Moskau von oben – Videos zum Schwelgen

Moskau ist usselig in diesen Tagen. Das Wasser steht auf den Straßen der Stadt, und weiß ist der restliche Schneematsch nur da, wo er nicht grau, schwarz oder braun ist. Gummistiefel müssen wettmachen, was die Kanalisation nicht auf die Reihe kriegt.

Da hilft nur: drüberstehen, oder noch besser: drüber fliegen. Denn der Blick von oben versöhnt, auch wenn er nur Winter zeigt, wieder mit der Stadt und macht das Ach zum Hach.

Von Frankfurt nach Domodjedowo

Kurz vor dem Start in Frankfurt am Main hat Marc Schneider, Flugbegleiter bei der Lufthansa, seine GoPro im Cockpit angebracht und mit ihr den kompletten Flug nach Moskau mitgeschnitten. Durch die Regenwolken hindurch in den Sonnenschein, dann wieder runter – mit einem Blick übers schneebedeckte Moskauer Umland und ein paar Flugkurven, bei denen man sich fast am Stuhl festhalten möchte.

Was im echten Leben rund drei Stunden braucht, dauert im Zeitraffer nur gut drei Minuten. Und dank GPS-Tracking wird gleichzeitig eingeblendet, wo sich das Flugzeug gerade aufhält.

Kletterpartie in Moscow City

„Evolution“ heißt der Turm von Moskau City, der sich wie die DNA-Doppelhelix nach oben schraubt. Roofman, Klettermaxe und selbsternannter Superheld, findet durch Katakomben, an Rohren vorbei und über ziemlich viele Treppenstufen nach oben.

Dabei werden zwecks besserer Selbstinszenierung ein paar Türen eingetreten, ab und an imaginären Verfolgern der Finger gezeigt – und dann ist er endlich oben. Mit einem unglaublichen Blick über die Stadt und Kameraschwenks, die auch als Schnelltest auf Höhenangst funktionieren.

Moskau als Winteridylle

Die Uni oben auf den Sperlingsbergen sieht aus wie Hogwarts, ein Ausflugsschiff fährt durch die eisfreie Mitte der Moskwa, die Kremlmauer leuchtet rot durch den noch weißen Schnee.

Sieben Minuten Rundflug, erst im schmeichelhaften Rosa eines sonnigen Wintermorgens, später dann bei Nacht. Und dazu die Sorte Pathos-Musik, die einen einmal tief durchatmen lässt. Moskau von seiner Eiskonfektseite.

Drohnenangriff auf der Twerskaja

Bei den Videos von Copter Mobi ist die Kamera stets so montiert, dass man Teile der Drohne sieht. Dass dieser Clip anders ist, merkt man allerdings schon in den ersten Sekunden: Man sieht nicht nur die Drohne, sondern auch fünf, sechs braune Eier, die auf ihr liegen und manchmal ein wenig wackeln.

Die Drohne schwebt über die Twerskaja, dreht sich am McDonald’s, fliegt dann weiter die Straße entlang Richtung Kreml. Ein paar Ehrenrunden vorm Ritz-Carlton (von 1:15 kann man nach 3:15 springen, ohne groß was zu verpassen), dann sucht sich die Drohne in der Warteschlange an einer roten Ampel ihr Opfer.  Und ein Moskauer Autofahrer fragt sich, warum er plötzlich Eigelb und Eiweiß auf der Windschutzscheibe hat.

Putin der Woche (XXXIII)

putin der woche putin putout

Gesehen: Im Youtube-Kanal des slowenischen Komikers Klemen Slakonja, der mit dem Lied „Putin, Putout“ gerne beim Eurovision Song Contest angetreten wäre. Das wird nichts, aber über zwei Millionen Aufrufe sind ja nun so schlecht auch nicht.

Begleitung: Allerlei Tanzpersonal, eine Flasche Wodka und ein weißes Pferd, auf dem Putin oben ohne reiten darf.

Text: Zu Beginn des Videos geht es um Putins mehr oder weniger vorhandene Englichkenntnisse. Da ist es nur konsequent, dass er in absichtlich holprigem Englisch singt: „I know that World War Three, nobody wants to see – so please, EU and USA, don’t mothersuckers mess with me.“ Und später dann, mit Binnenreim: „And by the way, Eurovision is so gay! But please don’t take my soccer World Cup 2018 away!“

Subtext: Wodka, Militär, Ballerinas, Bären, Schach, Pussy Riot, rote Nelken, Gasvorkommen, High Heels, Hammer und Sichel, Raumfahrt, Buranowskije Babuschki, die Olympischen Winterspiele in Sochi, Amurtiger, Fellmützen – wie viele Russland-Klischees passen eigentlich in ein Youtube-Video? Und wird es lustiger, je mehr wir unterbringen? Warte, wir lassen noch mal den halbnackten Mann auf dem Pferd durchs Bild reiten.

Oben-Ohne-Punkte: 7/10, weil nicht konsequent durchgehalten

(Danke an Oliver Bilger für den Link.)

Tula, das Bielefeld von Russland

Tula Lenin Kreml

Die Bielefeldverschwörung ist inzwischen ja so verbreitet, dass quasi keine Radiomoderation mehr ohne auskommt. Ach Bielefeld, haha, gibt’s das also doch? Am Wochenende war ich in Tula, zwei Zugstunden von Moskau, und bin dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass es auch Tula möglicherweise nicht wirklich gibt.

Oder genauer: Dass Tula keine Stadt ist, sondern eine Simulation, die prüfen soll, wie gelassen man russischen Absurditäten so begegnet. Ein Ort, wo immer wieder Dinge anders laufen, als es der westlich sozialisierte, bestenfalls an die Metropole Moskau gewohnte Menschenverstand vermuten lässt. Und wo dann dezent protokolliert wird, wo auf der Skala zwischen „Die haben doch den Schuss nicht gehört“ und „Hach, Russland. Immer für eine Überraschung gut“ die Reaktion des Besuchs liegt.

Das Hotel

Gute Online-Bewertungen, freundliche Rezeptionistin, alles tiptopsauber, das Zimmer so groß, dass man eine Schlafcouch reinstellen und zu viert dort übernachten könnte. Und dann noch die Aussicht auf so ein richtig schönes Hotelfrühstück. Nur, dass halt der Lift kaputt ist (kein Schild, aber nach einigen Minuten Handygucken im Morgentran merkt man es ja irgendwann) und keine Treppe in Sicht. Aber gut, das Zimmermädchen da hinten hat einen Wagen, also wird sie doch sicher… voilà: Personalaufzug!

Unten dann eine Mischung aus Russischem (Kascha, Blini, Sirniki) und wildem, international gemeintem Mix (Chocolate Chip Cookies, Bratwürste, Schafskäse mit Oliven). Für den Alibisalat bastle ich mir ein Dressing, schließlich steht hier der übliche Ständer mit einer hellen und einer dunklen Flüssigkeit. Hinsetzen, probieren, bäh! „Entschuldigung, aber ich glaube, da ist ein Fehler passiert. In den Flaschen da, das ist nicht Öl und Balsamico, sondern Öl und Sojasauce.“ – „Ja, stimmt, das ist Sojasauce. Das wissen wir.“ – „Hm, okay, ich glaube, viele Gäste würden sich über ein Schildchen freuen.“ – „Ja? Okay, machen wir Schilder dran.“

Mit demselben Impuls, der andere im Flugzeug Tomatensaft trinken lässt, frage ich noch, ob der leere Teller mit Eggs Benedict wieder aufgefüllt wird oder ich zu spät dran bin. Nein nein, fünf Minuten! Schon nach drei steht eine freundliche Kellnerin am Tisch und bringt eine Untertasse, darauf ein Toast, darauf eine halbe Scheibe Schinken, darauf ein Ei, darauf ein Klecks Hollandaise, natürlich mit Haut, denn das hier ist: kalt. Nicht „vor zehn Minuten zubereitet und dann abgekühlt“, sondern „lieber Gast, hier für dich auf den Tisch, frisch aus dem Kühlschrank“.

Serviert mit demselben großäugigen Enthusiasmus, mit dem einem Kinder Gemaltes vorlegen und warten, dass man darin den Walfisch/das Sturmtief/die Schokotorte erkennt. Und der es unmöglich macht, nicht mindestens ein paar Anstandsbissen kaltes Ei mit schnittfester Sauce zu essen.

Der Kreml

Ja, auch andere Städte als Moskau haben einen, und der von Tula ist klein und in der Wintersonne wirklich ausnehmend schön. Man geht einfach durch den Torbogen und ist auf dem Gelände. Angeblich soll es hier aber auch ein Museum geben, ach, da ist ein Schild zum Ticketverkauf. Klug haben sie das gemacht mit dem Ticketkiosk am Ende der Reihe kleiner Läden, alle offen, alle einladend. Samoware, Lebkuchen, Schnitzereien.

Tula Kreml

Nur der Ticketladen ist natürlich geschlossen, wohl dauerhaft, wie der Blick durchs Fenster zeigt: ein leerer Stuhl mit leerem Tisch und leeren Regalen. Ach so, und da links, auf einem zweiten Stuhl: eine Frau, die diesen leeren Laden bewacht. Weil in Russland jede Rolltreppe, jede Schranke und jedes Garagentor halt jemanden braucht, der sie hütet. An die Scheibe klopfen also? Oder statt Museum einfach in die Wintersonne setzen und was lesen? Einfache Entscheidung.

Der Bahnhof

Der Bahnhof von Tula ist der Beweis, dass es Russland schafft, parallel in verschiedenen Jahrhunderten zu existieren. Im für jeden zugänglichen Wartesaal gibt es hohe Decken, wallende Gardinen, kränkliche Grünpflanzen und gleich mehrere Steckdosen mit dem Schild: „Gadget-Aufladepunkt“. Ja, okay, daneben hängt ein Disclaimer, der ein ganzes A4-Blatt füllt (Spannungsschwankungen, Haftungsausschlüsse), aber hey: Sowas müssen deutsche Bahnhöfe erst mal nachmachen.

Tula Bahnhof Steckdose

Die Toiletten sichern unterdessen zwei Arbeitsplätze, den der Putzfrau und den der Kartenverkäuferin. In einer Art Vorhof, umringt von Deko-Zaun und weiteren Grünpflanzen, sitzt sie in einer Kabine, nimmt die 20 Rubel Gebühr entgegen und händigt dafür eine Quittung aus. Dann zeigt sie vor sich auf die kleine Fensterbank ihres Häuschens, in die ein Kugelschreiber aufrecht hineingerammt wurde und so eine Rolle tiefgraues, einlagiges Klopapier festhält. „Nehmen Sie sich was mit,“ sagt die Frau. Was sie nicht sagt: Die Toiletten sind allesamt von der Loch-im-Boden-Variante.

Gadget-Ladepunkt: 2016. Toiletten: 1916, bestenfalls. Die haben doch den… äh… hach, Russland. Immer für eine Überraschung gut.

Tula Bahnhof Toilette

Doku-Tipp: Transmoskva

Transmoskva Coda Vika

Eine kurze Phase von Tauwetter und Toleranz, dann zurück zu Diskriminierung und Verfolgung – so stellen sich die letzten Jahrzehnte in Russland für Menschen dar, die schwul, lesbisch, bisexuell oder transgender sind.

Wenn ein Gesetz das „Werben für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ verbietet und die Regierung den Schulterschluss mit der nicht als liberal bekannten Orthodoxen Kirche übt, entsteht ein erschreckendes Klima: Laut einer Umfrage aus dem Herbst wollen 37 Prozent der Befragten, dass Menschen, die nicht den im Russland tief gefestigten sexuellen Rollenbildern entsprechen, aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden. 21 Prozent fordern gar deren „Liquidierung“. Der Hass ist mehrheitsfähig.

Wie viel Mut es bedeutet, in solch einem Klima als Transfrau in Russland zu leben, zeigt Vika, die zu Beginn dieser Doku-Reihe als Fahrerin in Moskau arbeitet und gerade das Geld zusammen hat für eine OP, nach der ihr Gesicht femininer aussehen soll. Pascal Dumont hat sie begleitet und daraus die vierteilige Web-Dokumentation „Transmoskva“ gedreht. 

Vier kurze, eindringliche Folgen erscheinen derzeit im Wochentakt bei Coda, einem englischsprachigen Projekt, das hintergründigen, themenzentrierten Journalismus macht. #LGBTcrisis hat das Team seinen ersten Schwerpunkt betitelt, zu dem ein Bericht über die  Hilfsorganisation „Deti 404“ und eine Analyse des russischen Propagandabegriffs „Gayropa“ gehören. Und eben „Transmoskva“, dessen zweite Folge gerade veröffentlicht wurde. Knapp sechs Minuten ist sie lang – und lohnt sich.

Woran die Stadt Moskau alles Anteile hat

Open Data Stadt Moskau

Offenheit ist jetzt nicht das erste, was einem zu russischen Behörden und Institutionen einfällt. Dass die Stadt Moskau ein eigenes Portal für Open Data hat, war also zumindest für mich neu und überraschend.

Einige der Daten erfüllen mit Mühe das Kriterium „leidlich nützlich“, wie etwa diese Adressliste aller Moskauer Archiveoder eine Auflistung aller Busbahnhöfe auf dem Stadtgebiet (Spoiler: es sind acht). Eine Übersicht der Ausstellungen mit Eisfiguren, der mobilen Toilettenhäuschen – kann sein, dass das alles gelegentlich mal wem weiterhilft. Ist als Datensatz aber eher unspektakulär.

Sehr viel ergiebiger ist da doch die Liste der Unternehmen, an denen die Stadt Moskau Anteile hält. 155 sind das immerhin, und während sich manche sofort erschließen (Planetarium, Wasserwerk, Handelskammer, Ringbahn, Straßenbeleuchtung), sind andere durchaus bemerkenswert. Ein paar Highlights:

    – die Öffentliche Aktiengesellschaft für Informationstechnologie, Telekommunikation und Informationsmanagement im Bauwesen, an der vor allem ihr Akronym bemerkenswert ist: „INTUS“
    – die Öffentliche Aktiengesellschaft „Холодильник N 11″, was auf Deutsch nichts anderes heißt als „Kühlschrank Nummer 11“
    – wo wir schon so schön durchzählen: die Öffentliche Aktiengesellschaft „Wäscherei-Fabrik Nr. 55“
    „Amo Plant“, eine Autofabrik in der lettischen Stadt Jelgava, 2004 erbaut, zehn Jahre später insolvent, steht zum Verkauf
    – die Öffentliche Aktiengesellschaft „Selenograder Quelle“, die Trinkwasser verkauft (und deren Produkte ich hier noch kein einziges Mal im Laden gesehen habe)
    – ein Steinbruch in Pitkjaranta, nahe der finnischen Grenze. Produktpalette: Granit, Schotter und Sand

Es wäre eine allzu billige Überleitung, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Stadt Moskau ohnehin genug Schotter hat, Steinbruch oder nicht. Eine Metropole, die an 155 Unternehmen beteiligt ist, vor der aktuellen Krise fast ein Viertel des russischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet hat und heute immer noch ein knappes Fünftel beiträgt.

Wenn man sich aber einmal erholen will von all dem Stress, der mit Geld in solchen Dimensionen einhergeht, was tut man dann? Natürlich, man gönnt sich ein paar Wochen im Sanatorium. Schön am Schwarzen Meer, in modernen Gebäuden, mit Sportkomplex direkt dran. Das Ressort „Kamtschija“ in Bulgarien bietet sich an, mit seinem Strand und Bootsfahrten auf dem Fluss als Unterhaltungsprogramm. Eigentümer auch hier, 1500 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt: die Stadt Moskau.

SOK Kamchia Bulgarien Moskau

Putin der Woche (XXXII)

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Gesehen: Im Handy-Spiel „Демократия“ (Demokratie). Das Prinzip ist einfach: Baut man drei Dollarbündel nebeneinander, entsteht daraus ein Schaf. Aus drei Schafen wird ein Wähler, aus drei Wählern ein Wahllokal, aus drei Wahllokalen eine Wahlurne, aus drei Wahlurnen ein Abgeordneter, aus drei Abgeordneten ein Weißes Haus, aus drei Weißen Häusern ein Dmitri Medwedew und, endlich, aus drei Medwedews ein Putin. Und bei jedem Schritt erscheint Russlands derzeit berühmtester Schnurrbart, Regierungssprecher Dmitri Peskow, und gibt seinen Senf dazu.

Begleitung: Neben den schon erwähnten Vorstufen zum Präsidenten ist vor allem der Bereich über dem Spielfeld interessant. Eine Wüste in der prallen Sonne, in der irgendwann ein bärtiger Mann mit Maschinengewehr erscheint und „“Allahu akbar“ ruft. Es folgt ein russisches Militärflugzeug und, kurz darauf, Baschar al-Assad. Er wirft ein paar Goldmünzen in die Luft, die direkt auf das Konto des Spielers gehen.

Text: „Innovation, Skolkowo, Retweet! Schaffst Du drei Präsidenten in einer Reihe? … welche Verfassung?“

Subtext: Aus Schafen werden Wähler, und am Ende erscheint Putin? Die Macher dieser App haben jeglichen Subtext überflüssig gemacht.

Oben-Ohne-Punkte: 0/10

Winter in Moskau: Warum läufst Du denn so komisch?

Moskau Winter Schnee Füße

  • Weil Schneematsch auf dem Boden ist.
  • Weil Eis auf dem Boden ist.
  • Weil unter dem Schneematsch Eis auf dem Boden ist.
  • Weil die Stiefel neu sind und die Blase an der Ferse auch.
  • Weil der Akku vom iPhone platt ist und ich es in die Tasche der eher engen Hose gesteckt habe zum Aufwärmen.
  • Weil die Ex-Frau des Moskauer Bürgermeisters eine Pflasterstein-Firma hat. In letzter Zeit werden immer mehr Bürgersteige gepflastert statt geteert, und das Eis setzt sich schön in die Fugen.
  • Weil ich Angst habe, auszurutschen.
  • Weil ich gerade fast ausgerutscht wäre.
  • Weil ich gestern ausgerutscht bin und nun ein stattliches Hämatom an der Hüfte habe.
  • Weil sich der Wollsocken im linken Schuh eigenmächtig um den Fuß gedreht hat.
  • Weil das iPhone immer noch nicht wieder angeht und ich als zusätzliche Wärmequelle jetzt noch die Hand in die enge Hosentasche gesteckt habe.
  • Weil ich heute mal das Schlurfen als Strategie gegens Ausrutschen teste.
  • Weil ich 45 Minuten im Schnee vor einer Kirche angestanden habe und jetzt meine Zehen nicht mehr fühle.
  • Weil es bergauf geht.
  • Weil es bergab geht.
  • Weil ich Abstand halte zu den Autos, die dreckiges Schmelzwasser hochspritzen lassen.
  • Weil das Geländer an dieser vereisten Treppe auf Kniehöhe angebracht ist.
  • Weil ich heute dummerweise eine Hose ohne Taschen angezogen habe und das iPhone jetzt in der Achselhöhle aufwärme.
  • Weil ich endlich wieder drinnen in einem Gebäude bin – aber der Boden ist frisch gewischt, und natürlich muss man Plastikhüllen über den Schuhen tragen.

Die neue Moschee in Moskau – ein Rundgang auf Socken

Sicherheitsschleuse, Tasche durchleuchten lassen, quer über den Hof zum Fraueneingang der Moskauer Moschee. Schuhe ausziehen und ins Regal, Kopftuch aus der Handtasche kramen – als Frau in Moskau ist das ein vertrauter Griff.

Kann schließlich immer sein, dass man an einer orthodoxen Kirche vorbei kommt und sie gerne besichtigen würde. Wer dann ein eigenes Tuch dabei hat, muss sich nicht auf eines der Leihexemplare einlassen, die am Eingang verteilt (und anschließend an die nächste unbetuchte Besucherin weitergereicht) werden.

Heute also mal keine Kirche, sondern die riesige neue Kathedralmoschee. Keine fünf Monate ist die Eröffnung her, trotzdem war es eine andere Welt, in der wir damals lebten: Putin und Erdogan im Schulterschluss beim gemeinsamen Rundgang – so viel Eintracht zwischen den beiden ist heute schwer vorstellbar.

Ein Blick durch den Innenraum der Moschee

 

Sulfija Ismailowa, die uns herumführt, erzählt von den unterschiedlichen Nationalitäten, die am Bau der Moschee beteiligt waren. Ja, die prächtige Kuppel mit ihren Blautönen haben türkische Künstler ausgemalt: Koranverse in goldener Schrift, weiter unten eine Auswahl der Namen Allahs, „leider nur 40, für alle hat der Platz nicht gereicht.“

Die alte Moschee war längst zu klein geworden, zur neuen hat Sulfija allerlei Zahlen mitgebracht. 1500 Kilo schwer der Kronleuchter, 79 Meter hoch das Minarett, 57 Meter die Kuppel, oben drauf 12 Kilo Blattgold, innen drin Platz für 10.000 Gläubige und daher, mit denen in Rom und London, eine der größten Moscheen Europas. In den Teppich unter unseren Sockenfüßen ist ein Muster eingewebt, das für ordentliche Reihen an Betenden sorgt, alle mit demselben Abstand.

Noch interessanter als die Zahlen zum Bau und dem Auffrischungskurs zum Thema Islam (die fünf Säulen sind hier im Gebäude tatsächliche Säulen, neben jeder steht eine kleine Vitrine, etwa mit einem hellen und einem dunklen Faden für den Ramadan) ist aber, was Sulfija nebenbei erwähnt.

Dass „Allah“ schlicht „Gott“ bedeutet und nicht auf den Islam begrenzt ist – Schulwissen, klar. Aber dass arabische Christen „Allah“ sagen und damit die Dreifaltigkeit meinen, ist schon sehr viel anschaulicher. Als Sulfija die Regel erwähnt, dass man anderen Menschen nur das wünschen soll, was man sich selber wünscht, stehe ich plötzlich in Gedanken wieder an Kants Grab in Kaliningrad.

Zum Schluss gibt es nicht nur ein Wiedererkennen, sondern auch noch ein kleines Russisch-Erfolgserlebnis: „Wir dürfen nicht behaupten, dass unsere Religion besser ist als andere“, erklärt Sulfija, „Nur Gott ist der Richter.“ Den Nachsatz verstehe ich, ehe er aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt wird. Schließlich haben wir ihn vergangenes Jahr im Chor gesungen – als Teil eines Rachmaninow-Stücks mit russisch-orthodox geprägtem Text.

Micky Maus im Bolschoi – ein Programmhinweis für Valentinstag

Valentinstag ist ja nun wirklich der egalste der egalen Tage. Erst recht, wo es in Russland so viele andere, viel blumiger benannte Gedenk- und Feiertage gibt. Gerade war erst Tag der Diplomaten, demnächst ist schon wieder Tag des Vaterlandsverteidigers. Auch der Tag der Geodäsie- und Kartografiearbeiter steht bald wieder ins Haus, im April dann der Tag der Kosmonauten, bis zum Tag der russischen Rechtsanwälte dauert es leider noch etwas länger.

Freunde haben uns zu Weihnachten einen Kalender geschenkt, in dem der Einfachheit halber einfach täglich an jemanden oder etwas erinnert wird: Zahnärzte. Rodelhügel. Große Hoffnungen.

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Ein von Katrin Scheib (@katrinscheib) gepostetes Foto am

Es war allerdings dann doch der Valentinstag, der dafür sorgte, dass ich vorhin schon in unseren Bouquet an Fernsehsendern geguckt habe, ob auch ja der russische Disney-Kanal dabei ist. Denn der zeigt am 14. abends um 19.25 Uhr einen neuen Film, in dem passiert, was hier in Moskau eigentlich Alltag ist: Ein Touri-Pärchen aus dem Ausland beschließt, die großen Moskauer Attraktionen abzuklappern, und geht darum ins Bolschoi-Theater. Das Paar heißt: Micky und Minnie.

Disney-Figuren zu Besuch in Russland, in einem neuen Film von zehn Minuten Länge. Das ist, wie der Sprecher begeistert verkündet, noch nie da gewesen in der Geschichte des Zeichentrickfilms – das Gegenstück wäre wahrscheinlich ein Clip, in dem Mascha und der Bär das Empire-State-Building besuchen. Eine kleine russisch-amerikanische Annäherung in Zeiten größtmöglicher Distanz.

Ob es im Bolschoi dann wirklich nur Folklore und „Kalinka“ gibt wie in dem Trailer, oder nicht auch ein bisschen Ballett? Was sich die zwei an ihrem romantischen Abend wohl noch so ansehen? Und ist das eigentlich eine absichtlich altmodisch gezeichnete Variante von Micky Maus, so stilisiert und ganz ohne Farbe im Gesicht?

Ich bin, möglicherweise zum ersten Mal, echt gespannt auf Valentinstag.

Günter aus Stuttgart soll Touristen nach Russland locken

Wie soll man sie nach Russland locken, diese Deutschen? Die Werbeagentur „Stereotactic“ hat sich das gefragt, und ihre Antwort heißt: Günter. Persönlich finde ich das erst mal nachvollziehbar, ich komme aus einer Familie mit hoher Günter-Dichte. Um allerdings auch andere Familien zum Russlandurlaub zu animieren, braucht das Video dann doch noch ein paar weitere Argumente.

Günter aus Stuttgart, der für diesen Namen eigentlich ein wenig zu jung ist, muss also deutsche Klischees abbilden. (Schön zum Vergleich: Das Video derselben Agentur für die chinesische Zielgruppe.) Dass er nicht einfach ins Blaue reist, sondern einen Plan abarbeitet, versteht sich also von selbst.

FeelRussia | Gunter from STEREOTACTIC on Vimeo.

Günter aus Stuttgart hat alles vorher recherchiert und gebucht.  Günter aus Stuttgart zählt auf dem roten Platz Kremltürme und Soldaten. Günter aus Stuttgart hakt ab, was er erledigt hat. Und dann dreht Günter aus Stuttgart durch und macht mal was ganz was Verrücktes. Botschaft an die Deutschen: Kommt nach Russland, dann müsst ihr endlich nicht mehr so deutsch sein.