Autor: Katrin Scheib
Die neunte China-Woche in Links
Apocalypse Mao – Der Wortspielpreis der Woche geht an Foreign Policy, mehr dazu weiter unten. Hier erklärt Christina Larson, warum von allen Problemen, die Chinas neue Spitze angehen muss, Umweltverschmutzung das dringlichste ist: „The dark side of being the world’s factory for three decades is a landscape of rivers, fields, and smoggy cities now so degraded that the World Bank estimates pollution damages annually siphon off 5.8 percent of China’s GDP.“
China’s Paid Trolls: Meet the 50-Cent Party – Ai Weiwei interviewt einen 26-Jährigen, der dafür bezahlt wird, dass er im Internet Diskussionen im Sinne der chinesischen Regieurng beeinflusst: „Sometimes you know well that what you say is false or untrue. But you still have to say it, because it’s your job.“
Demokratie chinesischer Prägung: Theater mit Hammer und Sichel – Spaß machen an diesem Stück von Andreas Landwehr vor allem die Stimmen der Parteitagsteilnehmer: „Die naive Frage, wer eigentlich den großen Vorsitzenden wählt, löst zumindest bei einigen Delegierten verblüffende Ratlosigkeit aus. ,Ich habe keine Ahnung’“, räumt der 54-jährige Wang Yuesen ein.“
Meet Mike Sui, A Dude From Wisconsin Who’s Now China’s Biggest Viral Star – etwas länglicher Text von Abe Sauer über den diǎo sī, den chinesischen Loser. Eine Masche, mit der Mike Sui aus Wisconsin in China berühmt wurde: „Part Rodney Dangerfield, part Adam Sandler, and half Chinese, Mike Sui aims to popularize a new style of comedy in China that’s all about being a loser, even when that loser is clearly winning.“
Südwestfälische Unternehmer in China erwarten Liberalisierung und Marktöffnung – Stefan Pohl spielt anhand einer Region durch, welche Konsequenzen sich deutsche Unternehmer vom Machtwechsel in China erhoffen. „Rechtssicherheit und der Schutz geistigen Eigentums blieben (…) ein großes Thema für deutsche Firmen in China – ,man sollte es vermeiden, dort vor Gericht zu landen‘.“
Wer China wirklich führt – mit zwei interaktiven Fotos gibt die FAZ einen guten Überblick dessen, wer warum wie mächtig ist. „Entscheidend ist die Reihenfolge, in der Chinas Politiker zur Vorstellung einlaufen – und ihre Sitzordnung auf dem jüngsten Parteitag.“
When Twitter got stood up by the Politburo Standing Committee – James Griffiths hat die besten Tweets zum Hashtag #whyxijinpingislate gesammelt. Denn der kam fast eine Stunde später zur Pressekonferenz als angekündigt.
With China’s Power Transfer Complete, Dissident Voices Rise Again Online – Liz Carter zeichnet für Tea Leaf Nation nach, wie sich nach dem Ende des Parteitags kritische Denker wieder an die Öffentlichkeit trauen. „Even if a great number of Chinese have become jaded by the disconnect between the national narrative and personal experience, Zuoyeben’s return to blogging after weeks of silence shows that however controlled, debate continues on controversial issues.“
Xi drives me crazy: Your definitive list of bad Xi headline puns – danke an Isaac Stone Fish und Kollegen bei Foreign Policy. Sie haben alle möglichen (und ein paar unmögliche) Wortspiele schon mal vorweggenommen, die man in den kommenden Jahren in Überschriften zu Xi Jinping finden könnte. Besonders schön: „His meeting with Henry Kissinger: ‚The Old Man and the Xi‘.“
Und als Rausschmeißer noch ein grandioses Zeitraffer-Video dreier chinesischer Städte – danke, Markus, für den Link!
Guangzhou’2012/CHINA from zweizwei |motion timelapse| on Vimeo.
Nie wieder
Nie wieder werde ich hier süffisante oder gar kritische Bemerkungen über staatliche Medien in China machen.
Hätte Xinhua mein Praktikum nicht abgesagt/verschoben, hätte es keine Rechtfertigung für den Frusturlaub in der Provinz Guangxi gegeben.
Kein Bett am Fenster mit Blick auf den Fluss, keine Radtour zur Drachenbrücke, keinen Besuch beim Motiv auf dem 20-RMB-Schein. Keine Zufallsbekanntschaften mit amerikanischen Seniorinnen mit Peace-Corps-Erfahrung in Südkorea und mit holländischen Hikern, die gerade an einem Rechenmodell arbeiten, das Ratingagenturen überflüssig machen wird.
Keine Rückkehr ins Stadtzentrum von Peking mit dem Airport Express, bei Sonnenuntergang. Kein Mitbewohner-Willkommen mit „Oh, Du kommst gerade rechtzeitig für ‚Survivor‘!“ und Torte, weil nach dem Mondkalender heute jemand Geburtstag hat.
Verschobene Praktika sind toll.
Andrea Yu macht was mit Medien
Der wichtigste Name beim Parteikongress in Peking? Xi Jinping, natürlich. Der mit der skurrilsten Geschichte? Möglicherweise Andrea Yu aus Australien. Vier mal durfte sie bei Kongress-Pressekonferenzen eine Frage stellen – „ganz bestimmt ein Rekord für ausländische Journalisten“, frotzelt die New York Times. Denn normalerweise kommt vor allem der mit einer Frage zu Wort, der nicht allzu kritisch ist, sondern den Mächtigen eine gute Vorlage zum Schaulaufen gibt.
Bisher waren das meist chinesische Journalisten, nun also Andrea Yu. Warum? Weil sie immer am selben Platz sitzt und Blickkontakt hält – so hat Yu das dem Wall Street Journal begründet. Dann aber doch nachgelegt: „Sie wissen, dass meine Fragen sicher sind.“ Denn ihr Arbeitgeber, CAMG, klingt ausländischer, als er es ist. Stephen McDonell, China-Korrespondent des australischen Fernsehsenders ABC, hat Yu interviewt, und in dem Gespräch bestätigt sie: Das Unternehmen ist in chinesischem Besitz. Kollegen geben Yu die Fragen vor, die sie zu stellen hat – auch das räumt sie ein. Das ganze Interview von McDonnell mit Yu zeigt deutlich: Hier sind zwei Gesprächspartner. Einer davon ist Journalist.
Eine Regierung, die sich nun also auch ausländische „Journalisten“ als Stichwortgeber heran holt. Eine junge „Journalistin“, die sich als westliches Gesicht zur Legitimation einer Schau-PK hergibt. Und, als wäre das nicht absurd genug, auch noch ein Unternehmen, das diese seine Angestellte via Twitter als „what a babe!“ feiert, weil sie – unter anderem Namen – auf einem Zeitschriftencover posieren darf.
Ob nun Andrea Yu oder als Andrea Hodgkinson – sollte sie eine journalistische Karriere anstreben, muss sie ab jetzt damit leben, dass diese Episode findet, wer ihren Namen googelt. Der Tweet, der ihren Einsatz als Cover-Girl feiert, ist inzwischen gelöscht. Bei der staatlichen Zeitung „People’s Daily“ sind sie allerdings wohl derselben Meinung wie bei CAMG, was Yus Babe-ness angeht. Hier landete sie in der Fotostrecke „Beautiful Scenery“ (Bild 7). Schöne Kulisse, definiert vom Staatsmedium als: „Hostessen, Reporterinnen und Delegierte.“
Die achte China-Woche in Links
Eine China-Linksammlung in einer Woche, in der deutsche Medien so viel über das Land berichten wie wahrscheinlich seit den Olympischen Spielen nicht mehr. Die großen Parteitagsthemen und -personalien müssen hier deshalb nicht noch mal stehen. Aber bei folgenden Texten wäre es schade, wenn sie vor lauter Machtwechselberichten unbeachtet blieben:
China’s Security Ministry Suspected Slain Businessman Was a Spy – Jonathan Ansfield und Ian Johnson über eine neue Entwicklung im Mordfall Neil Heywood: „A scholar with high-level ties to (B Xilai) and the ministry said Mr. Bo had known of the ministry’s official suspicions before Mr. Heywood’s death, as had other leaders.“
Google access returns to China after brief blocking – Michael Kan über Chinas zwischenzeitliche Google-Blockade. „The blocking appeared to last for about 12 hours, with Internet traffic resuming to the sites after 6 a.m. local time, according to Google’s Transparency Report, which monitors company’s services worldwide.“
Greece to bring privatization plan to China – He Wei schreibt über eine griechische Werbetour nach Shanghai, mit der Investoren geworben werden sollen: „A group of high-ranking Greek officials will visit Shanghai on Nov 30 as part of a road show to promote the sale of the Greek assets, aiming to „dissipate negative impressions by presenting the true economic potential of Greece“, said Evgenios Kalpyris, consul general of Greece in Shanghai.“
If Chinese Citizens Had a Vote, Here’s One Possible Election Map – Rachel Wang dokumentiert die Weibo-Debatte rund um eine fiktive Wahlkarte Chinas. „Despite the near certainty that Chinese censors are aware of this discussion thread, many users publicly stated that they would vote for the Kuomintang, while Communist Party supporters largely stayed away from the discussion.“
Mr. Xi, Tear Down This Firewall! – eine Bloomberg-Analyse der Netz-Zensur in China. Manche reden hier vor lauter Abschottung von einem „Intranet“ anstelle des Internets. „At Sina Weibo, China’s most popular microblogging site, users are given 80 points, which can be deducted for various anti-social offenses; hundreds of its employees are engaged 24/7 in deleting posts or rendering them invisible to followers, closing accounts, or doctoring search results.
Party congress responds positively to age of Internet – Ji Shaoting beschreibt für die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, welche Rolle das Internet beim Parteitag spielt und zitiert einen Journalistik-Professor so: „There is one thing that you can be sure of — that is many Party officials are not as scared as before when talking about the Internet. „
Quest for fatherhood – Yang Jinghao über schwule Paare in China, die gerne Eltern wären. „A statement issued in 2005 by the China Center of Adoption Affairs, the Chinese government-authorized organ responsible for both international and domestic adoption, clearly stated that the center ‚doesn’t seek homosexuals as adoption candidates.‘ “
Searching for News, Journalists Covering China’s Leadership Transition Get Hats Instead – wer sich für die Arbeitsbedingungen internationaler Journalisten beim KP-Parteitag interessiert, sollte diesen Text von Hannah Beech lesen: „We have also been given (…) backpacks with stickers that indicate they may have cost more than $60, along with instructions noting in English that ‚the straps of both sides top and bottom are used for bring map, umbrella and mats, water bottle, keys, ice ax.‘ “
Takko produzierte in chinesischen Gefängnissen – wer immer bei Spiegel Online mit nck kürzelt deckt auf, dass der Billig-Klamottenladen von Häftlingen hergestellte Kleidung verkauft hat. „Takko bestätigte dem Spiegel die Aufträge. Man habe bisher nur eine postalische Adresse der beiden Produktionsorte gekannt und nicht gewusst, dass es sich dabei um Gefängnisse handle.“
Mit Alice in Wonderland
Dieses dumme Gefühl, wenn man eins und eins zusammenzählt und merkt, das hätte schneller gehen können – das hatte ich gestern in einem Pekinger Vorort. Ich wusste, wie der nie fertig gewordene Freizeitpark dort heißt. Ich kannte den Vornamen meiner Begleiterin. Und trotzdem hat es erst nach einer halben Stunde klick gemacht: Unterwegs in Wonderland, mit Alice!
Wonderland sollte in den Neunzigern mal eine Attraktion werden und sieht heute aus wie Disneyland nach der Apokalyse. Zum Fotografieren, Filmen, Rumstöbern ideal: keine Wächter, keine Absperrungen, keine Warnschilder. Bitte selber abschätzen, ob dieser Stahlträger trägt, ob diese Treppe langsam nach oben führt oder abrupt nach unten.
Unwahrscheinlich, dass an diesen Gebäuden noch was zu retten ist. Aber die Hecken davor sind frisch geschnitten, und zwischen den beiden größten Gebäuden baut jemand Kohl und Salat an. Der Betonmischer steht still, aber an dem Zelt daneben hängen Kleidungstücke zum Trocknen und es steigt Rauch auf.
In der Herbstsonne sieht Wonderland trotz des Verfalls idyllisch aus. Dass es auch bedrohlich wirken kann, zeigt Catherine Hyland in ihrem Video:
Wonderland from catherine Hyland on Vimeo.
…oder schläfst Du schon?

An ihm hier bin ich bei Ikea in Peking mehrfach vorbeigelaufen, in Zehn-Minuten-Abständen. Bis klar war, dass er da nicht einfach rumliegt und kurz die Augen geschlossen hat. Dieser Mann schläft. Während um ihn rum Menschen auf Matratzen rumdrücken und Notizen mit Ikea-Stiften auf Ikea-Zetteln machen.
Schläfer beim Möbelschweden? „Ist hier ganz normal“, sagt ein Kunde, „die Verkäufer scheint das nicht zu stören.“ Genau wie die Dauersitzer in der Couch-Abteilung, die sich Bücher mitgebracht haben. Einer arbeitet gerade einen Aktenordner durch. Keiner, der ihn dabei stört.
Bequeme Betten und Sofas in einem Gebäude, das im Sommer klimatisiert ist und im Winter geheizt. Ein plausibles Ausflugsziel. Mehr Bilder von solchen Schlaf-Ausflüglern hier bei Chinahush. Die Los Angeles Times hat mit einigen von ihnen gesprochen, den Text gibt es hier.
Die siebte China-Woche in Links
Seltsame Woche. Peking entwickelt sich allmählich Richtung Pleasantville, nur mit mehr Uniformierten. Alles hübsch und mit Blumenschmuck hier, bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen. Mehr dazu hier. Zugang zum Internet wird schwieriger, ruckeliger. Gestern die Praktikums-Absage von Xinhua, vielleicht geht noch was zu einem späteren Termin, nun ja. Und dann heute auch noch Schnee, was selbst für die Einheimischen was Besonderes ist.
An interview from 2000 with China’s Vice President Xi Jinping – kann ein zwölf Jahre altes Interview noch interessant sein? Ja, wenn es eines der wenigen Gespräche mit dem künftigen Staats- und Parteichef Xi Jinping ist. Carsten Boyer Thøgersen and Susanne Posborg haben das Interview im Auftrag des Nordic Institute of Asian Studies übersetzt.

Apple blocks Siri’s prostitute-finder function – möglicherweise am schönsten an dieser Xinhua-Meldung ist der Hinweis auf die knallharte Hintergrund-Recherche: „Previous research conducted by Xinhua reporters in Shanghai’s Baoshan District found that of the 12 locations listed by Siri upon the „escort services“ inquiry, some did provide such services.“
As Handover Looms, China Enters Extreme Lockdown – Yueran Zhang hat Weibo-Stimmen dazu gesammelt, was für Verbote den Pekingern derzeit so begegnen. „Although “stability preservation” (“维稳”) is always a high priority in China, it has now become the singular priority, affecting the lives of countless Chinese officials and citizens.“
China moves toward registering citizens‘ fingerprints – nochmal Xinhua, diesmal über ein massives Datensammelprojekt, das die Polizei plant: „According to the statement, citizens applying for ID cards for the first time as well as those applying for replacement cards will be required to have their fingerprints recorded.“
China’s incoming first lady a challenge for the image makers – Julie Makinen über die Vermarktung von Peng Liyuan, die als Sängerin bereits berühmt ist und nun bald die First Lady von China wird. „Crafting a public role for Peng will require Communist Party image makers to delicately navigate millenniums-old suspicion of women near the center of power in China, the party’s own squeamishness about making officials‘ private lives public, and a gossipy media culture increasingly critical of elites‘ lifestyles and behavior.“
For Complainers, A Stint In China’s ‚Black Jails‘ – Frank Langfitt besucht mit einer früheren Insassin eines von Chinas Geheimgefängnissen. „Local officials use secret detention centers to protect their standing in the bureaucracy. Every time a citizen goes to Beijing to complain, the central government gives local officials a black mark.“
Forced shopping in Hong Kong makes a return on cheap tour packages – He Huifeng und Amy Nip über Butterfahrten nach Hongkong mit Kaufzwang. „While it is illegal for agencies to organise tours at prices that cannot cover costs (…) it is easy to buy tourist coupons online through various mainland websites at ultra-low prices of between 200 yuan and 500 yuan.“
Peking regelt Organspende neu – Petra Kolonko erklärt, wie es mit dem bisherigen System der Organ-„Spende“ von Hingerichteten weitergehen könnte. „Während pro Jahr in China etwa 1,5 Millionen Kranke auf eine Transplantation wartete, würden nur etwa 10.000 vorgenommen. Die hohe Nachfrage führt zu illegalem Organhandel.“
Wary of Future, Professionals Leave China in Record Numbers – Ian Johnson beschreibt den „brain drain“ unter gebildeten jungen Chinesen. „Most migrants seem to see a foreign passport as insurance against the worst-case scenario rather than as a complete abandonment of China.“ Lustiger Bonus: die Sache mit dem Aufmacherfoto.
Laowai Style – Gangnam goes Peking
Erst hat jeder (ein ungefährer Wert) das Video zu „Gangnam Style“ angeguckt. Dann lustige Cover von Mitt Romney über Ban Ki-moon bis Ai Weiwei gepostet. Eh ihr’s bald alle leid seid hier noch schnell meine aktuelle Lieblingsvariante: „Laowai Style“.
Laowai ist ein chinesischer Begriff für Ausländer – wobei es in diesem Clip um diejenigen geht, die schon länger in China sind und sich hier eingelebt haben. Zwischendurch gibt’s auch Bilder vom Campus der Tsinghua-Universität, an der wir Medienbotschafter unsere Uni-Wochen absolvieren. Das große rote Ufo bei 0:33 ist das Audimax.