Russball, Folge 14: ein Anti-Fußball-Rant und Vereine bei YouTube

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Zum Auftakt in die neue Russball-Woche was Buntes: Die WM-Vorfreude-Briefmarken der Russischen Post sind durch die Bank schön gestaltet und teilweise sogar richtig clever. Weil ich mit den einzelnen Motiven nicht diesen kompletten Blogpost füllen wollte (und eventuell auch die einzige bin, die sich für das nischige Nischenthema Fußballbriefmarken interessiert), habe ich anderswo drüber geschrieben: Russische Briefmarken zur Fußball-WM: vier Stadien und ein Riesenpokal. Kleiner Anreiz: Ein besonders schönes Exemplar werde ich verschenken. Meldet euch einfach!

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⚽ „Lokomotive steht auf dem zweiten Platz, wie kann das sein?“ Nein, bei Sports.ru haben sie kein Problem damit, pointierte Überschriften zu formulieren. „Jetzt, wo ZSKA ohne Transfers auskommen muss und Spartak nach der Meisterschaftssaison erst wieder zu sich kommt, ist nur Lokomotive (19 Punkte) ernsthaft an Zenit (20 Punkte) dran.“

Es folgt eine lange Liste an Gründen: Das frisch renovierte Stadion lockt viele Lokomotive-Fans an, die Transferpolitik ist vielversprechend, der Trainer hat vielleicht nicht unbedingt die eigene Vereinsführung, aber doch die Fans hinter sich. Außerdem, so Sports.ru, seien hier ja nun immerhin „Die wichtigsten Brüder des russischen Fußballs“ unter Vertrag, Alexei und Anton Mirantschuk. Letzterer bringt Lokomotive derzeit allerdings nicht viel: Im Moment ist er ausgeliehen an den FC Levadia Tallinn.

⚽ Eine Überschrift nach demselben Muster, aber zu einem anderen Thema trägt Bombardir.ru zu dieser Russball-Folge bei: „Pesjakow ist der beste russische Torwart der Saison. Wie kam es dazu?“ Sergeij Pesjakow, das muss man kurz erklären, steht im Tor des FK Rostow, aktuell Fünfter der Tabelle. Seinen Erfolg verdankt er laut Bombardir nicht nur seinem guten Reaktionsvermögen, sondern auch Rostows starker Abwehr, die dem Gegner kaum Chancen zu Torschüssen lässt.

Das Ganze ist um so interessanter, als es sich um denselben Pesjakow handelt, den Anschi Machatschkala mal ausgeliehen und dann, mangels Erfolg, vor Ende des vereinbarten Zeitraums, wieder zurückgegeben hat – autsch! Um denselben Pesjakow auch, aus dessen Patzern und Pannen noch letztes Jahr dieses Video hier gebastelt wurde:

⚽ Am meisten geärgert habe ich mich diese Woche über die Luzerner Zeitung, eh ich gemerkt habe, dass ich mich eher über die Sport-Nachrichtenagentur SID ärgern muss. Es ist nämlich so, dass die FIFA in den vergangenen Wochen für Agenturjournalisten eine Rundreise durch alle russischen WM-Gastgeberstädte veranstaltet hat. Das Ergebnis ist, jedenfalls bei SID, ein umfangreicher Text, in dem Kritikpunkte durch eine hohe Dichte an begeisterten Bürgern, gut zitierbaren Offiziellen, Investitionsstatistiken und umfassend dargestellten FIFA-Positionen weggekuschelt werden.

Wer nicht weiß, dass die beiden Autoren ihre Eindrücke als Gäste der FIFA gesammelt haben, mit FIFA-Betreuung und von der FIFA organisierten O-Ton-Gebern – wem dieses Körnchen Salz fehlt, der bekommt ein durchweg positives Bild von der russischen WM im kommenden Jahr. Man hätte mal mit einem einem russischen Umweltschützer, einem russischen Menschenrechtler, einem russischen Korruptionsexperten sprechen können, aber die gehörten wohl nicht zum angebotenen Programm. Kritikpunkte werden also alle abstrakt und in indirekter Rede abgehandelt, Lob und Zuversicht dürfen dagegen echte Menschen mit echten Namen und echt griffigen Sätzen verbreiten.

Dass die Luzerner Zeitung dann auch noch die (selbst von diesem sehr wohlwollenden Text nicht gedeckte) Überschrift „Russland ist für die WM bereit“ drüberdengelt… hört ihr das? Ja, das ist der Locher eines Mitarbeiters der FIFA-Pressestelle, der den Artikel gerade für sein Jahresabschlussgespräch mit dem Chef abgeheftet hat. Ein schöner Erfolg! (Wer den Einstiegssatz „Jekaterinburg feiert schon“ googelt, bekommt übrigens genau vier Links, die für sich sprechen: zwei Auftritte der russischen Botschaft, ein „Business-Portal“ in Jekaterinburg, und eben die Luzerner Zeitung.)

⚽ Mit derselben FIFA-Tour waren auch einige Fotografen in Jekaterinburg. Sports.ru hat aus ihren Aufnahmen ein kleines Stadtporträt gebastelt, das viele Seiten des östlichsten WM-Austragungsortes zeigt. Mit dabei: Lenin, tanzende Kinder, sowjetische Oldtimer, ein Hund in pinken Schuhen – und, wenn man runterscrollt, auch einige Bildern vom noch nicht ganz fertigen Stadion. Und was textet die Redaktion dazu bei Twitter? „Nicht schlecht, könnte aber noch besser sein.“

⚽ „Überall weihnachtet es, auch in Langenfeld.“ Mit diesem schönen Einstiegssatz hat mir im Volontariat mal ein Kollege erklärt, wie man Geschichten aufs Lokale „runterbricht“. Westline tut das auch, weshalb es in „Warum der VfL Bochum Geld von der FIFA erhalten könnte“ zwar um Bochum geht, aber genau so gut um Dortmund oder München gehen könnte.

Interessant ist der Kern der Geschichte: Für die WM 2018 hat die FIFA die sogenannte Abstellungsgebühr erhöht – also das Geld, das ein Verein bekommt, wenn einer seiner Spieler wegen des WM-Einsatzes nicht mittrainieren kann. Hardcore-Fußballfans mögen das schon gewusst haben, für mich war es neu und interessant, wie „Unsere Spieler fahren 2018 nach Russland“ durchaus ein lukratives Geschäftsmodell sein kann.

⚽ Welcher russische Fußballverein hat den besten YouTube-Auftritt? Die meisten Abonnenten jedenfalls hat, na? Genau. Natürlich Zenit, denn dort sitzen die bereits in der vergangenen Russball-Folge erwähnten Social-Media-Talente. „Rasdewalka“, Umkleide, heißt dort ein Format, das beworben wird als „Die einzige Nachrichten-Show, die Ihnen nicht die Laune verdirbt.“ Dazu gehören dann Spielchen wie dieses, bei dem Passanten Wörter wie Skopje („eine Waffe“) oder Trondheim („irgendwas aus der skandinavischen Mythologie, das hat mit Thor zu tun“) erklären sollen:

Ganz lustig ist auch das Videoblog auf dem YouTube-Auftritt von ZSKA Moskau, inoffizielles Motto: Jetzt haben wir schon den Selfie-Stick angeschafft, nun soll er sich auch rentieren. Hier mal ein Trollgesicht eingebaut, dort eine Filmszene dazwischengeschnitten – doch doch, kann man so machen. Andere Videos, wie dieses hier von Rubin Kasan, haben eher den Charme von „Klassenpflegschaftsvorsitzender der Jahrgangsstufe 9 filmt den Ausflug ins Kernwasserwunderland“. Den kompletten Überblick über alle YouTube-Kanäle russische Fußballvereine gibt es hier.

⚽ Das hier klingt auf den ersten Blick wie eine bunte Meldung, entpuppt sich dann aber als deutlich mehr: ESPN FC berichtet über die Idee eines früheren Boxers, parallel zur Fußball-WM ein Boxturnier zu veranstalten, um „die Aggression runter von der Straße in den Boxring zu holen.“ Ob die Zahl randalierender Hooligans wirklich sinkt, wenn sie sich bei einem Boxkampf abreagieren können? Bisher jedenfalls ist das Turnier nicht viel mehr als ein Plan.

ESPN erwähnt zwar, dass die Idee ursprünglich vom russischen Duma-Abgeordneten Igor Lebedew kommt. Was fehlt, ist, dass dieser Lebedew ein gewaltverherrlichender Populist ist, der nach den Attacken russischer Hooligans in Marseille twitterte: „Ich kann nichts Falsches an kämpfenden Fans sehen. Im Gegenteil: Gut gemacht, Jungs. Weiter so!“ Solche Statements sind gewissermaßen Familientradition: Lebedews Vater ist Wladimir Schirinowski, zu dessen Hetzparolen auch schon mal Aufforderungen gehören, seine Mitarbeiter sollten doch bitte eine missliebige Journalistin vergewaltigen.

Noch nicht düster genug? Dann schauen wir mal auf den Boxer, der in dem Artikel für sein Projekt werben darf. Wladimir Nosow ist Mitglied von Sorok Sorokow, und nein, das ist kein „Social Orthodox movement“, sondern ein „Orthodox social movement“: millitante Gläubige, die sich zum Beispiel mit Gewalt gegen Schwule zu profilieren versuchen. Russisch-orthodoxe Möchtegern-Taliban. Mehr zu Wladimir Nosow, dieser Szene, und wie sie von der Kirchenspitze toleriert wird, kann man hier und hier nachlesen.

⚽ Alexander Tichonow hat über Jahrzehnte hinweg den Biathlon dominiert und bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen reihenweise Goldmedaillen erkämpft. Heute ist er Sportfunktionär und, wenn ich diesen Blogpost von ihm recht verstehe, nebenbei damit beschäftigt, sicherzustellen, dass ihm so bald keine Stelle im diplomatischen Dienst angeboten wird. Will sagen: Tichonow zieht in dem Post mal so richtig ab.

Was ihn ärgert, ist, wie viele Subventionen in Russland in den Fußball gesteckt werden, und wie wenige Erfolge es dennoch gibt. „Fußball bekommt Mittel, die ausreichen würden, um den ganzen Rest des russischen Sports zu fördern“, ist Tichonow überzeugt. „Und diese Faulenzer (gemeint ist die Fußball-Nationalmannschaft) haben es in 25 Jahren nur einmal über die Gruppenphase hinaus geschafft.“

Biathlon, das sei mehr als ein Sport, er bereite Männer und Frauen auch darauf vor, ihr Land zu verteidigen, schimpft Tochonow weiter, aber nein, überall würden immer weiter Fußballplätze gebaut, demnächst, wenn man nur Mutko dorthin schicke, sicher auch am Nordpol. Es ist ein Fußballhasser-Rant der Extraklasse, und ich kann nur dazu raten, ihn sich selber durchzulesen, und sei es mit Google Translate. Für maximalen Unterhaltungswert am besten vorher noch dieses Foto vom Tichonow mit all seinen Medaillen ansehen. Bling!

⚽  Und jetzt noch ein Text, der hier nicht hingehört. Es geht nicht so recht um Russland, und um Fußball geht es überhaupt nicht. Aber diese Reportage aus einer entlegenen Region Alaskas, wo russischstämmige „Altgläubige“ leben, ist einfach zu gut, um ihn nicht zu verlinken. Fußball ist in dieser traditionellen Gesellschaft was für Mädchen. Unterdessen hat das Football-Team Probleme, genug Spieler für eine Mannschaft zusammenzubekommen: „Keeping a high school football team together is tough, between a Russian Orthodox sect leery of the outside world and the chores of life in an isolated village.“

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Das war’s auch schon wieder, ein Russball mit ziemlich viel Weltmeisterschafts-Content. Wer darob für sich zu dem Schluss gekommen ist, dass er dieses Turnier miterleben will: Morgen* gehen laut einer frisch eingetrudelten FIFA-Meldung die ersten Tickets in den Verkauf. Vielleicht können wir ja nächste Woche schon drüber reden, wie das so klappt. Bis dann!

(*Das kommt davon, wenn man nach Mitternacht noch bloggt: In einer früheren Fassung dieses Blogposts stand, die Karten gebe es schon heute. Sorry!)



 

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