Mehrere Monate in einer Übergangswohnung, während der eigene Lesestoff in Kisten darauf wartet, endlich auch nach Russland zu reisen. Buchläden, die mit internationalen Titeln eher mittelmäßig sortiert sind. Potschta Rossii, eine direkte Abkürzung in den Päckchen-Orkus.
Es gibt viele Gründe, warum die Lesemischung 2014 ein bisschen bunter war als sonst, nach dem Prinzip: Gelesen wird, was da ist. Auch viele Leihgaben waren dabei – nur ein Teil von dem, was unten steht, ist also auch oben auf dem Foto zu sehen.
Zeit zum Lesen war dafür viel da. Wie das halt so ist, wenn die Zahl der Freunde in Reichweite plötzlich wieder einstellig ist, draußen ständig Schnee liegt und das Pendeln zur Arbeit mindestens 60 Minuten dauert, eine Strecke.
Was bleibt, sind ein paar Trends: Die wiederentdeckte Liebe zu Christopher Isherwood. Die drei „Lucifer Box“-Bücher von Mark Gatiss, so großartig überzeichnet und liebevoll trashig. Zum ersten Mal seit ewig wieder Kurzgeschichten lesen, von Hilary Mantel, gefolgt vom Vorsatz, das wieder öfter zu tun. Stephen Frys neuen Autobiographie-Band ganz okay finden, aber zwei andere Bücher von ihm deutlich besser. Ilf und Petrow als schmerzfreier Einstieg in die russische Literatur. Zum zweiten Jahr in Folge ein richtig gelungener „Inspektor Rebus“, wobei der Dienstgrad nicht mehr stimmt. Hier also die komplette Liste:
“Crap Dates: Disastrous Encounters From Single Life” von Rhodri Marsden.Gelesen für eine Kolumne in der WAZ. Das Format „Komm, wir dengeln aus Tweets ein Buch zusammen“ ist ja bekannt, das hier ist trotzdem originell und ein Grinsen wert. Muss man aber nicht kaufen, es reicht auch,
@Rhodri Marsden bei Twitter zu folgen.
“The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society” von Mary Ann Shaffer/Annie Barrows.Eines dieser Bücher, wo bei Titel und Design komplett klar ist, dass es an Frauen vermarktet werden soll. War dann aber doch ganz lesenswert und hat mich besonders interessiert, weil es im Zweiten Weltkrieg auf Guernsey spielt, unter deutscher Besatzung. Im echten Leben gehörte damals mehrere Jahre lang mein Opa zu diesen Besatzern, der diese durchweg ruhige Zeit immer als „wir haben da die Tomaten gehütet“ beschrieben hat. Wenn er Heimaturlaub hatte, fuhr er dagegen „in den Krieg“.
“Sehnsucht ist ein Notfall” von Sabine Heinrich.Sabine Heinrich finde ich schon so lange so gut, dass ich ein bisschen Sorge hatte, ob das denn auch was wird mit dem Buch und ich sie hinterher bitte immer noch mögen kann. Am Anfang, als sich dann ein Frau-zwischen-zwei-Männern-Plot auftat und sich eine Oma mit potentiell gutem Rat abzeichnete, hatte ich kurz ernsthaft Sorge. Aber dann war das doch gar keine altersweise Rosa-Bäckchen-Oma, und es ging auch nicht um die Suche nach dem einen, wahren Mann als Lebensentwurf. Stattdessen ist das Buch ein Roadmovie, in der Italo-Variante. Schwein gehabt.
“Journey To A War” von W.H. Auden/Christopher Isherwood.Steinbeck und Capa in Russland, Ilf und Petrow in den USA – solche Reisereportagen mit zwei Protagonisten funktionieren im Idealfall gleich doppelt: Man erfährt was über das Reisen und darüber, wie die beiden Reisenden sich miteinander arrangieren.
Hier sind die beiden Reisenden
Christopher Isherwood und W.H. Auden, die jahrzehntelang Freunde waren, gelegentlich auch Liebhaber und außerdem als Künstler viel Wert auf die Meinung des anderen gelegt haben. Die zwei, zusammen unterwegs im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg, mal britisch-kolonial zum Tee beim Botschafter, mal im Dreck und Matsch kurz hinter der Front, das liest sich einfach großartig. Eines der Highlights 2014.
“Drei Männer im Schnee” von Erich Kästner.Die ganze Zeit beim Lesen Heinz Erhardt als Geheimrat Tobler vor Augen gehabt, dabei wurde das Buch gar nicht mit ihm verfilmt. Aber dieser Stil, die Geschichte um den reichen Mann mit goldenem Herzen, der sich als Armer tarnt – alles bekannt, alles oft gesehen. Und trotzdem hat das Buch ein bisschen gewärmt, im schneematschigen März.
“My Trade” von Andrew Marr.Schon ein bisschen alt, diese Ausgabe von Andrew Marrs Bestandsaufnahme der britischen Medienlandschaft. Aber mitten in der Zeit des Lebens-aus-dem-Koffer war das immer noch gute Lektüre, anekdotenreich, reflektiert und anschaulich. Und nebenbei auch ganz nützlich, um für den neuen Job das englischsprachige Redaktions-Vokabular wieder aufzupolieren.
“There Is No Dog” von Meg Rosoff.Joah. Auf eine Empfehlung hin gelesen, und die Idee, dass Gott ein hormongetriebener Jugendlicher ist, der sich leicht ablenken lässt, würde sicher das ein oder andere an dieser Welt erklären. Trotzdem: Normalerweise hab ich gelesene Bücher ganz gerne hinterher im Regal, das hier konnte ich ohne Trennungsschmerz anschließend wegtauschen.
“I Feel Bad About My Neck” von Nora Ephron.Nora Ephron hat viele Drehbücher geschrieben, darunter das für „Harry and Sally“, was als Ansporn reichte, dieses Buch hier zu ertauschen. Und ja, das ist alles geschickt gemacht, eine gute Mischung zwischen Pointen und den großen Themen des Lebens. Aber „die kann ihr Handwerk“ ist eben nicht dasselbe Gefühl beim Lesen wie „das berührt mich“. Also auch wieder weggetauscht, ebenfalls schmerzfrei.
“The Vesuvius Club” von Mark Gatiss.Wenn mir ein Künstler liegt, dann hangel ich mich ja ganz gerne durchs Gesamtwerk. Mark Gatiss schreibt Drehbücher für „Sherlock“, spielt darin Mycroft Holmes, und stand dieses Jahr am Donmar Warehouse in „Coriolanus“ auf der Bühne. (Unter Pseudonym hat er außerdem mal Geld als Autor von historisch angehauchter Pornographie verdient – die
Amazon-Rezensionen zu lesen, lohnt sich!) Gatiss‘ „Lucifer Box“-Trilogie ist schon ein paar Jahre alt, aber „Wortspielerei-lastiger Roman um einen jungen, attraktiven Lebemann und Spion, der Männer, Frauen und schöne Kleidung liebt, gerne mal beim Dinner jemanden erschießt und um 1900 das Schicksal zweier untoter Wissenschaftler ermittelt und dabei wenn nicht die Welt, dann doch zumindest Italien rettet“ ist ja ein zeitlos schönes Genre. Gekonnter Trash, perfekte Pose. Jeder Bond würde sich über so einen Plot freuen. (Schönste Namen, neben Lucifer Box: Mrs Midsomer Knight, Charlie Jackpot und Miss Bella Pok.)
“The Devil in Amber” von Mark Gatiss.Auch „Wortspielerei-lastiger Roman um einen leicht gealterten Lebemann und Spion, der Männer, Frauen und schöne Kleidung liebt, in den Zwanzigern eine Vereinigung amerikanischer und britischer Faschisten unterwandert und schließlich dem Teufel selbst entgegentritt“ ist ein Genre, das Aufmerksamkeit verdient. (Schönste Namen: Percy Flarge, Sal Volatile und Agnes Dei.)
“Black Butterfly” von Mark Gatiss.Ebenfalls ein schönes Genre: „Wortspielerei-lastiger Roman um einen vor der Pensionierung stehenden Lebemann und Spion, der Männer, Frauen und schöne Kleidung liebt, in den Fünfzigern eine heimtückische Pfadfinder-Vereinigung auffliegen lässt, der auch sein Sohn angehört“. Am besten von den drei Bänden ist aber definitiv der erste. (Schönste Namen: Kingdom Kum und die Anarcho-Criminal Retinue of Nihilists, Incendiarists and Murderers, abgekürzt A.C.R.O.N.I.M.)
“All Russians Love Birch Trees” von Olga Grjasnowa.Eigentlich gibt es keinen Grund, das Buch auf Englisch zu lesen – Olga Grjasnowa hat es auf Deutsch geschrieben, der Originaltitel heißt „Der Russe ist einer, der Birken liebt.“ Aber gut, im Buchladen gab es das eben auf Englisch, und die Stimmung, das pralle Leben und die tiefe Trauer, sind genau so,
wie die „Zeit“ es hier bejubelt.
“No Place to Hide” von Glenn Greenwald.Das Buch zum Snowden. Liest sich mit Journalistenblick erst spannend (Kontaktaufnahme, Treffen, Interview, alles hinter dem Rücken der US-Behörden), dann bedrückend (das schiere Ausmaß der Überwachung), zwischendurch lustig (wer glaubt, bei ihm im Büro würden schlimme Präsentationen gehalten, hat die NSA-Powerpoints noch nicht gesehen) und zum Schluss langatmig, wenn Greenwald wieder und wieder die etablierte Medienlandschaft verurteilt, weil sie ihm zu ängstlich, zu langsam und zu regierungsnah ist. Das ist, bei allen guten Argumenten, dann doch eher anstrengend, immer wieder zu lesen. Trotzdem, unterm Strich, gute Lektüre – erst recht, wenn man in Snowdens neuer Heimat lebt.
“Thank you, Jeeves” von P.G. Wodehouse.Ein Klassiker der britischen Literatur! Feinsinniger Humor! Die Briten und ihre Klassengesellschaft, so klug parodiert! Und endlich, endlich hab ich auch mal was von ihm gelesen und… fand’s ganz okay. Doch, ja, nett.
“Hammer and Tickle” von Ben Lewis.Die vielen Pointen mitnehmen, ohne sich vom Ton des Erzählers irritieren zu lassen, das ist der Trick, um dieses Buch gerne zu lesen. Mehr
hier.
“Juliet, Naked” von Nick Hornby.Ein Buch über Fan-Sein, Besessenheit und das Internet, und natürlich über Musik. Und klar, der Seitenhieb gegen „Let It Be Naked“ und ähnliche Vermarktungstricks ist deutlich. Die Mythenbildung und der Hype um einen Star sind hier genau so schlau beschrieben wie das komplett unspektakuläre Leben als Mitarbeiterin eines Heimatmuseums im möglicherweise langweiligsten Ort Großbritanniens. Und dann begegnen sich diese zwei Welten, und gottseidank lässt Nick Hornby das nicht gutgehen.
“Palmen in Castrop-Rauxel” von Dennis Betzholtz/Felix Plötz.Zu den guten Journalisten, die durch die Kündigungswelle bei der WAZ-Mediengruppe (heute Funke) ihre Stelle verloren haben, gehört auch Dennis Betzholtz aus der Dortmunder WR-Redaktion. Er hat daraufhin, parallel zum neuen Job, ein Buchprojekt auf die Beine gestellt und per Crowdfunding finanziert –
mehr dazu hier. Der Schreibstil lag mir nur teilweise – ich kann das nicht gut haben, wenn mich ein Sachbuchautor direkt anspricht und mir erklärt, was ich für Schlüsse ziehen soll. Aber für die Porträts und für das Projekt selber – Respekt.
“Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag” von Katrin Bauerfeind.Hat eigentlich jeder Journalist so eine Geschichte im Block, anrecherchiert und dann doch nie geschrieben? Meine ist jedenfalls ein Interview mit Katrin Bauerfeind, ca. 2005, als sie noch „Ehrensenf“ in Köln moderiert hat. Im Vergleich zu dieser Einfach-mal-machen-Atmosphäre damals ist dieses Buch manchmal ein bisschen routiniert (ich glaube, jedes einzelne Kapitel hat eine inhaltliche Klammer vom ersten zum letzten Satz, wie beim Spiegel), aber trotzdem schräg und unterhaltsam. In einem Jahr mit sehr viel Wartezeit auf dem Weg von oder zu diversen Flughäfen war das hier ein guter Griff als Reiselektüre.“
“Fucking Moscow” von Chris Helmbrecht.Wer diesen Titel mit „Verdammtes Moskau“ übersetzen möchte, liegt leider falsch. Stattdessen vögelt sich hier jemand durchs Hauptstadtleben, halb athlethisch, halb blasiert, gerne auch mal frauenfeindlich und rundum mit der Erotik einer Runde Zirkeltraining.
“Mr Penumbra’s 24-Hour Bookstore” von Robin Sloan.„Ein Gesicht wie ein Fehler 404“ ist nur eines von vielen sprachlichen Bildern, die das Buch bei mir hinterlassen hat. Mehr dazu
hier.
“Das eingeschossige Amerika” von Ilja Ilf/Jewgeni Petrow.Das wahrscheinlich berühmteste Autorenduo der Sowjetunion bestand aus den Satirikrn Ilja Ilf und Jewgeni Petrow. In den Dreißigerjahren sind sie zusammen durch die USA gereist, chauffiert in (natürlich) einem Ford, und haben für ihre Leser zuhause alles aufgeschrieben: was ein drugstore ist und was „downtown“, wie allgegenwärtig die Werbung für Coca-Cola und wie es ist, Henry Ford zu einer Audienz treffen zu dürfen. Und ja, das ist ein kapitalismuskritischer, sowjetisch geprägter Blick aufs Land, aber vor allem ein neugieriger mit viel Interesse am Alltag und einem Blick für Details. Die 2011er Ausgabe ist schon wieder
vergriffen, aber es gibt sie bei Amazon für den Kindle.
“The Ode Less Travelled” von Stephen Fry.Eines der Bücher, an denen ich 2014 den meisten Spaß hatte. Im Urlaub auf der Wiese, im Regionalexpress in NRW, in Moskau am Schreibtisch. Mehr dazu
hier (zuerst lesen) und
hier (danach).
“Internet-Meme” von erlehmann/plomlompom.Nützlich, anschaulich, sprachlich manchmal recht drüsch – aber dafür reißt das bunte Thema es immer wieder raus: Wer sich für die Geschichte der Meme interessiert oder dafür, unter welchen Bedingungen sie gedeihen, ist nach diesem Buch auf Stand und hat (Kopierpaste! Snowclones!) auch gleich noch ein paar neue Vokabeln gelernt.
“Christopher and His Kind” von Christopher Isherwood.Nochmal Christopher Isherwood (für 2015 liegt noch mehr auf dem Lesestapel), diesmal über seine Zeit in Berlin, das schwule Nachtleben, den Aufstieg der Nazis und Isherwoods Versuch, seinen deutschen Partner Heinz außer Landes in Sicherheit zu bringen. Viele Versuche, auf halblegalen Wegen an ein Visum für ihn zu kommen, scheitern; die beiden hangeln sich von Land zu Land, bis die Gestapo Heinz fasst.
“The Rosie Project” von Graeme Simison.Don ist 39, Wissenschaftler mit ausgeprägten autistischen Zügen und auf der Suche nach einer Frau im Sinne von Ehefrau – per Liste mit strengen Kriterien. Als Folge eines verunglückten Dates sortiert Don zum Beispiel alle Frauen aus, die glauben, es mache einen Unterschied, ob man zum Nachtisch Pfirsich- oder Aprikoseneis isst. Und ja, das ist sehr lustig, aber nicht auf Dons Kosten, sondern dadurch, dass unterschiedliche Vorstellungen davon, was „normal“ oder „richtig“ ist, miteinander kollidieren. Sony will es verfilmen, das macht mir ein bisschen Angst, aber gut. Mal abwarten.
“Great Britain's Great War” von Jeremy Paxman.In einem Jahr, wo die Tische in den Buchläden voll liegen mit Literatur zum Ersten Weltkrieg, war das hier das eine, an das ich mich gewagt habe – wegen des Autors. Interessant war vor allem seine Einschätzung, wie der Krieg die britische Gesellschaft verändert hat.
“Making History” von Stephen Fry.„Schockierend geschmacklos“ fand die New York Times (
bzw. ihre Autorin Michiko Kakutani) dieses Buch, in dem zwei Männer mit sowas ähnlichem wie Zeitreise-Technologie zu verhindern versuchen, dass Hitler geboren wird. Ich bin immer noch baff, wie sie zu dem Verriss kommt, denn abgesehen vom britischen Humor schneidet dieses Buch Fragen an, über die man gut und lange diskutieren kann: Wie entscheidend war Hitler als Person? War er der eine Mensch, der ein Volk verführen konnte, oder war die Stimmung in der deutschen Bevölkerung so, dass das auch anderen gelungen wäre? Welche Mittel sind gerechtfertigt im Kampf gegen das Böse? Und wenn sich das Böse in einem Menschen manifestiert, wird ohne ihn dann alles gut oder ist das, möglicherweise, ein Kinderglaube? Der Moment, in dem es Hitler nie gegeben hat, ist darum hier im Buch auch nicht der Schluss.
“Diaries 1969 - 1979” von Michael Palin.600 Seiten, ein Brocken von einem Buch, und trotzdem durfte es mit ins Flugreisegepäck, weil Michael Palin einfach so unterhaltsam schreibt. Weil es faszinierend ist, wie Kreativität bei Monty Python funktioniert, auch wenn sich immer mal wieder lästige Orga-Aufgaben und Promotermine dazwischendrängen (und im Zweifel immer an Palin hängenbleiben und nie an John Cleese). Und auch, weil das ganze Umfeld einem erst recht klar macht, wie revolutionär dieser Humor zu seiner Zeit war, und wie viele Instanzen, von Fernsehsendern bis zu Filmverleihern, versucht haben, ihn einzudampfen, damit er doch bitte gefälliger und weniger provokant wird.
“Stuff White People Like” von Christian Lander.Ein Buch gewordenes
Blog, ursprünglich erkennbar ausgerichtet auf amerikanische Leser. Aber ja, auch als Europäerin hab ich mich oft erwischt gefühlt.
“Alltag in Moskau” von Lois Fisher-Ruge.Ist wahrscheinlich für niemanden sonst heute noch interessant, aber der Vergleich zwischen
Journalistenalltag in Moskau damals und heute kann schon helfen, sich 2014 an manchem weniger festzubeißen. Die durften damals noch nicht mal eine Kanu-Tour machen, ohne ihre Route vorher zur Genehmigung einzureichen, und Klopapier haben sie sicherheitshalber beim Umzug direkt mitgebracht. Dagegen sind der heutige
Formularwahn und das Importverbot für genießbaren Käse dann doch kleinere Baustellen.
“More Fool Me” von Stephen Fry.Nicht so gut wie „Moab Is My Washpot“ und „The Fry Chronicles“, und ich glaube, es liegt daran, dass es weniger um Stephen Frys Innenleben und seine Suche danach geht, wo in der Welt er so hingehört. Auch „More Fool Me“ ist immer noch unterhaltsam, aber jetzt eher eine Sammlung von Döneken rund um britische Promis. „Wie ich mal bei einem sympathischen Fremden befürwortet habe, dass er Mitglied in meinem Club werden darf, und dann war das doch der soundso aus der Band soundso und ich kannte den gar nicht.“ Hm.
“The Peculiar Life of a Lonely Postman” von Denis Thériault.Ja, okay, ich hab das wegen des
Covers gekauft. Was kein Fehler war, die
kleine Geschichte über Liebe, Dichtung und Identität liest sich schnell mal so weg – und hat bei allem Flausch am Schluss dann sogar noch einen klugen Dreh, sowas mag ich ja gern.
“The Assassination of Margaret Thatcher” von Hilary Mantel.Im September hat der Guardian die
Titelgeschichte der Kurzgeschichtensammlung veröffentlicht, und ja, am Ende ist Thatcher tot, aber darum geht es nur bedingt. Die ersten paar Geschichten sind alle auf ihre Art düster, da bleibt vor allem die Stimmung als Eindruck. Und dann „Harley Street“, deren Schlusspointe ich sowas von gar nicht habe kommen sehen, dass ich sie direkt noch mal lesen musste und gar nicht fassen konnte, was mir alles durchgegangen war. Aber auf sowas war ich nach dem ganzen Bedrückenden einfach nicht gefasst. Ein klasse Buch jedenfalls, und überhaupt: Kurzgeschichten werden 2015 mehr gelesen!
“Moranthology” von Caitlin Moran.Gesammelte Kolumnen von Caitlin Moran, viele gut, manche ausgezeichnet. Schon allein für den Text darüber, was für sie als Außenseitermädchen aus der wahrscheinlich ärmsten und sicher unkonventionellsten Familie im Ort die Stadtbücherei bedeutet hat, ist eine Hymne aufs Lesen, die das ganze Buch lohnt.
“The Elegance of the Hedgehog” von Muriel Barbery.Wochen später, und ich weiß immer noch nicht, ob das nun ein intelligentes, philosophisch angehauchtes Buch ist oder doch ziemlich exakt kalkulierter Edelkitsch. Besonders hängengeblieben: das oberflächliche Oberschichts-Paar, dass seine Töchter „Colombe“ und „Paloma“ nennt (zwei Täubchen), die Katzen aber „Constitution“ und „Parliament“. Nach diesem hier und dem einsamen Postmann weiter oben muss ich jedenfalls so schnell kein drittes Buch mehr lesen, in dem westliche Seelen durch Begegnung mit japanischer Kultur Erlösung finden.
“Saints of the Shadow Bible” von Ian Rankin.Bei John Rebus geht es ja gerne mal um die großen moralischen Fragen. Diesmal auch, und der Ton ist für seine Verhältnisse manchmal regelrecht heiter. Er hat mehr als sonst die Zügel in der Hand, und man gönnt ihm das so, dem ollen, abgeklärten Sack.
“Russki Extrem” von Boris Reitschuster.Schon ein paar Jahre alt, taugt aber immer noch als kleines Russland-Einsteigerbuch. Der Stil ist mir manchmal ein bisschen zu betulich (hab mich gefragt, ob das mal Kolumnen waren, und ob da ein Redakteur den berüchtigten Satz gesagt hat, man solle beim Leser nicht so viel voraussetzen), aber ja, kann man gut mal lesen.
“Comfort and Joy” von India Knight.Gekauft bei Oxfam in London – das Buch konnte ja nur gewinnen. India Knight kannte ich bisher nur von Twitter, hier schreibt sie über eine Weihnachts-Perfektionistin, und nein, das ist nicht so klischeeig, wie es gerade klingt. Aber nachdem jahrelang die englische Tradition gewahrt werden muss, ist das schönste Fest im Buch dann das im sonnigen Ausland. Vermutlich hat die Geschichte eine Moral, das stört aber nicht weiter.
“How To Be A Woman” von Caitlin Moran.Wer sich noch mal vergewissern möchte, wie das alles war mit dem Feminismus, warum das Thema weiter wichtig ist und man keine anstrengende Spaßbremse ist, wenn man es wichtig nimmt: Das hier ist euer Buch. Es ist das wahrscheinlich bestgelaunte Buch über Sexismus und was man dagegen tun kann, es hat eine Haltung und einen unverwechselbaren Ton.
“Das goldene Kalb oder die Jagd nach der Million” von Ilja Ilf/Jewgeni Petrow.Noch mal Ilf und Petrow, diesmal Roman statt Reisereportage, und ich hab mich ein bisschen schwer damit getan. Einerseits ist die Sprache ungewohnt, fantasievoll, anschaulich und viele Formulierungen so, dass man sie dringend laut vorlesen muss. Andererseits ist diese Episodenform mit immer neuen Protagonisten, immer neuen Situationen, auf Dauer doch ein bisschen „Harald und Eddi“.
“An Armenian Sketchbook” von Vasili Grossman.Nachdem der KGB das Manuskript für seinen jüngsten Roman beschlagnahmt hatte, reiste Vasili Grossman Anfang der Sechziger nah Armenien, um dort einen Roman zu übersetzen. Nebenher entstand dabei dieses Buch, eine Mischung aus Reisebericht und lautem Nachdenken über Stalins Politik, über Nationalismus und Propaganda, über innere Emigration und Selbstmord. Ohne große Struktur – Grossman schreibt sich alles von der Seele – aber in klarer Sprache und bei allem Ernsten auch mit viel Humor, Wärme und Selbstironie. (Im Anhang gibt es ein kleines Glossar, was bei den vielen literarischen und historischen Anspielungen auch wirklich hilfreich ist.)
Danke an alle Buch-Empfehler, an meine Book-Club-Mädels, die netten Leute vom Moscow Book Swap und an alle, die direkt oder über Umwege Bücherbote gespielt haben, damit alles gut in Moskau ankommt. Ihr habt einen gut!
Vielen Dank fürs Aufschreiben! Zwar ist meine Wunschliste schon wieder länger, aber ich bin erleichtert, dass ich mit meinem Misstrauen gegenüber dem Igel-Buch von Barbery nicht allein dastehe.
Nee, ich glaube auch, je mehr ich drüber nachdenke: Das Buch ist Poserei.
Oh, Du hast endlich Jeeves gelesen! Wie hat es Dir gefallen? Ich hätte da noch ein paar mehr Jeeves-Bände, falls Du Interesse hast. 🙂
Also ich fand es ganz gut, aber nicht so hinreißend, wie ich es mir dem Ruf nach vorgestellt hatte. Aber bei Gelegenheit gerne – das, was Du für das Beste hältst!