Russische Reise – bis nach Georgien

Die Georgier, die wir trafen, ähnelten den Walisern. Jede zehnköpfige Männergruppe verfügte über mindestens sieben schöne Singstimmen. Und nun brach an diesem Tisch der Gesang aus, großartiger Chorgesang. Sie sangen die Lieder der georgischen Bergschäfer und alte Kampflieder. Und die Stimmen waren so gut, und der Chor war so gut, dass sie beinahe wie ein Profichor klangen. Und dann steigerte sich das Tempo, und zwei Männer ergriffen Stühle und drehten sie um, die Sitzflächen auf die Knie, und benutzten sie als Trommeln, und dann wurde getanzt.

Für seine „Russische Reise“ ist John Steinbeck kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit dem Fotografen Robert Capa durch die Sowjetunion gefahren. In Trümmern und auf Äckern, im Ballett und in der Brotfabrik, bei Diners in der Hauptstadt und Theateraufführungen in der Provinz dokumentieren die beiden Männer das, was sie vom Alltag zu sehen bekommen. Sie stellen viele Fragen und müssen selber immer wieder Variationen derselben beantworten: Kommt ein weiterer Krieg? Rüsten die USA auf, um die Sowjetunion anzugreifen?

Foto: Unionsverlag
Foto: Unionsverlag
Dazwischen frotzelt Steinbeck über Capa, inszeniert ihn als spleenigen, zum Fatalismus neigenden Künstler, bis plötzlich auch Capa anfängt zu schreiben, um sich zu verteidigen – und seinerseits an Steinbeck rumzukritteln.

Auch, wenn es zwischen Autor und Fotograf nicht immer harmonisch war: Text und Bilder ergänzen sich perfekt. Und noch etwas passt: Oft ist es bei übersetzten Büchern schon ein gutes Zeichen, sich über die Übersetzung nicht zu ärgern. Hier ist sie so treffend und in sich so stimmig, dass ich Susann Urban gerne zwei bis drei Bier ausgeben würde – vorausgesetzt, sie erzählt dabei, wie sie das hingekriegt hat.

Vier Konzerthaus-Abende und ein Countertenor

Eine Woche mit vier Abenden im Konzerthaus Dortmund – Rekord, dachte ich erst. Aber da war ja die Christmas Show, damals™, als wir gefühlt jeden Adventsabend eine Vorstellung zu singen hatten, sonntags zwei. Nicht mal Kinderchor-Auftritte mit Heino und im WWF-Club hatten mich darauf vorbereitet: Tänzerinnen in Kostümen wie beim Eurovision Song Contest (BHs aus zwei halben Fußbällen! Lange Röcke, aus denen mit einem Handgriff Minikleider werden!), Solisten-Diven jeden Geschlechts, einschließlich „Kinder, ich kann so nicht arbeiten!“ Wir älteren Mitglieder im Chor reden noch heute von der Christmas Show wie unsere Großeltern von Nachkriegsdeutschland: Wir hatten ja nichts. Nur Kunstschnee und blinkende Lichter.

Abgesehen davon jedenfalls sind vier Abende Konzerthaus in einer Woche Rekord. Montag Generalprobe für Debussys „Nocturnes“ mit Stefan Solyom, Dienstag und Mittwoch die Aufführungen – aber das Highlight war dann doch der Donnerstag, diesmal mit Sitzplatz im Publikum statt Stehplatz auf der Bühne.

Philippe Jaroussky (Foto: Pascal Rest/Konzerthaus Dortmund)
Philippe Jaroussky (Foto: Pascal Rest/Konzerthaus Dortmund)

Ein Arienabend mit Philippe Jaroussky, Countertenor – von selber wäre ich nicht auf die Idee gekommen, aber was für ein großartiger Tipp! Viele Stücke für Virtuosen zum Angeben – legte man einem Feldwaldwiesensänger diese Arien auf den Notenständer, er würde in irres Lachen ausbrechen oder das Gewicht am Metronom stramm Richtung Lento schieben.

Philippe Jaroussky dagegen stolziert, gestikuliert, strahlt, haut eine Koloratur nach der nächsten raus – oder schwelgt in den ganz großen Gefühlen. Die Mimik muss man mögen, sonst erinnert es manchmal ein bisschen an Mr. Bean, aber selbst dann ist klar: So singt, wer eine Herausforderung gefunden hat und weiß, dass er ihr gewachsen ist. Und genau so klingt das dann auch, Stück für Stück, beliebige italienische Worte und eine Stimme, zu der einem so schnell nichts Vergleichbares einfällt.

Philipp Jaroussky (links) und Dirigent Andrea Marcon. (Foto: Pascal Rest/KOnzerthaus Dortmund)
Philippe Jaroussky (links) und Dirigent Andrea Marcon. (Foto: Pascal Rest/Konzerthaus Dortmund)
Wer mit Hören nicht ausgelastet ist, der kann ja gucken, auch darauf ist die Jaroussky-Show erkennbar ausgerichtet. Aber eigentlich ist die Musik da vorne mitreißend genug, das Venice Baroque Orchestra hat vor lauter Schmackes direkt mal entschieden, im Stehen zu spielen.

Einmal macht es peng, an der historischen Geige ist eine historische Saite gerissen, der Geiger geht ab. Zwei Minuten später, im selben Stück dasselbe Peng. Geiger zwei verschwindet. Der Mann an der Laute sieht aus wie Ralph Siegel, der Dirigent wie Salman Rushdie. Und all das ist ganz furchtbar egal, wenn Philippe Jaroussky singt.

Spaß mit Facebook und dem BVB

Als Schalke-Fan den Tag mit einem Text über den BVB zu beginnen, sucht man sich nicht einfach so aus. Aber was Sebastian Cario da in seinem Blog thematisiert hat, betrifft nun mal viele Leute: Wer immer einen Link zur Homepage von Borussia Dortmund bei Facebook posten will, bekommt seit gestern Abend eine Fehlermeldung.

Sachlage beschreiben, Stimmen sammeln, mit dem BVB sprechen. Bei der Grafik (wo gerade ein BVB-Fan Dienst hat) eine schnelle Montage bestellen und dann alles zu einem Artikel zusammenführen. Das war der einfache Teil.

Der schwere Teil: diesen Artikel weiter verbreiten. Kein Problem bei Twitter und bei Google plus, bloß bei Facebook: Fehlermeldung. Geguckt, ob im Text auch nirgends auf die BVB-Homepage verlinkt ist, noch mal versucht: Fehlermeldung. Link durch den Facebook-Debugger gejagt: Fehlermeldung. Den Begleittext zum Link so verändert, dass nicht mehr die Facebookseite von Borussia Dortmund getaggt ist: Fehlermeldung. Statt auf den Artikel auf unsere BVB-Themenseite verlinkt: Fehlermeldung. Stattdessen auf den Tweet verlinkt oder auf unser Profil bei Google plus: Fehlermeldung. Nur einen Text zur Sachlage posten, mit einem Tipp, wie man an den Link kommt: ja, genau. Fehlermeldung.

Aus dem Stand kann ich mir das nur so erklären, dass bei gesperrten Seiten bestimmte Keywords zu der Seite mit gesperrt werden. Denn das mit der Fehlermeldung hat erst aufgehört, als nicht nur der Link fehlte, sondern auch die Worte „Facebook“, „Borussia Dortmund“, „BVB“ und „blockiert“ nicht mehr im Post vorkamen. (Wenn jemand eine bessere Erklärung hat, immer her damit.)

Nun denn, Faceboook: Danke für die sportliche Herausforderung. Wir machen das dann mal so.

Update: Seit etwa 12 Uhr lässt sich der Text bei Facebook posten.

Wartezeit überbrücken mit #FakeNobelDelayReasons

Während die Verkündigung des Physik-Nobelpreises in Stockholm in Viertelstundenhäppchen nach hinten verschoben wird, gibt es bei Twitter als Zeitvertreib die #FakeNobelDelayReasons. Denn dass es nur daran liegt, dass man einen Preisträger noch nicht ans Telefon bekommen hat, ist viel zu wahr, um schön zu sein. Hier ein paar ausgewählte bessere Gründe.

Respekt, Kollegen! Und, der schönste von allen:

There’s a special place on Twitter for Madeleine Albright

Von den Dreharbeiten zur ersten Staffel von „The West Wing“ wird kolportiert: Der Dreh war nachts, er war laut, und plötzlich stand dem Team rund um Autor Aaron Sorkin eine Dame im Bademantel gegenüber. Was denn der Lärm solle, sie brauche ihren Schlaf, wichtiger Termin morgen früh. Ach, Aufnahmen für „The West Wing“? Der Serie fehle ja wohl eine hochrangige Politikerin, sagen wir mal, eine Außenministerin. In der nächsten „West Wing“-Staffel gab es dann die Rolle der NSA-Chefin Nancy McNally.

Die Frau im Bademantel war Madeleine Albright, und wer an einem Ort lebt, wo man die frühere US-Außenministerin nicht einfach schlaftrunken auf der Straße antrifft, hat als zweitbeste Möglichkeit nun Twitter, wo Albright von der Gründerin der Huffington Post gleich mit einem passenden Zitat (mehr dazu hier oder hier) begrüßt wurde:

Seit dem Tag nach der Bundestagswahl twittert Albright – das ist noch nicht lang, aber es hat schon für ein paar sehr unterhaltsame Tweets gereicht. Sie überlegt, Henry Kissinger zu Twitter zu locken, postet ein Video, auf dem sie den Trompeter Chris Botti am Schlagzeug begleitet.

Am interessanten aber ist ihr Schulzeugnis anno 1952, als Albright 15 war: „Gut in Englisch, bis auf die Zeichensetzung“, ausgezeichnet in Geschichte, aber in Französisch nur mittelprächtig – Madeleine soll mehr auf die richtigen Formen achten. „Sie übernimmt Verantwortung in der Gruppe für Internationale Beziehungen“, heißt es dann noch. Der Rest ist Geschichte.

(Sowas Ähnliches wie dieser Text stand auch als „Netzhaut“-Kolumne in der Wochenendbeilage der WAZ.)

Moskau

Moskau, Moskau. Das ARD-Hörfunkstudio dort bekommt 2014 einen neuen Korrespondenten. Und ich geh mit.

Nach ein paar Probeläufen, bei denen die Kollegen vor Ort es uns leicht und die Abende lang gemacht haben, sind wir zu dem Schluss gekommen: kann man machen. Also bereiten wir uns vor auf den Umzug in ein Land, das auch mehr als zwanzig Jahre nach Ende der Sowjetunion im Umbruch ist. Ein Land voller Kultur und Traditionen, das 2014 die Olympischen Winterspiele ausrichtet. Ein Land, zu dessen Staatschef „lupenreiner Demokrat“ und „Oben-ohne-Fotos“ die einfachen, aber nicht die wichtigsten Assoziationen sind. Ein Land, in dem NGOs drangsaliert und Schwule und Lesben diskriminiert werden. So ein Land kann gar nicht genug Journalisten haben.

Was auch bedeutet: Ich bin hiermit wieder auf dem Markt. Nach fast sechs Jahren im kleinen, feinen Online-Team bei DerWesten, drei Chefredakteuren, deutlich mehr Geschäftsführern. Einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Kollegen und Freunden vielfach auf das Erfreulichste verschwommen sind. Und in der ich einiges gelernt habe über Innovation, über Einfach-mal-Ausprobieren und mindestens genau so viel über Beharrungskräfte. Der Chef kann sich vorstellen, mich im Anschluss an Moskau zurückzunehmen. Ich kann mir vorstellen, im Anschluss an Moskau zurückzukommen. Bis dahin bin ich freigestellt und kann ab Februar in Russland für jemand anderen arbeiten, sofern es nicht die unmittelbare Konkurrenz ist. Was in Moskau eher unwahrscheinlich sein dürfte.

Vielleicht heißt das zum Start auch erst mal: ein paar Monate die alten Russischkenntnisse auffrischen (wann sagt man noch mal год/года und wann лет?) und neue darauf aufbauen. Ankommen, organisieren, Wurzeln schlagen. Nur auf Dauer ist „mitreisende Partnerin“, glaube ich, kein Vollzeitjob.  Im Moment weiß ich nicht mal, ob es wieder Onlinejournalismus sein soll, ob überhaupt Journalismus, oder etwas ganz anderes. Es wird sich finden, und wenn ihr Moskau-Verbindungen habt, freu ich mich über Tipps und Links.

Russland ist ein schönes Land. Werft die Gläser an die Wand.

Auf ein Heißgetränk bei Guardian Coffee

Ein gutes Vierteljahr gibt es jetzt Guardian Coffee, das Café zur Zeitung. Wobei die nicht von einem Café spricht, sondern von einer „caffeine-infused pop-up destination in the heart of East London’s creative technology community „. Soso aha.

Jedenfalls soll der Guardian seitdem nun nicht mehr nur für kluge Online-Ideen stehen, für Datenjournalismus und für Wikileaks-Berichterstattung, sondern auch für Kaffee. Eine Fingerübung in Sachen Offenheit und Transparenz; „leichterer Zugang zu unseren Journalisten und unserem Journalismus“, so lässt sich Guardian-Technikchefin Jemima Kiss zitieren.

Okay, es gibt da diese Beamerprojektion an der Wand: Welcher Kaffee war heute am populärsten (flat white), wie setzt sich die hauseigene Espresso-Röstung zusammen (60 Prozent Brasilien, je 20 Prozent Nicaragua und El Salvador). Eine Anspielung auf Datenjournalismus – so wie die Möglichkeit, in einem Café mit Guardian-Einrichtung ein Heißgetränk zu nehmen, wohl auch eher eine Anspielung auf Transparenz ist.

Ginge es hier wirklich darum, Leser anzulocken zum Gespräch mit Journalisten, dann läge das Café im Redaktionsgebäude, nicht in diesem zusammengestapelten „Boxpark“ in Shoreditch. Guardian-Mitarbeiter zum Ansprechen? Zwei nette Männer an der Kaffeemaschine. Eine Liste mit aktuellen Veranstaltungen bei GuardianCoffee? Weder online zu finden noch als Aushang im Café.

Ein Markteing-Gimmick also, schön blau. Wer mal mit einem Guardian-Journalisten reden will, ist bei Twitter besser bedient. Darum stehen wohl auch die Nutzer-Namen einiger Guardian-Mitarbeiter an der Fensterfront. Immerhin: Der Kaffee ist gut, der Earl Grey auch. Ein nettes kleines Café, wenn man sich die philosophische Überhöhung wegdenkt. Und die Zeitung gibt es gratis dazu.


Big Air Package im Gasometer Oberhausen

The Wall“ von Christo im Gasometer Oberhausen – das war 1999, und es war quietschebunt, in Ölfarben. „Big Air Package„, auch im Gasometer, aber 14 Jahre später, ist weiß und besteht größtenteils aus Luft. Ein heller, lichter Raum, in dem Kissen auf dem Boden liegen. Nach dem Frühdienst ist es doppelt angenehm, sich darauf rumzufläzen.

Die Luft hier drinnen ist warm (Gags mit „heiße Luft“ bitte selber machen), und der Klang seltsam – kein Hall, stattdessen ein verzögertes Echo. Einige Besucher machen Vogelstimmen nach, einer pfeift immer wieder die ersten Klarinetten-Takte von „Rhapsody in Blue„.

Aus dem Fahrstuhl innen im Gasometer sieht man die dicken Taue, mit denen diese seltsame Stoffblase zusammengehalten wird. Ein begehbarer Heißluftballon, ganz in Weiß. Und innen drin gedämpfte Stimmen, alle wirken entspannt. So muss das in „Brave New World“ sein, wenn gerade eine neue Ration Soma verteilt wurde.

 

Being Manuel Saiz

Was wir über Manuel Saiz wissen:

Manuel Saiz ist ein Künstler, der sich unter anderem mit dem Thema Sprache befasst.

Eines der Werke von Manuel Saiz wird gerade im Dortmunder U gezeigt.

Das Video von Manuel Saiz dauert keine zwei Minuten. Das Staunen und Nachdenken über zeitliche Abfolgen dauert länger.

Manuel Saiz lässt es sich 7,95 Euro im Monat kosten, dass andere seine Videos nicht einbetten können.

Specialized Technicians Required: Being Luis Porcar from Manuel Saiz on Vimeo.

Was wir über John Malkovich wissen: Er ist ne coole Sau.