Was sich Horst Seehofer heute in Skolkovo angucken kann

skolkovo bus shuttle

Wer nach Moskau zieht, tut das nicht unbedingt, um künftig mehr Zeit in derselben Stadt wie Horst Seehofer zu verbringen. An mir liegt es also nicht, wenn das trotzdem so kommt. Vergangenes Frühjahr war er schon einmal hier und sorgte dabei für so Schlagzeilen wie „Horst Seehofer, neuer Liebling der russischen Medien“ und „Bayerischer Löwe krault russischen Bären“.

Ein gutes Jahr später, Seehofer in Moskau reloaded. Wie gestern die gemeinsame Pressekonferenz mit Putin war, kann man zum Beispiel bei SPON nachlesen, dort gilt der Seehofer Horst nun als „geläuterter Nebendiplomat“. Heute dann das etwas leichtere Programm: ein Besuch in Skolkovo im Moskauer Westen, wo Russland Innovativsein übt.

Ein Technopark mit eigener Hochschule, Campus und Wohngebäuden, hochgezogen mit Regierungsgeld und mit Expertenunterstützung vom Massachusetts Institute of Technology. Das Ganze ist, je nachdem, wen man fragt, Russlands Silicon Valley oder ein Milliardengrab. Weder Laptops noch Lederhosen, dafür Touchscreens und Hackspaces.

Skolkovo Werkzeug

Wenn Seehofers Besuch ähnlich wie der unserer Gruppe im vergangenen Jahr beginnt, dann auf einem Parkplatz. Eine von vielen Visionen für das Projekt Skolkovo war einmal, dass hier nur Elektroautos fahren sollen, still und ökologisch. Nun stehen vor den Toren die bunt lackierten Shuttlebusse, alle mit konventionellem Antrieb und – wir sind in Russland – permanent laufendem Motor.

Das Shuttle rollt, vor dem Fenster mal fertige Gebäudekomplexe, mal nur Acker. Skolkovo entsteht, immer noch. Bis 2020 sollen hier hier 35.000 Menschen arbeiten, auch Wohngebäude sind geplant. „Nobelstraße“ steht optimistisch am Wegesrand. Wir sind auf dem Weg zu dem, was unsere Begleitung das „größte zivile Robotik-Projekt in Russland“ nennt: Hier werden Exoskelette gebaut, mit deren Hilfe Menschen, die sonst einen Rollstuhl brauchen, laufen können sollen. Einer der „Piloten“ ist heute hier für einen Probelauf. Anpassen, ein paar Meter gehen, nachjustieren, noch ein paar Meter. Große Schritte vor kleinem Publikum.

1400 Start-Ups aus ganz Russland, in Moskau an einem Ort gebündelt, mit Einnahmen von zusammengerechnet einer Milliarde Dollar im Jahr 2015. 416 von der Skolkovo-Stiftung geförderte Projekte. Mehr als 1800 beantrage Patente. Das sind die offiziellen Zahlen. Doch Durchsuchungen wegen Korruptionsverdacht, Kritik von Transparency International und Entlassungen nach Unterschlagungsvorwürfen, schwindendes Interesse bei der politischen Führung und Sparauflagen – auch das ist Skolkovo.

Wir fahren dann noch rüber zu SkolTech, der eigenen Hochschule, die alle Kriterien für Hochglanz-aber-bitte-studentisch erfüllt: bunte Sitzsäcke in den schicken Räumen. Gut ausgestattete Labore, schwere Türen, hinter denen Doktoranden gerade einen Versuch mit Lasern aufbauen. Ein Schlafbereich für müde Forschende. In der Cafeteria steht ein Automat, an dem man seine Instagram-Fotos ausdrucken kann.

Ein großes Zimmer ist mit Matten ausgelegt wie zum Bodenturnen, vor den Wänden sind Netze gespannt. „Sieht aus wie ein Yogazimmer“, sagt unser Gastgeber, „ist aber zum Drohnentesten. Die Netze sorgen dafür, dass sie nicht bei jedem Fehler gegen die Wand fliegen.“ Wie viele Menschen zwischen all dem universitären Hochglanz tatsächlich studieren – die Zahlen sind da nicht so richtig stimmig. Was ist PR, was ist Realität?

Eine Tür im Skoltech-Gebäude dürfte heute Horst Seehofer übrigens besonders interessieren. Falls das mit den Moskaubesuchen nun eine jährliche Tradition werden soll, will er sich ja vielleicht die lästigen Flugreisen ersparen. Da würde künftig ein Schritt durch diese Tür reichen. Und die Frage „Realität oder nicht“ ist zumindest hier dann auch ganz eindeutig beantwortet:

Skolkovo Teleportation

Coda

Coda story logo

Neuer Monat, neuer Job: Als ich vor zwei Wochen hier die Bilanz von drei Jahren bei der Moscow Times zog, hatte ich ja schon angekündigt, dass sich etwas Neues anbahnt. Nun ist es endlich auch spruchreif: Ab sofort kümmere ich mich um Social Media bei Coda – einem journalistischen Nonprofit, das sich auf hintergründigen Journalismus konzentriert, oft mit einem Blick auf die Staaten der früheren Sowjetunion.

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass mir Coda zum ersten Mal aufgefallen ist. Damals war das Projekt noch ganz neu und veröffentlichte gerade die Video-Dokureihe „Transmoskva“ von Pascal Dumont. Als ersten Schwerpunkt hatte sich Coda da gerade das Thema #LGBTQCrisis rausgesucht. Seitdem sind zwei weitere Komplexe hinzugekommen – #DisinformationCrisis und #MigrationCrisis. Drei Themen, die in diesen Tagen gar nicht genug Aufmerksamkeit bekommen können – darum arbeitet Coda unter anderen mit dem Guardian, Eurasianet und Magnum Photos zusammen.

Wer wissen will, aus welchen Mythen sich Schwulenhass in Russland speist, was virale Videos mit dem Krieg in der Ukraine zu tun haben oder wer geflohenen Schwangeren hilft, mit der deutschen Bürokratie zurecht zu kommen, der kann das bei Coda nachlesen. Bei anderen Themen ist auch Angucken eine Option, Coda arbeitet viel mit Video und Animation.

Neue Kollegen also, in New York, in Tiflis und in Berlin. Neue Themen – allein das Einlesen in den letzten Tagen, von Armenien bis Tadschikistan, war schon faszinierend. Neue Aufgaben zum Einarbeiten: Social Media für Videos, was muss ich da noch mal wissen? Was geben wir als Redaktion uns für Regeln für Live-Tweets? Und was mache ich wohl beim Moderieren von Facebook-Kommentaren, wenn die plötzlich auf Georgisch sind?

So viel Neues, aber auch ein paar Konstanten: Weiterhin Social Media, weiterhin auf Englisch, weiterhin mit Blick auf Russland und die Region – über all das bin ich froh. Wer sich für die Arbeit von Coda interessiert, findet mehr bei der taz oder beim NiemanLab – und natürlich bei Facebook, Twitter, Instagram und was immer wir uns sonst noch so an Plattformen aussuchen.

Twitter, Facebook, Instagram – jeder nur einen Wunsch!

In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, gab es halt auch noch kein Internet. Heute gibt es das Web, es gibt dort Tools ohne Ende, viele davon kostenlos – und es gibt Wünsche, die daraus entstehen. Klar, Dienste wie Google, Facebook oder YouTube sind deshalb kostenlos, weil sie aus uns Nutzern Geld machen können.

Niemand zwingt uns dazu, diese Dienste zu nutzen – außer deren Erfolg, der Sog der anderen Nutzer. Kann also sein, dass sich der kommende Post ein bisschen liest wie der Blick ins Maul eines geschenkten Gauls. Bei kostenlosen Angeboten auch noch Ansprüche entwickeln? Echt jetzt?

Ja, echt jetzt. Zumindest für diejenigen, mit denen man sich als Social-Media-Mensch jeden Tag auseinandersetzt, muss das jetzt mal sein. Ich fass mich auch kurz – nur ein Wunsch pro Tool.

Facebook

Facebook muss man nicht erklären, seine „Pages“-App aber vielleicht doch. Die ist so eine Art dienstlicher Facebook-Zugang für Leute, die dort Seiten verwalten. Der Arbeitgeber kann ein Fußballclub sein, ein Waschmittelhersteller, eine Partei oder ein Promi – oder eben, wie bei mir, ein Medienunternehmen. Uns alle verbindet, dass wir nicht nur jetzt gerade mal einen spontanen Post raushauen, sondern sie mit „Pages“ auch zur späteren Veröffentlichung planen. Bei der Moscow Times gilt das etwa für Artikel, die dann gepostet werden sollen, wenn ich schlafe – für die Leser in anderen Zeitzonen. Es gilt auch für Regularien wie unser tägliches Kalenderblatt, das Guten-Morgen-Foto oder das Literaturzitat.

Das Problem: Nutzt man Facebook im Browser, werden einem die vorgeplanten Beiträge schlicht chronologisch angezeigt – zuoberst der, der als nächster erscheint. Wer scrollt, kommt vom Freitag zum Samstag zum Sonntag, vom Juni zum Juli zum August. In der „Pages“-App dagegen sieht das so aus:

Facebook Pages App kscheib

Nach dem 17. August kommt also der 18. Juli, dann der 13., dann, oh, der 14, das ist ja sogar ausnahmsweise mal sinnvoll. Wo gucke ich, wenn ich heute, am 30. Juni, wissen will, ob ich schon ein Literaturzitat für den 1. Juli eingeplant habe? Ich hab spaßeshalber mal immer weiter nach unten gescrollt – und brauchte sechs komplette Bildschirmlängen bis der 1. Juli erschien. Zwischen dem 2. und dem 5. hatte er sich versteckt, der Schelm. Im Moment hoffe ich jedenfalls bei jedem neuen App-Update, dass Facebook diesen Bug endlich behebt.

Instagram

Wenn ihr glaubt, dass Instagram da, wo ihr euch gerade aufhaltet, eine große Nummer ist, dann empfehle ich eine Reise Richtung Osten. You ain’t seen big until you’ve seen Instagram-in-Russia big. Von den 500 Millionen Instagram-Nutzern leben gefühlte 480 Millionen in Russland, jede noch so kleine Kneipe hat hier ihren eigenen Account und fordert Dich auf, das Bier doch bitte dort mit entsprechendem Hashtag zu posten. Fällt mir eine russische Freundin ein, die nicht bei Instagram ist? Ja, aber erst nach langem Überlegen.

Für die Redaktionsarbeit macht das Instagram ideal, um den Alltag in Russland abzubilden. Den Sexismus und den Backlash dagegen. Die tagtäglichen Absurditäten. Die unersetzbare, wunderschöne, brechend volle Metro. Das alles wäre allerdings deutlich einfacher zu zeigen, wenn man nach mehr als immer nur einem einzelnen Hashtag suchen könnte.

#Moskau streut zu weit, #Metro auch, #Moskauermetro (in allen Fällen sind natürlich die russischen, kyrillisch geschriebenen Hashtags gemeint) benutzen lange nicht so viele Menschen. Bei Twitter kann man problemlos eine &-Suche machen, bei Instagram muss man sich mit Krücken wie Mixagram behelfen. Vielleicht könnte Instagram das ja einfach kaufen und integrieren?

Storify

Mit Storify kann man selbstgeschriebenen Text und Social-Media-Posts von verschiedenen Plattformen leichter zu einer Geschichte kombinieren, als das mit vielen Redaktionssystemen geht. Zuletzt haben wir es bei der MT zum Beispiel benutzt, als Russlands Premierminister mit einem ungeschickten Zitat zu Rentenerhöhungen für allerlei Memes sorgte.

Storify ist praktisch, intuitiv, sieht gut aus – und hängt sich bei einem von fünf Artikeln so katastrophal auf, dass man nicht einmal mehr speichern kann. Egal, ob in Russland oder in Deutschland, in der Redaktion oder vom Privatrechner, mit VPN oder ohne – die Verbindung wackelt. Die freundliche, aber hilflose Support-Truppe arbeitet nach US-Uhrzeiten, meldet sich also erst zurück, wenn das Problem längst auf die übliche Art gelöst ist: den Text rauskopieren, die Links zu allen Posts in separaten Tabs öffnen, ein neues Storify beginnen – und darin dann wieder von null anfangen mit dem Zusammenbauen.

Tweetdeck

Das Problem gibt es, so lange ich Tweetdeck benutze, vor über einem Jahr hab ich mir schon mal den Frust darüber vom Hals gebloggt. Geändert hat sich nichts: Wer hier einen Tweet mit Bild zur späteren Veröffentlichung plant und ihn später noch mal ändern will (einen Tippfehler weg, einen passenderen Hashtag hinzu), dem bleibt weiterhin nur: löschen und von vorne anfangen. Denn bearbeiten lassen sich nur Tweets ohne Bild.

Ein ergiebiger Bug, über den man sich jede Woche ärgern kann.

Twitter

Nicht alle Wünsche muss man detailliert erklären, der hier ist ganz einfach: Twitter, können wir uns einfach drauf einigen, dass ich keine falschen Hinweise auf neue Nutzer-Interaktionen mehr angezeigt bekomme? Ich meine sowas hier: Oh, guck, eine neue Benachrichtigung von Twitter!

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Wie interessant, was mag es sein?twitter neu 2

Wieder nur ein neuer Hinweis auf etwas Altes. Meh. twitter neu 3

Also, Twitter: Kein Phantom-Alarm mehr, bei dem sich der neue Like und Retweet dann doch nur als neue Benachrichtung über einen alten entpuppt, ja? Danke.

Falls jemand mit denselben Baustellen zu kämpfen hat oder – noch besser – einen Weg gefunden hat, sie zu umschiffen: Ich freue mich über Tipps, in den Kommentaren oder bei Twitter.

Das Tass-Archiv auf Instagram


Das sollte einer dieser Arbeitstage werden, wo man so richtig was wegschafft. Ein fleißiger Dienstag, an dem erst mal ordentlich Facebook-Kommentare moderiert werden, dann „On this day“-Kalenderblätter recherchiert und geschrieben, auf Vorrat, mindestens bis Monatsende.

Danach Mails, anschließend mal gucken, welche Kollegen-Accounts bei Twitter zum Verifizieren eingereicht werden sollen. Bisschen Planung für morgen, denn Mittwoch ist Produktionstag bei der Moscow Times, da gibt es immer so ein paar Grafiken, die auch bei Social Media ganz gut…

Nun ja.

Kurz nach den Facebook-Kommentaren und noch vor den Kalenderblättern ist was dazwischen gekommen. Ein Tweet nämlich, in dem ein Moskauer Kollege auf ein TASS-Archivbild hinwies. Mit Hashtag. Dem man ja mal folgen könnte, erst bei Twitter, dann weiter drüben bei Instagram.

Eine Stunde später ist dieser Blogpost fertig – weil solche Bilder bestimmt auch für andere faszinierend sind. Die TASS ist im Staatsbesitz, die Inszenierung von sowjetischer und russischer Wirklichkeit auf ihren Fotos fällt also manchmal eher idyllisch als kritisch aus. Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist der Hashtag архив_тасс aber durchaus interessant:

Einer der Moskauer Zuckerbäckerbauten in den Fünfzigern, effektvoll beleuchtet.


Studenten der Lomonossow-Universität als begeistertes Publikum einer Rede von Fidel Castro.


Ein Ausflug ins Neuland der Telekommunikation. Aufgenommen wurde das Bild in einer Fabrik in Riga, und natürlich passt das Haarband perfekt zur präsentierten Produktreihe.


Bären und Schnee – zwei Russlandklischees auf einmal abgehakt!


Mode im Herbst 1975 (Die Haare! Der Eyeliner!). Und täusche ich mich, oder wurde mehr Herbstlaub fotografiert, als das mit den Farbfotos noch neu und aufregend war?


Ein Mann bringt 1979 in einem Überschwemmungsgebiet in Baschkortostan gerettete Hasen in Sicherheit. In Uniform. Natürlich.


Vereiste Wimpern, gefrorene Atemluft am Schal: Eine Vorstellung davon, wie kalt es in der Region Krasnojarsk wird, gibt dieses Bild aus dem Jahr 1988.


In den russischen Krisenzeiten Anfang der Neunziger versucht ein Junge, als Autowäscher am Straßenrand Geld zu verdienen.

Liebe in der Luft

Love is in the air, dafür hat Wassily Kirsanow gesorgt. Die Millionen von Menschen, die täglich mit der Moskauer Metro fahren, mögen seinen Namen nicht kennen, aber viele verdanken ihm ein Lächeln oder einen Schnappschuss. Denn wenn sie in der Eingangshalle der Haltestelle „Park Kultury“ einen Blick hinauf in die Kuppel werfen, hängen da rote, herzförmige Luftballons. Wassily hat sie dort hochgeschickt.

„Alles fing damit an, dass ich vor zwei Jahren mit der Metro unterwegs war und bei Park Kultury zufällig hochgeguckt habe,“ erzählt er. Zwei Herzballons hingen unter der Decke, er machte ein Foto für den in Russland fast schon obligatorischen Instagram-Account und freute sich. „Es hat sich angefühlt wie die Sorte Glück, die man eigentlich nur als Kind kennt. Ein Glaube an Wunder und Liebe.“ Als er ein paar Tage später wieder vorbeikam, waren die Ballons weg. „Aber da stand mein Entschluss schon fest: Ich werde diese Kuppel mit Herzen füllen!“ Kein philosophischer Überbau, kein komplexes Kunstprojekt. Einfach mal etwas tun, weil man es kann – und weil es anderen Metropassagieren den Alltag ein bisschen bunter macht. Es folgten zwei Jahre Warten, Planen, Sparen – die Ballons kosten zwischen 50 Cent und einem Euro, und dann ist noch kein Gas drin. Inzwischen steht im Zimmer von Wassily , der seit zwei Jahren einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat, seine eigene Heliumflasche. Im Dezember, als Moskau besonders grau war, ließ er die ersten Ballons in die Kuppel steigen – mit ordentlich Herzklopfen wegen des Sicherheitspersonals. „Wir leben in schwierigen Zeiten, und vieles, was man in Russland tut, bekommt dann irgendwer in den falschen Hals.“

Die Aufpasser entpuppten sich als entspannt, manchmal erzählte einer von ihnen Wassily, wenn wieder besonders viele Leute zum Fotografieren da gewesen waren. Die Instagram-Bilder, die andere von seinen Herzen machen, sammelt Wassily dort auf dem Account @undergroundhearts. Egal, welche Perspektive und welcher Filter: Wenn sich in der Kassettenstruktur der Decke jeder Ballon seine eigene Vertiefung gesucht hat, wirkt die Kuppel wie ein riesiger Setzkasten. Und Wassily arbeitet daran, ihn weiter zu füllen.

Einen Monat lang kam täglich ein Herz hinzu, ihr Absender sammelte unterdessen Erfahrungen: Wie lange hält sich so ein Herz wohl in der Luft? Eins weiß er jetzt: Das hängt nicht nur von dem Ballon und dem Helium darin ab. 30 Ballons kamen in vier Wochen zusammen – und verschwanden dann auf einen Schlag. „Man hat mir gesagt, dass die Metro-Mitarbeiter die Ballons alle runtergeholt haben, mit einer Zwille. Davon gab es sogar einen kleinen Clip im Fernsehen.“

Sauer sei er am Anfang schon gewesen, sagt Wassily, aber den Metro-Leuten nehme er das nicht übel. „Die machen ja nur ihren Job. Und mein Job ist eben, Ballons da hochzuschicken. Also habe ich am nächsten Tag ein neues Herz in die leere Kuppel aufsteigen lassen.“ Knapp 20 Euro gibt er dafür im Monat aus, zum Geldverdienen jobbt er in einem Souvenirladen.  Wie es weitergeht mit den Ballons? Vielleicht ja mit einem Flashmob, der gleich eine ganze Wolke Ballons auf einmal aufsteigen lässt. Wassily hat genug Ideen, die Frage ist eher, wie lange ihm Zeit für die Umsetzung bleibt. „Wer weiß, vielleicht verbieten sie irgendwann, in der Metro Ballons steigen zu lassen. Kann sein, wir leben in Russland.“ Bis dahin aber werden über den Köpfen der Metro-Passagiere weiter rote Herzen hängen. Vor kurzem ist Wassily trotz Wirtschaftskrise auf teurere, größere Ballons umgestiegen. „Die können die Leute besser sehen.“

Fluteric – mein Moskauer Lieblings-Instagrammer

So weit ist es also gekommen, dass ich einen Moskauer Lieblings-Instagrammer habe. Instagram, das sollte man vielleicht vorweg schicken, ist hier groß. Sehr groß. Riesig, gerade bei russischen Freunden, oder vielmehr: Freundinnen.

Die Ausdauer, mit der der Alltag dokumentiert wird, jedes neue Kleidungstück präsentiert, jeder Ort zum Hintergrund für die eigene Selbstinszenierung erkoren – das ist mindestens bemerkenswert, manchmal regelrecht ermüdend. Instagram mag viele Filter haben, manchen Nutzern hier fehlt dagegen ein ganz grundsätzlicher.

Eric Shakhnazaryan ist die Ausnahme, vielleicht auch, weil sein Leben keiner Inszenierung bedarf, um abwechslungsreich und interessant zu sein: Als Solo-Flötist des Bolschoi geht er regelmäßig auf Tour in aller Welt; er ist dabei, wenn das berühmte Ballett probt. Daraus entstehen regelmäßig Bilder irgendwo zwischen Märchen und Werkstatt-Atmosphäre:

Noch besser als die Ballerinas (sorry, Mädels) gefallen mir aber Erics Treppenhäuser. „Ich gehe gerne spazieren auf der Suche nach interessanten Orten,“ sagt er, in Moskau haben es ihm vor allem alte Häuser angetan, mit ihren Stufen, Fenstern, der ganzen Inneneinrichtung.

Das Ergebnis sind Aufnahmen – alle mit dem iPhone gemacht – in denen das Treppenhaus, sonst nur Mittel zum Zweck, plötzlich im Mittelpunkt steht. Meist aus Moskau selbst, manchmal aber auch von anderswo.

An der Uliza Spiridonowka in Moskau:

Am Alten Arbat:

In der Tschernigowski-Gasse:

In Sankt Petersburg:

Im Michailowski-Theater, ebenfalls in St. Petersburg:

Stoleschnikow-Gasse, Moskau:

Im Moskauer „Hotel National“:

An der Puschetschnaja Uliza, Moskau:

Im Bolschoi-Theater:

Und noch einmal in St. Petersburg:

Wer regelmäßig russische Architektur bewundern will, kann Eric hier bei Instagram folgen – oder mit dem Hashtag #fluteric_walks die Beute seiner Spaziergänge durchstöbern.

Putin der Woche (XXVIII)

Gesehen: Auf dem Instagram-Account „Putinspiration“.

Begleitung: Sein Freund, der Baum – und ein Sinnspruch in Schnörkelschrift.

Text: „Sei stolz. Sei selbstbewusst. Sei glücklich. Sei du.“

Subtext: Das beste aus beiden Welten: wohlfeiler amerikanischer Motivationsblabla in thematisch passendem Font, getextet auf ein Putinbild, wie es putinbildiger kaum sein kann. Und wie nett, der Betreiber des noch recht neuen Accounts hat im Profil auch direkt seine Interessen angegeben: „Pferde, Schwimmen, Annektieren.“

Oben-Ohne-Punkte: 10/10, endlich mal wieder

Fünfmal staunen in der fünften Klasse

Meine-Mutter-postet

Letzte Woche war ich zum ersten Mal an der Deutschen Schule Moskau, zu Gast bei zwei fünften Klassen. Silke, bloggende Fünftklässlermutter, hatte die Idee gehabt: eine Fragestunde rund um soziale Netzwerke, weil die Schüler allmählich in das Alter kommen.

90 Minuten in einem proppenvollen Raum, in einer Atmosphäre, die einem die Kinder sympathisch macht und die Lehrerinnen direkt dazu: Normale Geräuschkulisse, normal viel Konzentration, normal viel Gewusel und Ich-muss-mal-schnell-aufs-Klo. Viele, viele, viele Fragen, und zwar von so gut wie allen.

Gelegentlich souffliert mal eine Mitschülerin das richtige deutsche Wort – einige Kinder hier wachsen zweisprachig auf. 90 Minuten Hin und Her, Frage, Antwort, Nachfrage, bessere Antwort. Alles von „Wer hat Facebook erfunden“ bis „Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?“ Das hier ist mir besonders aufgefallen:

1. Hardware

„Wie viele Geräte gibt es bei euch zuhause, mit denen man ins Internet kommt?“ Die Antworten gehen von zwei bis zu spektakulären 30 (folgt die Beschreibung des zugehörigen Vaters und seines Jobs). Und wehe, man erklärt nicht präzise genug – zum Beispiel den Trend, dass Hardware-Firmen versuchen, immer kleinere, leichtere Geräte auf den Markt zu bringen. „Das iPhone sechs ist aber größer als das fünfer.“ Äh. Ja. Stimmt.

2. Wissensstand

Jaja, alles Digital Natives, schon klar. Aber wenn ich auf die Frage hin, ob Leute per Computer Banken das Geld wegnehmen können, erkläre, was ein Hacker ist – und sofort der Hinweis kommt: „Es gibt aber auch gute Hacker, die nur gucken, ob alles sicher genug ist.“ Wenn es um WhatsApp-Alternativen geht und ein halbes Dutzend Schüler Threema kennt. Wenn einer wissen will, wo Edward Snowden gerade ist und ein anderer, ob Amerika echt Merkels Handy abhört. Dann ist das schon ziemlich beeindruckend.

3. Kompromisse

Vielleicht am interessantesten fand ich, welche Deals die einzelnen Schüler mit ihren Eltern haben. Genauer gesagt: Unter welchen Bedingungen sie in sozialen Netzwerken aktiv sein dürfen. „Keine Fotos aus unserer Wohnung.“ – „Den Instagram-Account so einstellen, dass man jeden Kontakt erst erlauben muss.“ – „Ich darf keine Fotos posten, aber meine Zeichnungen.“ Klang alles sehr pragmatisch.

4. Kettenbriefe

Kettenbriefe sind echt immer noch ein Ding. „Sind die immer fake?“, hieß die Ausgangsfrage – wir haben dann noch etwas allgemeiner über Gerüchte im Internet gesprochen. Populär war in der Klasse vor allem die Behauptung, bei einem Online-Spiel (hab den Namen leider nicht mitbekommen) sitze hinter den Augen der Katzen auf dem Bildschirm ein Mensch und gucke einem beim Spielen zu.

5. Privatsphäre

Ich dachte immer, das klassische Muster ist: Kinder geben leicht zu viel preis und Eltern müssen sie davor schützen. Stimmt aber gar nicht immer, mehrere Schüler haben vom umgekehrten Problem erzählt: „Meine Mutter postet Bilder von mir bei Facebook und ich will das nicht.“ – „Meine Mutter hat ein Bild von mir gepostet und ich find doof, was sie da druntergeschrieben hat.“ Bei allen Kindern, die sowas angesprochen haben, war es die Mutter.

Und hier die ganze Liste der Fragen – zumindest die vorher eingesammelten:

  • Spioniert man mich bei Facebook aus?
  • Instagram: Kann sich jemand in meine Kamera hacken und Fotos nehmen?
  • Kann jemand lesen, was wir im Internet schreiben?
  • Kann man die Bilder, die wir posten, für Werbung benutzen?
  • Sind alle Kettenbriefe („schicke das an 10 Personen weiter und Du bekommst…“) fake?
  • Wer hat Facebook erfunden?
  • Kann man mich auf den Netzwerken ausspionieren?
  • Wieso gibt es Cybermobbing und warum machen manche das?
  • Welches der sozialen Netzwerke ist am bedrohlichsten?
  • Wer hat Whats-App erfunden?
  • Ist Cyber-Mobbing schlimmer als normales Mobbing?
  • Sollte man auf einer Sozialen Netzwerk-Seite sein?
  • Wie wurden die Sozialen Netzwerke so erfolgreich?
  • Warum gibt es WhatsApp nur für Handy und nicht für Tablets?
  • Warum muss man auf Facebook seine Identität bestätigen?
  • Sind alle Sozialen Netzwerke sicher?
  • Gibt es viele Leute, die die sozialen Netzwerke missbrauchen?
  • Wenn man was auf Deutsch schreibt, können andere Menschen, die die Sprache nicht sprechen, den Post automatisch lesen (wird er automatisch übersetzt)?
  • Wieso wurde Faceboook gegründet?
  • Ist es möglich, Cyber-Mobbing zu verhindern?
  • Welches soziale Netzwerk ist am sichersten?
  • Wozu ist Snapchat gut?
  • Warum kann man Kommentare, die andere Leute beschimpfen, nicht blockieren?
  • Wie kommt man zu Bing?
  • Wie entstehen soziale Netzwerke?
  • Ab wie vielen Jahren darf man soziale Netzwerke benutzen?
  • Sagen Sie uns jetzt, dass WhatsApp und so doof ist?
  • Kann jeder einfach mein Kontakt sein?
  • Wie funktioniert Werbung in sozialen Netzwerken?

Zum Weiterlesen:

Osterbesuch mit Kindern in Moskau

Ein Facebook-Trick für große Nachrichtenlagen

Verstärkung gesucht

250,000 Facebook-Fans, 60,000 Twitter-Follower, dazu ein YouTube-Kanal und ein Instagram-Account, die mal ein bisschen Liebe brauchen könnten. Das, lieber Leser, kann alles Dir gehören, jedenfalls auf Zeit.

Wir suchen bei der Moscow Times eine Praktikantin oder einen Praktikanten für Social Media. Die ganze Stellenanzeige gibt es hier, und wer sich die URL ansieht, der merkt schon: Einfach ist hier nur wenig. Einerseits sitzen wir an schicken, schnellen Macs in einem Gebäude im Norden der Stadt, in dem es entfernt so aussieht wie auf dem Bild. Die Atmosphäre ist irgendwo zwischen Start-Up und Lokalredaktion, die Kollegen kommen aus allen möglichen Ländern, und irgendwer plant immer gerade eine Reise irgendwohin und holt sich in der Teeküche Tipps von drei anderen, die schon da waren. Einerseits.

Foto: Startup Stock Photo
Foto: Startup Stock Photo

Andererseits haben wir das älteste CMS, mit dem ich seit dem Volo gearbeitet habe, und das war immerhin 1998. Neuankömmlinge müssen sich aus den schicken Mac-Bildschirmen, den schicken Mac-Tastaturen und den schicken Mac-Mäusen erst mal eine Kombination zusammenklauben, die auch funktioniert. Verständnis dafür, wie kritischer Journalismus funktioniert, ist in Russland nicht sehr weit verbreitet – die Philosophie ist eher „wenn ihr nicht für uns seid, seid ihr wohl gegen uns“ Das führt zu interessanten Facebook-Kommentaren. Und ja, das politische Klima hier ist genau so, wie ihr es euch vorstellt in einem Land, das in einen bewaffneten Konflikt mit einem Nachbar verwickelt ist.

Wenn das jetzt als Reaktion nicht „Oh Gott“ auslöst, sondern „Das muss ich mir mal anschauen“, dann freue ich mich über eine Bewerbung. Es wird viel ums Tagesgeschäft gehen, darum, wie man Leser rund um die Welt so erreicht, dass sie in ihrer Zeitzone im richtigen Moment den richtigen Inhalt von uns sehen. Aber es ist auch genug Luft zum Rumprobieren. Für Liveblogs, schlaflose Foto-Aktionen, Storifies, Memes, Thinglinks und anderen Spökes, den ihr als Idee mitbringt. Als Pluspunkt kann ich bieten, dass sich Leute (hier, hier, hier und anderswo) von mir bisher immer gut ausgebildet gefühlt haben. Sowas macht mir Spaß, und ihr wärt hier garantiert weder Kaffeekocher noch Kopierhilfe.

Zwei Hinweise noch zur Ausschreibung: Das Praktikum ist, so leid mir das tut, unbezahlt. Und ja, auch wenn ihr das hier auf Deutsch lest, suchen wir im Prinzip Englisch-Muttersprachler. Da mir klar ist, dass ich nicht in der besten Position bin, auf diesem Anspruch zu bestehen, hier die Ausnahmeregel: Wer kein Muttersprachler ist, aber schon Erfahrung im Arbeiten für englischsprachige Medien mitbringt und diese Erfahrung auch belegen kann, ist herzlich willkommen. Bei Zeitpunkt und Dauer des Praktikums sind wir flexibel, es würde also auch gut in die Semesterferien passen.

Fragen? Hier fragen

Moskaus Metro in Instagram-Bildern – das Making-of

Thinglink wollte ich schon lange mal für ein größeres redaktionelles Projekt testen (diese Newsmap aus der heißen Zeit des Ukraine-Konflikts war eher ein schnelles Nebenprodukt), und im nachrichtenarmen Dezember bot sich endlich eine Gelegenheit. Das Ergebnis kombiniert die Metro und Instagram – zwei Dinge, die die meisten Moskauer benutzen und viele von ihnen sogar lieben.

So zufrieden ich mit dem Ergebnis bin, der Weg dahin war unnötig steinig, und das lag an Instagram. Während Twitter und Facebook einem die redaktionelle Nutzung leicht machen, macht Instagram einem lieber Umstände. (Ein klein bisschen hoffe ich ja noch, dass ich mich einfach dumm angestellt habe und hier später in den Kommentaren nachlesen kann, wie einfach alles gewesen wäre. Aber selbst von Kollegen mit deutlich mehr Instagram-Erfahrung kam auf Fragen hin meist nur: „Nein, die Funktion gibt es wirklich nicht. Ja, das ist doof.“) Darum ein kleines Protokoll.

1. So schlicht und schön sich Instagram mobil nutzen lässt, so umständlich ist es im Browser. Einloggen, Fotos gucken, Fotos liken – viel mehr geht nicht auf Instagram.com. Keine Suchfunktion, auch die Hashtags unter den Fotos sind keine Links. Meh.

2. Zur Suche gibt es externe Dienste wie Iconosquare. Ein Foto der Haltestelle Kievskaya zu finden, geht also so: Bei Iconosquare „Kievskaya“ eingeben. Unter den Suchergebnissen ein Foto finden. Bei Iconosquare das Profil des Nutzers öffnen, der es gepostet hat. Den Nutzernamen rauskopieren und im Tab nebenan hinter Instagram.com/ einfügen. Runterscrollen bis zum Motiv. Motiv öffnen. Link rauskopieren und in Thinglink einbetten.

3. Nein, Thinglink hat im Gegegsatz zu Storify keine integrierte Instagram-Suche.

4. Ja, Moskau hat knapp unter 200 Metrohaltestellen. Nicht alle davon sind schön, aber doch viele.

5. Das unter 2 erwähnte Runterscrollen kann bei fleißigen Instagrammern länger dauern. Nützlich wäre eine Suchfunktion, die nur Posts aus einem bestimmten Zeitraum anzeigt; stattdessen bleibt nur klicken und scrollen, klicken und scrollen. Es empfiehlt sich darum, nur Bilder aus den letzten zwei Wochen zu verwenden. Oder aus Profilen, die noch keine vierstelligen Bilderzahlen gepostet haben. Aber find die mal, in Russland.

6. Auch via Iconosquare kann man Instagram immer nur nach einem einzelnen Hashtag durchsuchen, nicht nach einer Kombination. Wenn die Haltestelle also heißt wie eine Sehenswürdigkeit, der nahegelegene Park oder der ganze Stadtteil, kann die Recherche nach einem passenden Motiv auch schon mal eine halbe Stunde dauern. Bei Twitter würde ich einfach nach „#Sokolniki #Metro“ suchen. Bis dahin bleibt Instagram ein Tool, mit dem ich privat gerne rumspiele, das redaktionell aber eine bessere Benutzeroberfläche braucht.

Franziska Bluhm schreibt hier darüber, was für sie Instagrams Charme ausmacht und wo es noch von anderen lernen könnte.

Von Lars Wienand kam und Katharina Kierig kam der Hinweis auf Mixagram – und ja, das ist zwar noch im Werden, aber manchmal gelingen tatsächlich Suchen nach zwei Hashtags gleichzeitig.