Wie ich mich mal von einem israelischen Ministerium überwachen ließ

israel handy 
Israel, Heimat des logischen Zirkels: „Bitte seid drei Stunden vorher am Flughafen, wegen der Sicherheitskontrolle.“ – „Ich hab Sie zur Kontrolle rausgewunken, weil ich gesehen hab, dass Sie noch Zeit haben.“

Aber das ist ja erst beim Abflug. Noch stehe ich in der Schlange zur Einreise-Passkontrolle, vor mir eine Frauengruppe aus Kasachstan, hinter mir ein dänisches Rentnerpaar. Seit 90 Minuten geht das hier nun schon so, langsamer als an allen anderen Schaltern. Denn unsere Kontrollfrau scheint noch zu lernen, telefoniert viel rum, öffnet ständig die Durchreiche zum Kabuff nebenan, um Fragen zu stellen.

Wir sind also leichte Beute, die Kasachinnen, die Dänen und ich, für den Mann, der außen an unserem Pferch entlanggeht. Er möchte uns etwas Gutes tun (klar), aber nichts verkaufen (ach?). Im Auftrag des Tourismusministeriums verteilt er hier Handys, einschließlich kostenlose Gespräche, SMS und Internet und dem Versprechen von 50 Dollar als Duty-Free-Gutschein. Einzige Bedingung: Man muss das Handy immer dabei haben und drauf achten, dass es noch Saft hat. Wo wir sind und wie wir dort hinkommen, beides will das Ministerium wissen.

Darf es gerne. Wir sind hier als Journalistengruppe, alles Alumni von IJP-Austauschsprogrammen. Unterstützt wird die Reise vom Auswärtigen Amt – viel offizieller, und damit öffentlicher, kann ein Reiseprogramm nicht sein. Auch die Frau am Schalter lässt sich als erstes den Programmablauf vorlegen, winkt dann aber ab: „Das ist ja auf Deutsch, dann erzählen Sie’s mir mal.“ Normal bin ich kein Fan von „Ich hab nichts zu verbergen“-Argumentationen, aber beim Ablauf dieser fünf Tage stimmt’s. Viel Neues, außer den Routen von A nach B, wird das Handy nicht ermitteln können.

LG Handy Israel  

Was das Ministerium bei der Sache gelernt haben kann:

– dass, wer mit dem Hält-an-jeder-Milchkanne-Shuttle vom Flughafen in die Stadt fährt, sich auf dem Rückweg garantiert für ein anderes Verkehrsmittel entscheidet. Taxi, Tretroller, von Schildkröten gezogener Rennschlitten. Alles ist schneller als das.

– dass wir einen Tag in Ramallah waren, unter anderem in der deutschen Vertretung, bei der palästinensischen Autonomiebehörde und bei einer Gesprächsrunde mit palästinensischen Journalisten. Wäre irgendwas davon eine Neuigkeit für die israelischen Behörden, würde mich das ernsthaft überraschen. Mal sehen, so oder so, ob das bei der nächsten Einreise irgendwann ein Thema wird.

– dass sich bei vier Tagen Regen am Stück auch die Halter von Leihhandys bevorzugt drinnen aufhalten und sich auf Kichererbsenbasis ernähren, dabei aber keine besonders spektakulären Datenspuren hinterlassen.

– dass von dem Telefon aus einmal gesmst wurde, zweimal telefoniert und einmal kurz im Internet was nachgeschlagen, die verloren geglaubte Jacke dann aber letztlich doch nicht im Hotel lag, sondern in Moskau auf der Fensterbank.

– dass im Abendstau von Tel Aviv auch der vollste Akku irgendwann leer ist.

Und das habe ich gelernt:

– Wer ein wandelnder persönlicher Hotspot ist, muss im Bus nie alleine sitzen.

– So ein persönlicher Hotspot ist auch nützlich, wenn man selber sich nicht vom Leihtelefon in allerlei persönliche Accounts einloggen will, sondern vom eigenen. Auf wirklich Sensibles hab ich auch so nicht zugegriffen, aber zum Twittern war’s schon nützlich.

– Wenn das, wie von frotzelnden Kollegen behauptet, doch ein Mossad-Handy war, dann habe ich den verpeiltesten Agenten aller Zeiten als Ansprechpartner gehabt. Fast hätte er das Handy nicht mal zurückbekommen, weil er nicht rechtzeitig am vereinbarten Ort war. Reifenpanne, soso.

– für 50 Dollar kann man im Duty-Free-Shop so viel Kosmetik aus Schlamm kaufen, dass das Tote Meer danach einen halben Meter tiefer ist.

– mein nächstes Handy wird auf gar keinen Fall eines von LG. Gott, die Benutzeroberfläche – das Gegenteil von intuitiv. Einen eingehenden Anruf anzunehmen hat erst im zweiten Versuch geklappt, und wie man im Browser eine Seite zurück geht, hab ich bis zum Schluss nicht herausgefunden. Das lern ich dann irgendwann beim nächsten Israel-Besuch – falls das Ministerium dann wieder Handys verteilt.

Von 800 Rubeln und 19 Prozent

Rubelmünzen 
Wenn Börsenanleger auf fallende Rubelkurse wetten, ist das Spekulation. Tun es Journalisten, fällt das unter Recherche, oder sagen wir mal: kollegiales Kräftemessen in Sachen ökonomisches Urteilsvermögen. Ein Kampf des Intellekts und des Pragmatismus. Eine Fingerübung in Russlandkunde, geboren aus Weltanschauung, Bauchgefühl und tiefgehendem Hintergrundwissen.

Okay, es war Fatalismus.

In anderen Redaktionen gibt es Wahlwetten – wie viel Prozent für wen, wie viele Sitze, welche Gewinne und Verluste. Oder komplexe Fußball-Tippspiele, einschließlich vom Hausboten eingesammeltem Geld. Bei uns, die wir alle in Rubel bezahlt werden, waren die Regeln schlichter: am 30. Oktober raten, wo am 30. November der Rubel im Vergleich zum Dollar steht – und dann warten.

Heute kam die Auflösung per Rundmail, und mit ihr die Erkenntnis: Auch, wer nur zum Wirtschaftsteil greift, um in der Bahn die Füße auf den Sitz gegenüber legen zu können, hat Chancen. Siegesjubel dank der Strategie, den Kursverfall der letzten Oktobertage einfach linear fortzuschreiben! Her mit dem 800-Rubel-Jackpot!

Unter den zwei Letztplatzierten befindet sich mindestens eine Führungskraft, ein echter Russlandexperte. Dass die Schadenfreude trotzdem nicht so richtig aufkommen will, liegt vielleicht an dem Nachsatz des Kollegen, der das Prognose-Spiel angeleiert hat. In seiner Mail schreibt er: „Der Preis von 800 Rubeln ist jetzt 19 Prozent weniger wert als beim Einsammeln am 30. Oktober.“

Endlich alle Stempel für den neuen Job

Moscow Times  
Wo hört Bürokratie auf und fängt absurdes Theater an? In Russland kann man sich das gut und oft fragen, egal, ob es ums Visum geht, um einen Büchereibesuch oder irgendwas dazwischen. In einem Land, wo man schon mal sieben Stempel braucht, um eine Fahrt in einem Pendlerzug filmen zu dürfen, dauert manches halt ein bisschen länger – auch die Wartezeit, bis es in Sachen Job etwas zu verkünden gibt.

Jetzt aber: Auf den neuen Visitenkarten steht „редактор социальных медиа“, oder, wenn man sie umdreht, „Social Media Editor“, darüber das blaue Logo der Moscow Times. Eine unabhängige Tageszeitung, die nicht in Staatsbesitz ist – was in Russland dieser Tage so schnell zu einer Seltenheit wird, dass es einen gruselt. Gleichzeitig ist seit Beginn des Konflikts in der Ukraine die Nachfrage nach unabhängiger Berichterstattung besonders groß: Anfang Februar hatte die Moscow Times 50.000 Fans bei Facebook, heute sind es schon deutlich über 200.000; bei Twitter ist das Wachstum ähnlich.

Ich arbeite also nun wieder auf Englisch, was nach rund einem Jahrzehnt Pause etwa dem entspricht, wie andere das „ich hab mal wieder das Motorrad aus der Garage geholt“-Gefühl beschreiben. Ok, der AP-Style sitzt noch nicht komplett wieder, manchmal rutscht noch ein britischer Begriff dazwischen oder em-dash und en-dash gehen durcheinander, aber das wird noch. Es hat sich hier jedenfalls sehr schnell sehr richtig angefühlt – schon jetzt würde es mir fehlen, von der Fotoredakteurin morgens nicht mehr mit „Hey dude, what’s up?“ begrüßt zu werden.

Sanoma Independent MediaUnd es macht großen Spaß, sich in so Neuerungen reinzufrickeln wie die, dass wir rund um die Welt und durch alle Zeitzonen gelesen werden. Kein klassischer Morgen-Peak mehr in der Online-Nutzung, sondern verschiedene Spitzen im Tagesverlauf. Da kann es schon mal sein, dass der stärkste Facebook-Post des Tages einer ist, der erscheint, wenn alle Redakteure schlafen.

Ein dicker Pluspunkt ist auch, dass dieses kleine britisch-russisch-holländisch-kanadisch-irisch-georgisch-amerikanisch-(deutsche) Team jeden Tag über ein Land diskutiert, recherchiert und berichtet, das ich noch entdecke. Aber eben in einer Sprache, in der ich den Debatten, Einschätzungen und Argumenten folgen kann.

Das Wichtigste aber bleibt: Unabhängiger Journalismus ist in Russland rar. Dafür zu sorgen, dass er sein Publikum findet – hier und international – ist nicht die schlechteste Aufgabe, die man dieser Tage haben kann.

Chinas Staatsmedien und die Ironie

Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking
Der Eingang zum Xinhua-Komplex in Peking

Dass die staatlich kontrollierten Medien in China nicht immer gut darin sind, Ironie zu erkennen, war hier schon mal Thema. Als The People’s Daily eine satirische Lobeshymne auf Kim jong Un für bare Münze nahm und weiter verbreitete, ging ein Lachen um die Welt.

Bisher noch nicht ausreichend gewürdigt wurde dagegen die Rolle derselben Staatsmedien als Ironie-Lieferant. Als Beispiel taugt dafür die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, bei der ich 2012 über das Medienbotschafter-Programm der Bosch-Stiftung ein paar Tage hospitieren durfte. Eigentlich sollte der Zeitraum länger werden, aber es kam ein Parteitag dazwischen, währenddessen viele chinesische Redaktionen lieber keine Gäste im Haus haben wollten.

Der „Stift“, das Xinhua-Redaktionshochhaus
Am Anfang ist die Marschmusik. Quer über den Innenhof des Xinhua-Geländes ist sie bis zur Schranke am Eingang zu hören, dazu eine Lautsprecherstimme: eins-zwei, eins-zwei, eins-zwei. Daneben steht aufrecht das Haupthaus, das angeblich an einen Bleistift erinnern soll.

Xinhua ist die große, die einzige und vor allem: die staatliche Nachrichtenagentur in China. Andere Länder haben Sperrfristen, China hat Xinhua. Erst, wenn sie etwas berichtet, ist eine Meldung auf dem Markt – so ist es immer noch oft. Hier wird entschieden, was wahr ist und was öffentlich.

Vom Redaktionsalltag soll nichts Konkretes nach außen dringen, den Zettel muss ich noch vor Praktikumsbeginn unterschreiben. Das ist an sich nicht unüblich, auch in demokratischen Ländern unterschreiben Mitarbeiter solche Klauseln, wenn Firmen ihre Geschäftsgeheimnisse schützen wollen. Hier ist es allerdings doppelt bedeutsam, denn nicht nur Xinhua will sich schützen. Auch das Austauschprogramm beruht auf dieser Vertraulichkeit; wenn ein Medienbotschafter-Jahrgang sie ramponiert, erschwert er dem nächsten die Chance zum Einblick – und brockt den chinesischen Kollegen Ärger ein.

Zur Infrastruktur auf dem Xinhua-Gelände gehören auch Wohnblocks und ein eigenes Hotel.
Um vieles kann es darum in diesem Blogpost nicht gehen. Nicht um die redaktionelle Praxis, die gerade so kurz nach den neuen Beschlüssen des Parteitags interessant war. Nicht um die kritisch-flapsigen Sprüche beim Gang übers Firmengelände, das ein eigener kleiner Kosmos ist, mit Supermarkt, Hotel, Wohnblocks für pensionierte Mitarbeiter, einer Post und dem Souvenir-Shop, in dem der Schnaps der Marke Xinhua leider gerade aus dem Sortiment genommen wurde. Nicht darum, wie man beim Gespräch über den WLAN-Zugang merkt: Ach guck, Nerd ist Nerd, bei uns und bei euch.

Stattdessen eine Beobachtung, für die man nie bei Xinhua gewesen sein muss. Man kann das von außen mitbekommen, wie die Marschmusik, ehe man das Gelände betritt.

Greatfirewallofchina.orgViele Internetseiten, die der Regierung in Peking gefährlich scheinen oder ihr auch nur lästig fallen, sind in China blockiert, gelegentlich kommen neue hinzu. Unter Greatfirewallofchina.org lässt sich das leicht testen: einfach eine URL eingeben und die Seite versucht, sie von China aus aufzurufen. Google? Fail. Twitter? Fail. Facebook? Fail. Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, Wikileaks? Fail, fail, fail.

Und was macht Xinhua? Betreibt einen eigenen Twitter-Account mit derzeit fast 800.000 Followern, mit offiziellem Verifizierungs-Häkchen. Dort posten die Redakteure zum Beispiel Fotos vom aktuellen Militärmanöver. Von einem Schönheitswettbewerb in Peking. Chinas eigenes Computerbetriebssystem soll im Oktober vorgestellt werden. Mehr private Investoren für die chinesische Eisenbahn gesucht. Chinesische Promis machen mit bei der Ice Bucket Challenge. Die Schlagzahl der Tweets ist hoch, oft sind es mehrere pro Stunde.

Technisch ist es kein Problem, trotz geblockter Seite auch von Peking aus zu twittern. Das geht bequem per VPN oder, etwas umständlicher, auch mit einem IFTTT-Recipe nach dem Prinzip „Wenn ich eine Mail von diesem Account an jenen Account schicke, dann poste deren Inhalt auf meinen Twitter-Account.“

Wie gesagt, technisch keine große Nummer. Aber in Sachen Ironie ist eine staatliche Nachrichtenagentur, die jeden Tag ein paar Dutzend Mal die Zensurmaßnahmen ihrer eigenen Regierung umschifft, schon bemerkenswert. Erst recht, wenn sie dabei auch direkt noch auf „China View“, ihren Auftritt bei YouTube hinweist.

Auch YouTube ist in China geblockt.

Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto “Schönes bleibt” nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte.

Moppern über Méthode

Manches fehlt, im neuen Leben in der neuen Stadt. Und manches fehlt sowas von gar nicht.

Eidos Méthode ist ein CMS, auf dem gar nicht mal so wenige Zeitungen produziert werden. In Deutschland zum Beispiel die NRW-Titel der Funke-Mediengruppe (bei der ich im Prinzip arbeite, im Moment aber freigestellt bin), die Stuttgarter Zeitung, die Westfälischen Nachrichten und der Schwarzwälder Bote.

Weil in jeder Redaktion übers CMS geflucht wird, habe ich die letzten Jahre in Essen über Méthode geflucht. Das ist, nebenbei bemerkt, auch mutig, einem Redaktionssystem solch einen Namen zu geben. Gags mit „Der Wahnsinn hat…“ machen sich da von selbst, wenn wieder mal ein Artikel verschüttgegangen oder ein Export Richtung online gescheitert ist.

Nenn es Schadenfreude, nenn es Katharsis – jedenfalls hab ich mir den Spaß gemacht, Tweets zu Méthode zu sammeln. Nicht die vom Hersteller, sondern von Journalisten. Schließlich macht uns beim Fluchen in Vehemenz und Eloquenz so schnell keiner was vor. So lässt sich bei Twitter gut nachvollziehen, wo überall gerade Méthode eingeführt wird. (Wer etwas mehr Zeit hat: Hier ein ziemlich unfassbarer Mailwechsel dazu aus Australien.)

Am ausdauerndsten in seiner Frustration ist aber erkennbar der Mann von weiter oben: Chuck Plunkett, Politikchef der Denver Post. Nicht mehr ganz ein young man, aber angry, definitiv.

Druck macht Diamanten, Leid macht Dichter. Darum gehört das letzte Wort Dan Zak von der Washington Post:



Bloggen ist schön, macht aber viel Arbeit. Unter dem Motto „Schönes bleibt“ nutze ich deshalb den Moskauer Sommer, um ein paar Dinge aufzuschreiben, für die sonst immer die Zeit fehlte.

Kleine Wladimir-Putin-Titelseiten-Kritik

Gleich mehrere große englischsprachige Zeitschriften haben in ihrer aktuellen Ausgabe ein Putin-Cover. Aus Blattmacher-Sicht spricht da neben der aktuellen Nachrichtenlage sicherlich auch für, dass sich Putin in der Öffentlichkeit gern machtvoll, maskulin und autoritär inszeniert – gutes Fotomaterial, um daraus bedrohliche Szenarien aufzubauen. Auch wenn Newsweek dann diese Woche vielleicht doch arg dick aufträgt:

Ob die Feuerbälle in den Augen eine Anspielung an dieses Cover aus dem Herbst 1961 sein sollen? Damals hatte TIME einen furchteinflößenden Chruschtschow auf die Titelseite gehoben. Diese Woche dagegen ist das TIME-Cover zwar weniger dramatisch gestaltet, die Aussage aber trotzdem stark.

Der Economistum den man sich im Moment eh Gedanken machen muss – fällt mit diesem Titel dagegen deutlich ab. Da hilft es auch nciht, dass sie Putins Augenfarben an das Spinnennetz angepasst haben.

Ob nach den ganzen englischen Vorlagen das Spiegel-Cover am Sonntag auch wieder ein Putin-Motiv bekommt? Das hier aus dem Frühjahr hat damals unter Russen im Internet einige Aufmerksamkeit bekommen.

Vielleicht lohnt sich ja in Zukunft eine kleine Reihe mit Putin-Titeln hier im Blog. Genug Zeitschriften, die den russischen Präsidenten regelmäßig auf die Titelseite heben, gibt es bestimmt. Aber erst noch zwei ältere Putin-Cover, die einfach zu schön sind, als dass sie hier fehlen dürften.

Wie die New York Times es mit den Tweets zu #MH17 übertreibt

Wenn ein Tweet funktioniert, schick ihn noch mal“ – so stand das Anfang des Jahres in einem Text, in dem das Social-Media-Team der New York Times seine Erfahrungswerte aus dem Jahr 2013 vorstellte.

Der Text gehört auf die Leseliste für jeden, der sich mit Journalismus und Twitter beschäftigt, und auch diese Kernaussage ist überzeugend. Schließlich hat die NYT Leser rund um die Welt. Wird ein Tweet also nur einmal veröffentlicht, verpasst man ihn in einer anderen Zeitzone vielleicht. Außerdem lohnen gerade hintergründige Artikel auch Tage nach der Veröffentlichung noch das Lesen. Vor allem am Wochenende, wo unter @nytimes vorgeplante Tweets zeitgesteuert veröffentlicht werden, sei das Wiederholen darum inzwischen eine bewährte Methode, so das Times-Team.

Stimmt alles, im Prinzip. Aber das vergangene Wochenende war eine Ausnahme, denn es war das Wochenende nach dem Absturz von Flug MH17 über dem Osten der Ukraine. Die New York Times stellt einige Opfer des Unglücks vor, in Kurzporträts – und schickte dazu am Samstagabend (17.20 Uhr deutscher Zeit)
diesen Tweet raus:

Dann am Sonntagmorgen um 4.13 Uhr.

Und um 10.48 Uhr.

Das nächste Mal, mit neuer Foto-Kombo, um 16.15 Uhr.

Dann, inzwischen war Montag, um 1.27 Uhr.

Und, das bisher letzte Mal, um 8.13 Uhr.

Wenn es bei dieser Sieben-Stunden-Taktung bleibt, wird dieser Tweet also heute Nachmittag gegen 15 Uhr deutscher Zeit das nächste Mal veröffentlicht. In New York ist es dann noch halbwegs früh am Tag, kann also gut sein, dass noch die Automatik vom Wochenende greift.

Viel wichtiger aber ist: Alle sieben Stunden, das heißt nicht nur „Jeder soll eine Chance bekommen, diesen Tweet zu sehen“. Alle sieben Stunden heißt: „Wir nehmen in Kauf, dass derselbe Mensch in derselben Zeitzone diesen Tweet häufiger sieht.“ Mir zum Beispiel ist er seit Samstag viermal in der Timeline begegnet – und auch aufgefallen. Schließlich hängt extra ein Foto dran, es zeigt Gesichter – die doppelte Garantie, dass der Blick hängenbleibt. Das ist im besten Fall nur nervig, im schlimmsten Fall jedes Mal neu bedrückend und verstörend, je nachdem, wie betroffen man von dem Thema ist.

„Mit Bedacht genutzt dient das Recycling (von Tweets) unseren Lesern, indem wir ihnen (…) Inhalte dann liefern, wenn sie sie auch lesen können“, heißt es in dem Text beim Nieman Lab. In diesem Fall wäre ein bisschen mehr Bedacht und ein bisschen weniger Schlagzahl schön gewesen.

Russland, China und diese eine Szene aus „Friends“

Vokabelkarte pivotWährend die Kluft zwischen Russland und dem Westen wächst, rücken Russland und China immer enger zusammen. Allein in diesem Monat gab es nicht nur den massiven Gas-Liefervertrag, sondern auch Absprachen für eine engere Zusammenarbeit im Weltraum und für den Bau einer Brücke über den Amur.

Erst gestern Abend haben China und Russland gemeinsam einen Resolutionsentwurf zu Syrien im UN-Sicherheitsrat blockiert, und das gemeinsame Seemanöver soll auch noch in den Mai fallen.

Die Tücke daran ist, dass sich die englischsprachigen Medien auf einen Begriff für diese Hinwendung Russlands nach China geeinigt haben, der sich unsprünglich auf das Verhältnis zwischen Washington und Peking bezog: „Russia makes its own pivot to Asia„, schreibt die FT, für CNN ist „Putin’s China pivot: All tactics, no trust“ und Charles Krauthammer schreibt in der Washington Post: „Who made the pivot to Asia? Putin.

Pivot bei Reuters, pivot bei Bloomberg, pivot hier, hier und dort – und hey, Alliteration: Putin’s Pivot.

Was natürlich dazu führt, dass ich seit Wochen jeden Tag das hier im Hinterkopf habe.

Dann halt was mit Medien

Despite having a first-class degree and having read an unfeasibly large number of books, it began to dawn on me that I couldn’t really do anything. I couldn’t sing, act, tell jokes, play any musical instrument, hit, kick or catch a ball, run for more than a few yards without panting, speak another language, or assemble things without them falling apart immediately. I was a scientifically illiterate innocent with the entrepreneurial instincts of a thirteenth-century peasant and the iron determination of a butterfly. Journalism seemed the only option.

(Andrew Marr, „My Trade“)