fans bei Facebook, heute sind es schon deutlich über 200.000; bei Twitter ist das Wachstum ähnlich.

Ich arbeite also nun wieder auf Englisch, was nach rund einem Jahrzehnt Pause etwa dem entspricht, wie andere das „ich hab mal wieder das Motorrad aus der Garage geholt“-Gefühl beschreiben. Ok, der AP-Style sitzt noch nicht komplett wieder, manchmal rutscht noch ein britischer Begriff dazwischen oder em-dash und en-dash gehen durcheinander, aber das wird noch. Es hat sich hier jedenfalls sehr schnell sehr richtig angefühlt – schon jetzt würde es mir fehlen, von der Fotoredakteurin morgens nicht mehr mit „Hey dude, what’s up?“ begrüßt zu werden.

Sanoma Independent MediaUnd es macht großen Spaß, sich in so Neuerungen reinzufrickeln wie die, dass wir rund um die Welt und durch alle Zeitzonen gelesen werden. Kein klassischer Morgen-Peak mehr in der Online-Nutzung, sondern verschiedene Spitzen im Tagesverlauf. Da kann es schon mal sein, dass der stärkste Facebook-Post des Tages einer ist, der erscheint, wenn alle Redakteure schlafen.

Ein dicker Pluspunkt ist auch, dass dieses kleine britisch-russisch-holländisch-kanadisch-irisch-georgisch-amerikanisch-(deutsche) Team jeden Tag über ein Land diskutiert, recherchiert und berichtet, das ich noch entdecke. Aber eben in einer Sprache, in der ich den Debatten, Einschätzungen und Argumenten folgen kann.

Das Wichtigste aber bleibt: Unabhängiger Journalismus ist in Russland rar. Dafür zu sorgen, dass er sein Publikum findet – hier und international – ist nicht die schlechteste Aufgabe, die man dieser Tage haben kann.

Ein Jahr ohne West-Essen als Facebook-Projekt

Am Tag, als Russland seinen Lebensmittelmarkt abschottete, entschied sich Eva Mala für die Öffentlichkeit. Die 29-jährige Tschechin mit russischen Wurzeln lebt in Moskau, gibt hier Sprachunterricht und betreibt neuerdings eine Facebookseite: 365 Days Of Russian Ban On Food. Ein Jahr lang will sie dort Mahlzeit für Mahlzeit dokumentieren, wie sie sich ernährt – und wie sich die Ernährung im Laufe des Jahres verändert.

„Es gibt auf den diversen Websites so viele Kommentare zu dem Thema, die manchmal gar nicht stimmen, also will ich das korrigieren“, erklärt sie. Den Facebooknutzern wolle sie zeigen, wie es tatsächlich hier aussehe, was wirklich geschehe. „Denn die Menschen im Westen denken, hier gibt es nichts mehr zu essen, und die Russen denken, das Einfuhrverbot ist eine super Sache. Keiner von beiden hat Recht.“

Bisher sind es erst knapp über 100 Facebook-Nutzer, die Eva auf den Teller gucken wollen. Dass die Seite schon bald wachsen wird, liegt nahe – denn die Einblicke in Evas Essens-Alltag sind nicht nur anschaulich, sondern auch gut so getextet, dass der Genussmensch durchkommt.

Nicht jedes Glas Wasser will sie posten, sonst aber alles – auch, wenn es am Wochenende mal zu viel Wein war oder eine ganze Tafel Schokolade nach einem harten Tag. Das ist der Plan.

Schon vor dem Einfuhrverbot sei das russische Essen nicht allzu gut gewesen, findet Eva, die gerne kocht und nach Einschätzung ihres Freundes auch ziemlich gut. „Seit einem Jahr lebe ich jetzt hier, und das Problem waren immer niedrige Qualität und hohe Preise.“ Das selbstgebackene Brot aus russischem Mehl habe nicht richtig geschmeckt, und nun also auch noch das Einfuhrverbot. Seitdem, sagt Eva, sei ihr vor allem eines aufgefallen: die Sache mit dem Käse.

„Ich finde keinen Parmesan, keinen Camembert, keinen guten Blauschimmelkäse.“ Auch manche Obst- und Gemüsesorten seien in Noginsk, wo sie sich derzeit aufhält, schwer zu bekommen. Alles noch keine ernsthaften Probleme, aber das Einfuhrverbot ist ja auch erst ein paar Tage alt. Die Pizza mit sauren Gurken könnte da nur der Anfang sein.