Russball, Folge 5: Frauenfußball, Stalingrad und Alkohol

Draußen Regen, drinnen Kerzenschein. So schön, dieser Moskauer Herbst, da kann man sich wenigstens aufs Bloggen konzentrieren und wird nicht durch Draußensitzen, Freilufttrinken oder gar Grillen abgelenkt. Okay, er hätte jetzt nicht schon im Juli anfangen müssen, aber was soll’s.

12 Grad und Regen, das hat ja auch seine schönen Seiten: Wenn hier demnächst die neue Saison in der Ersten Liga anfängt, können sie einfach von Anfang an den roten Fußball nehmen. Kann ja nicht mehr lange dauern bis zum ersten Schnee.

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⚽ Eine Erfolgsmeldung zum Start. Die immer wieder vorgebrachte These, dass sportliche und andere Großereignisse in autoritär regierten Ländern dazu beitragen können, diese weltoffener, freier, liberaler zu machen, ist endlich belegt. Seit wenigen Tagen gilt in Russland tatsächlich eine neue Regelung, die einen entscheidenden Lebensbereich liberalisiert: den Konsum

Wer alkoholische Getränke kaufen wollte,  musste dazu bisher an der Kasse auf Nachfrage den Pass zeigen. Künftig geht das auch mit Führerschein oder Fan-ID, schließlich sollen auch Touristen an Bier oder Wodka kommen, wenn sie gerade den Pass nicht dabei haben. Geschichte wird gemacht. Es geht voran. 

⚽ Schon der zweite deutsche Neuzugang bei Lokomotive Moskau innerhalb weniger Monate. Warum das keiner mitbekommen hat? Weil es nicht um Spieler geht. Ende Januar hat sich der Verein Erik Stoffelshaus als neuen Sportdirektor geholt, der vorher erst ein gutes Jahrzehnt bei Schalke und dann einige Jahre in Kanada war (und in seiner Twitter-Biografie stilecht „Entscheidend is auf’m Platz!“ zitiert).

Jetzt stößt Willi Kronhardt, ehemaliger Profifußballer und Trainer, als internationaler Scout hinzu. Der Mann ist das, wozu wir oft etwas ungenau „Russlanddeutscher“ sagen, was in seinem Fall heißt: Er verbrachte die ersten Jahre seiner Kindheit in Kasachstan. Und so, wie ich ihn hier gerade als Deutschen reklamiert habe, titelt die Website „Tengrinews.kz“ ihrerseits dann auch ganz stolz: „Gebürtiger Kasache bekommt einen Posten bei Lokomotive Moskau.“

⚽ An Polina Gagarina erinnert sich vielleicht die eine oder der andere noch, sie hätte mit „A Million Voices“ 2015 beinahe den Eurovision Song Contest gewonnen. Nun reicht sie, mit ordentlich Vorlauf, schon mal ihre Bewerbung für den Fußball-WM-Hit 2018 ein: „Команда 2018“, also „Mannschaft 2018“, wobei es laut Gagarina und ihren Mitmusikern DJ Smash und Egor Kreed nicht nur um Fußball gehen soll: „Ein Team, das sind nicht nur 11 Leute auf dem Platz. Ein Team, das sind wir mit dir zusammen.“ Kuckstu hier:

⚽ Beim Confed Cup war ja erst kurz vor Beginn klar, welcher russische Fernsehsender zu welchen Konditionen die Spiele zeigen würde. Insofern ist es nicht allzu beunruhigend, wenn man liest, dass es für die russischen Übertragungsrechte der Fußball-WM noch keine Einigung gibt. Sind ja noch elf Monate bis zum Eröffnungsspiel. Okay, AP merkt zu Recht an, dass die FIFA sowas sonst Jahre im Voraus aushandelt. Aber eben nicht in Russland.

In den USA hält FOX die Übertragungsrechte und wird darum jetzt fleißig von allerlei Social-Media-Plattformen umworben. Facebook, Snapchat und Twitter wissen schließlich alle, wie sehr Sport ihre Nutzer begeistert und bindet – und sollen daher Angebote in zweistelliger Millionenhöhe gemacht haben, um online Videos von Höhepunkten der Spiele zeigen zu dürfen. 

⚽ Was auch noch unklar ist: Wo die Fans alle wohnen sollen, die da kommenden Sommer zur WM anreisen. Rosturism, die russische Tourismusbehörde, kommt in einer Bestandsaufnahme zu dem Schluss, dass es nicht genügend Hotels gibt. Von den elf Spielorten gebe es lediglich in Moskau, Sankt Petersburg, der Republik Tatarstan (also rund um Kasan), der Region Krasnodar (Sotschi) und der Oblast Swerdlowsk (Jekaterinburg) ausreichend Hotelzimmer. 

Im Umkehrschluss heißt das: Wer ein Spiel in Kaliningrad, Nischni Nowgorod, Rostow am Don, Samara, Saransk oder Wolgograd sehen will, sollte die Daumen drücken, dass sich da bis zur WM noch was tut – oder damit planen, auf Hostels oder Privatunterkünfte auszuweichen.

⚽ „Der Fußball und die Deutschen“ überschreibt Trud.ru eine lange Analyse, die auch „Warum klappt das da in Deutschland mit dem fußballerischen Erfolg und bei uns in Russland nicht?“ heißen könnte. Als Hauptunterschied sieht Autor Sergeij Stetschkin die erfolgreiche deutsche Nachwuchsarbeit. „Bei der WM 1998 wurde Deutschland von Kroatien 3:0 geschlagen, bei der EM 2000 kam es nicht über die Gruppenphase hinaus.“ Schwerfällig und alt sei die Mannschaft gewesen, im Schnitt 31 Jahre. „Daraufhin krempelte der DFB die Ärmel hoch und stieß Reformen an.“ Das Ergebnis: jüngere Nationalspieler und eine erfolgreichere Nationalelf.

2012, so Stetschkin, hätten Deutschland und Russland sogar ein Memorandum zur Zusammenarbeit unterzeichnet, doch daraus sei nichts geworden, „und das kann man nicht den Deutschen vorwerfen.“ Was die Übertragbarkeit deutscher Nachwuchsförderung auf Russland angeht, ist er ohnehin Pessimist: Russland habe zwar in jüngster Zeit selbst einige Fußballschulen eröffnet. Doch die funktionierten nicht, weil „Lobbyarbeit, Vetternwirtschaft und Korruption auf allen Stufen der Bildungspyramide blühend gedeihen.“

⚽ Die britische Regierung ist früh dran und hat ihren Reiseratgeber für Fußballfans, die kommendes Jahr zur Weltmeisterschaft nach Russland reisen wollen, schon fertig. „Be on the Ball“ handelt umfassend und sorgfältig die wichtigen Baustellen ab: Sicherheit, Krankenversicherung, Visum. Die russische Eigenart, dass man sich bei der örtlichen Polizei registrieren muss. Dass Tickets nicht reichen, um ins Stadion zu kommen, sondern auch eine Fan-ID nötig ist. Alles knapp und nützlich, auch für Nicht-Briten. 

Lustig auch, welche Bedürfnisse die Autoren den reisenden Fußballfans unterstellen: Der ultrakurze Sprachführer am Ende des Ratgebers besteht aus gerade mal 18 Einträgen. Eins, zwei, drei, bitte, danke, guten Tag, auf Wiedersehen. Ich spreche kein Russisch, sprechen Sie Englisch? Und dann die Frage ganz zum Schluss, nicht etwa nach Essen, Bier oder Arzt, sondern, wie dieser Screenshot zeigt, nach der absoluten Grundversorgung: „Wie heißt Ihr WLAN-Passwort?“

 

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⚽ Vor der Fußball-Weltmeisterschaft wird der WM-Pokal schon mal auf Tour durch Russland geschickt und tingelt in zwei Etappen allerlei große Städte ab. Man kann sich dazu die extrem begeisterte Pressemitteilung durchlesen, die die FIFA dazu rausgehauen hat. Oder man liest bei The18.com eine gar nicht mal so unlustige Mischung aus Fakten und Sarkasmus zum selben Thema: „24 – Zahl der Städte, die der Pokal besuchen wird. 108 – Zahl der Pinkelpausen unterwegs.“

⚽ „Profitiert der Frauenfußball in Russland von der WM?„, fragt der Deutschlandfunk, auch wenn es im Beitrag dann nur am Rande darum geht. Wer sich aber für russische Frauen als Sportfunktionärinnen, als Führungskräfte oder einfach für Mann-Frau-Rollenbilder in Russland interessiert, kann hier den Bericht nachlesen. 

⚽ Die Entscheidung über den russischen Pokalsieger wird aller Wahrscheinlichkeit nach kommenden Mai in Wolgograd fallen. Sergej Prjadkin, immerhin Chef der russischen Fußball-Liga, lässt sich so zitieren: „Zu 99 Prozent findet das Spiel in Wolgograd statt – der Vorstand muss es nur noch genehmigen.“ Hundertprozentig fest ist das Datum der Begegnung: der 9. Mai, an dem Russland den Sieg über den Nationalsozialismus feiert.

Termin und Austragungsort passen gleich doppelt zusammen: In der Stadt, die vielen Deutschen als Stalingrad geläufiger ist, finden sich noch heute Spuren des Zweiten Weltkriegs; 2018 jährt sich der sowjetische Sieg in der Schlacht von Stalingrad zum 75. Mal. Wolgograds WM-Stadion wiederum entsteht in Sichtweite der monumentalen „Mutter Heimat“-Statue, die mit erhobenem Schwert ihre Landsleute aufruft, in den Kampf zu ziehen. Wer derzeit die Anhöhe zur „Rodina-mat“ hochsteigt, blickt genau auf die Stadionbaustelle.

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Nochmal kurz zum Deutschlandfunk: In dessen Sendung „Sport am Samstag“ habe ich ein bisschen was erzählt dazu, wo es bei der Abstimmung zwischen FIFA und russischen Organisatoren noch hakt (die Phantomtickets, ihr erinnert euch), wie sehr der russische Staat im Blick hat, wann man sich als Fan hier wo aufhält, und wie sich das anfühlt. Mehr dazu hier, der Button zum Nachhören versteckt sich in der unteren rechten Ecke des Aufmacherfotos.



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