Putin der Woche XXXVI

putin der woche häuptling

Gesehen: Bei Twitter, dort gepostet von Dennis Stjaschkin.

Begleitung: Ein ausgehölter Bär und ein Preisschild – 750 Rubel, das sind aktuell 10,50 Euro.

Text: „Häuptling“

Subtext: Wie hieß das noch mal? Dings im Dingspelz? „Der ganze Stamm muss diese Kapuzenpullis tragen“, hat Dennis als süffisanten Kommentar dazu getwittert. Und was wäre für einen Russenhäuptling schon treffender als ein Bär, Russlands Wappentier. Das Land ist bis zur inneren Leere ausgehöhlt, und drin steckt nichts als Putin? Ziemlich klare Metapher für ein Hoodie.

Oben-Ohne-Punkte: 8/10

Der Mann auf dem Boot

boot moskau kscheib

„Komm mit auf ein Bierchen nach Gelsenkirchen,“ sagt der Russe auf dem Ausflugsboot und strahlt. Schalke-Fan sei er, natürlich, und heute Abend für „die Bundesmannschaft.“ Gucken will er mit einem Kumpel, sie haben sich 24 Bier kalt gestellt – 6 Veltins, 6 Leffe und 12 andere. Damals, bei dem Brasilien-Spiel, hatte er sich ja vorgenommen, für jedes Tor ein Bierchen zu trinken – das war ein harter Abend. Eine Flasche Jägermeister kann er jedenfalls durchaus an einem Abend trinken, nicht, weil er Alkoholiker wäre, bloß ein großer Mann halt.

Beruflich war er oft in Deutschland, das da drüben ist übrigens ein Open-Air-Theater, da treten oft so Death-Metal-Bands auf wie die, in der er damals gespielt hat, als er noch die Haare bis zum Hintern hatte, darum ja auch die ganzen Tattoos. Und wir sind also alle drei aus Deutschland? Super, er hat da zwei gute Freunde, Stefan und Ralf. 

Hier, die Brücke ist interessant, oben Autos, auf der Etage drunter nicht nur Schienen für die Metro – ihr sagt „U-Bahn“ auf Deutsch, oder? – sondern sogar eine Haltestelle, mitten auf der Brücke, welche Stadt hat sowas schon. Die Haltestelle heißt „Sperlingsberge“, kleiner Vogel, genau, ja, sparrow – auf Deutsch also Sperling? Okay. „Adler“ kennt er auch, „Storch“, „Taube.“ 

Er interessiert sich ja sehr für Geschichte, vor allem deutsche, der Kaiser damals, die ganze Epoche, und die Marine – meine Güte, was waren das für Schiffe, Riesenschiffe! Politik hingegen – das da vorne ist übrigens eine Sporthalle, wir nennen sie auch die Schildkröte, ihr seht ja, warum, und dahinter das Stadion machen wir gerade schön für die WM 2018. Wobei, die russische Nationalmannschaft, ach, wie die schon laufen, schau mal, so – er dreht die Fußspitzen nach innen und taumelt übers Deck. Nein, die Russen können halt keinen Fußball spielen, Eishockey, ja, aber keinen Fußball, da sind wir für andere Teams, Deutschland, Italien, aber heute Abend, keine Sorge, das schafft Deutschland schon. 55 Zoll groß ist der Bildschirm zuhause, von Hitachi – schon riesig, ne? 

Politik jedenfalls, das ist nichts für ihn. Was die Merkel da mit den muslimischen Flüchtlingen macht, muss sie selber wissen. Und hier in Russland, ach hör auf. Wobei: Ihr denkt immer, Moskau, ja ja, Wodka, Matrjoschkas, Balalaikas – und dann kommt ihr hierher und das ist eine europäische Stadt! Politik ist Scheiße, warte, auf Deutsch: Katzendreck! 

Das sind übrigens Solarzellen und Antennen da oben auf der Akademie der Wissenschaften, sieht ein bisschen aus wie ein Gehirn, ne? Sagt mal, raucht ihr? Nee? Klug, ich leider schon, nicht viel, so fünf, sechs am Tag. Ich bin mal kurz weg.

Ruhig liegt die Moskwa. Ein leichter Wind zieht übers Wasser. Am Ufer sitzen Menschen auf Bänken, unterhalten sich oder blicken einfach in die Ferne und…

Ja, jedenfalls, das mit der Politik. Hitler war verrückt. Stalin war verrückt. Heute weiß man das. Wobei heute ja wieder mehr Leute Stalin mögen, und was schon stimmt: Also gegen Religion hatte Stalin eigentlich gar nichts, der hat auch keine Kirchen einreißen lassen, das waren alles seine Leute in den Ministerien, Chruschtschow, Molotow.

Heute gibt es in Moskau übrigens 600 Kirchen, auch eine Deutsche, und oh, guckt mal da, das Gesicht an der Hauswand, kennt ihr den? Nein? Ach komm – das ist Hermann Hesse, da steckt so ein Künstler hinter. Ja, wir sagen German Gesse, ist halt so auf Russisch, wir haben ja auch German Gering gesagt, und Adolf Aloisewitsch.

Die Brücke da nennen wir ja auch die Kussbrücke, da war mal so eine Aktion fürs Guinnessbuch – über zweitausend Menschen, die sich küssen. Und das da hinten ist unser Außenministerium, und jetzt sind wir ja auch schon da, Kiewer Bahnhof, einer von zwölf Bahnhöfen in Moskau, Flughäfen haben wir vier. Dann macht’s mal gut, wir sehen uns, auf ein Bierchen in Gelsenkirchen! 

Schöner kann man französische Wörter nicht russifizieren

Es gab eine Zeit, da sprach, wer in Russland etwas auf sich hielt, Französisch. Die Hauptstadt war St. Petersburg, Zar Peter der Große ein Anhänger der Aufklärung – und erwartete daher von den russischen Adligen entsprechende Sprachkenntnisse.

Ein Forschungsprojekt der University of Bristol hat die Rolle des Französischen in Russland näher untersucht, von Peters Regierungszeit bis zur Revolution von 1917, und es macht großen Spaß, in den Dokumenten aus dieser Zeit zu stöbern: Briefe innerhalb adeliger Familien, Tagebücher, diplomatische Kontakte, sogar die Regeln einer Freimaurerloge – immer entschieden sich die Verfasser für Französisch.

Heute begegnet einem gesprochenes Französisch hier nur selten. Nur 14 Prozent aller Russen geben an, eine Fremdsprache halbwegs fließend zu beherrschen, und dann sind es eher Englisch, Deutsch, Spanisch oder Ukrainisch.

Was es allerdings gibt und was den Alltag hier ein ganzes Stück interessanter macht, sind französische Wörter und ihre Übertragung ins Russische. Die Klänge des Originalbegriffs, nachempfunden mit dem, was das kyrillische Alphabet halt so her gibt. Der Effekt ist ein bisschen wie das Blättern im Ikeakatalog: Manchmal hilft nur lautes Vorlesen, um zu verstehen, welcher Begriff gemeint ist. Nur, dass es hier eben nicht Godmorgon, Träning und Behändig sind, sondern…

…Letual.

Eine große Kosmetikkette hier, das Logo mit seinen beiden Bögen ist so unverkennbar wie allgegenwärtig. Okay, man hätte beim Russifizieren von „l’étoile“ berücksichtigen können, dass es ein helles E ist, also im Russischen eher ein е als ein э. Aber sonst gar nicht so schlecht.

französische lehnwörter 2

…odekolon,

hier in der Ausprägung „Diplomat“ mit wirklich allerliebstem Flakondesign. Wer möchte nicht riechen wie ein kritisch nach unten blickender Anzugträger vor Wolkenkratzern?

französische lehnwörter 4

…Schedewre.

Gefunden auf der Liste der Abonnements, die der Tschaikowsky-Saal für Konzertbesucher anbietet. „Meisterwerke der Oper“ heißt dieses Abo. Meisterwerk auf Französisch: chef-d’œuvre. Ins Russische übertragen wird aus dem œu ein eher bräsiges E an der Grenze zum Ä, so dass das Ergebnis entfernt nach Kölsch klingt: ScheDÄwre, mit Betonung in der Mitte. Der Jupp wollt mich beim Skat ens betuppe, da han ich dem ävver ens mit dem Schedäwre op der Däts jehaue!

russisch französisch chef d'oeuvre шедевр

…Komilfo.

Diese Pralinen kaufe ich manchmal als Mitbringsel. Sie schmecken nicht nach DDR, sie riechen nicht nach Duschgel, das sind hier im Sortiment schon zwei recht nennenswerte Erfolge. Dann noch dieser Retro-Look, und mit nur zehn Stück Inhalt machen sie auch den Koffer nicht viel schwerer. Vor allem aber kaufe ich sie, um dann zuhause mit den Beschenkten das Entzifferspiel zu spielen: Ko… Komi… Komilf… Komilfo? Sagt mir nichts. Ach, warte – Komilfooooooo? Na, dann schauen wir mal, ob das stimmt! Komilfo Russisch Französisch

…Randewu.

Klar, Nasallaute sind schwierig. Aber hab ich das wirklich so falsch im Ohr, oder müsste man statt „Randewu“ nicht eher „Rondewu“ schreiben, also рондеву? Hm.

französische lehnwörter 3

…pan-o-rasan.

Klingt wie eine Hautcreme, ist aber, wie man sieht, Backwerk und zugleich meine liebste, weil am schlimmsten verunglückte Übertragung aus dem Französischen ins Russische. Pain aux raisins weckt Lust auf ein Sonntagsfrühstück. Pan-o-rasan eher Assoziationen wie „Ich hatte da ja dieses nässende Ekzem, aber dann hab ich eine Woche lang Pan-o-rasan draufgetan und jetzt geht’s wieder.“

französische lehnwörter 1

Wie sich Frauen im Jahr 2016 in Russland verhalten sollen

Felix ist da! Das ist nicht nur eine wunderbare Nachricht für seine deutsch-russischen Eltern, mit denen wir hier schon so einiges erlebt haben. Es ist auch ein Anlass, über die Gesellschaft nachzudenken, in die er da gerade hereingeboren wurde. Denn Felix‘ Mutter bekam vor einigen Monaten von ihrem Arzt dieses Heft in die Hand gedrückt.

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Sieht aus wie eine Werbebroschüre, ist aber eine Art russischer Mutterpass, nur eben finanziert durch Anzeigen. „Jedes Mal, wenn ich am Eingang zu einem Einkaufszentrum nicht durchleuchtet werden will, muss ich den Sicherheitsleuten jetzt dieses Heft mit der Frau in der ollen Blümchenunterwäsche zeigen“ – gut, dass der Sinn für Humor von Felix‘ Mama so groß ist wie ihr Babybauch kurz vor der Geburt. Denn schlägt man das Heft auf, sind dort nicht nur die üblichen Formulare für Voruntersuchungen drin und Anzeigen für Babykleidung und Kinderwagen, sondern auch wohlfeiler Rat. Seitenweise.

„Nützliche Ratschläge zur Stärkung familiärer Beziehungen“ ist das Ganze überschrieben, was in seiner offiziösen Piefigkeit an Begriffe wie „Ehehygiene“ erinnert. Die Kapitelüberschriften werden da schon konkreter: „Wie versteht man, was ein Mann will?“ (Im Zweifel will er Respekt und Hochachtung. Der Grund, warum Männer in gehobenen Positionen sich in ihre Sekretärinnen verlieben, ist, dass die ihnen respektvoller begegnen als ihre Ehefrau zuhause.) – „Was sind die Stärken von Frauen? Was sind ihre Pluspunkte?“ (Die Schönheit, mit der Gott sie so großzügig ausgestattet hat. Männer mögen keine Frauen, die sich nicht um ihre äußerliche und innerliche Schönheit kümmern.) – „Was tun, wenn Ihr Mann nicht im Haushalt hilft, weil er das für Frauensache hält?“ (Die Erledigung von Hausarbeit ist dem Manne nicht eigen, das ist das Vorrecht der Frauen. Außer, die Frau ist krank, oder der Mann ist eine Ausnahme.)

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Nein, das kommt nicht aus einer Zeitkapsel, die irgendwer in den Fünfzigern am Moskwa-Ufer verbuddelt hat. Das ist die aktuelle Handreichung, die werdende Mütter hier bekommen. In einem Land, das das „Werben für nichttraditionelle Lebensentwürfe“ unter Strafe stellt (und damit nicht nur Engstirnigkeit, sondern auch historische Ahnungslosigkeit beweist), wird eben auch in Mann-Frau Beziehungen darauf geachtet, die Geschlechterklischees aufrecht zu erhalten.

Damit das verfängt, werden auch gleich noch einige Autoritäten ins Feld geführt, genau genommen: Präsidentengattinnen. Und sicherheitshalber, damit man ihnen ordentlich was in den Mund legen kann, ist mit „Präsident“ nicht etwa Putin gemeint, sondern Roosevelt (welcher?), Lincoln und Churchill (Premierminister, nicht Präsident). Ob deren Frauen wiederum das nun selbst gesagt haben sollen oder nur nach diesen Regeln gelebt, wird sicherheitshalber offen gelassen. Diffuser – und damit schwerer zu widerlegen – geht’s kaum. Hier also die ganze Seite als Übersetzung:

Praktische Ratschläge von Präsidentengattinnen zur Verbesserung familiärer Beziehungen

Bekanntermaßen steht hinter jedem berühmten Mann eine Frau. Wenn wir die Biografien berühmter Menschen aus verschiedenen Bereichen lesen, sehen wir dort die Bestätigung. Zum Beispiel bei Roosevelt, Lincoln, Churchill. Lassen Sie uns also einige Ratschläge überprüfen, die diesen Frauen geholfen haben, ihren Männern zu Größe zu verhelfen.

1. Erinnern Sie sich an alle starken Qualitäten und Vorzüge Ihres Mannes und erläutern sie diese laut im Gespräch mit ihm.

2. Schreiben Sie eine „Liste der Dankbarkeiten“ und lesen Sie sich oft durch, wofür Sie Ihrem Gatten dankbar sind. Bringen Sie Ihre Dankbarkeit ihm gegenüber jeden Tag zum Ausdruck – durch konkrete Handlungen, durch Ihr Verhalten, Ihr Gefühl, Ihren Lebenswandel. ( Ich danke Gott oft laut dafür, dass er mir einen prächtigen Mann und Vater meiner Kinder gab, und damit mir diese große Ehre, seine Frau zu sein.)

3. Geben Sie sich Mühe, Ihrem Mann stets mit gutem, zugeneigtem Geist gegenüber zu stehen – fröhlich, friedlich, heiter. Wie sagte schon Salomon: Ein fröhliches Herz ist so heilsam wie Medizin, aber ein trauriger Geist lässt die Knochen vertrocknen.

4. Würdigen Sie seine Arbeit und bringen Sie ihm gegenüber jeden Tag aufrichtiges Interesse zum Ausdruck. Seien Sie sich bewusst und erinnern Sie sich, dass das einer seiner wichtigsten Geltungsbereiche ist, in den er ein Höchstmaß an Kraft und Energie steckt.

Mutterpass Russland

5. Seien Sie ihm dankbar für alles, was er tut, und bringen Sie Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck eingedenk dessen, dass Männer versuchen, alles für uns zu tun.

6. Schaffen Sie zuhause eine Atmosphäre, in der er wieder Kraft tanken kann. So verhindern Sie, dass er erst spät nach Hause kommt und bis spät in den Abend mit seinen Freunden unterwegs ist.

7. Laufen Sie Ihrem Gatten entgegen, wenn er von der Arbeit kommt, und freuen Sie sich mit Ihren Kindern, dass Papa zuhause ist. Nichts ist so wichtig für einen Mann wie die Art, wie er zuhause begrüßt wird.

8. Bringen Sie ihn zur Tür, wenn er zur Arbeit muss. Küssen und umarmen Sie ihn, damit er schnell zurückkommen will.

9. Drücken Sie Ihr Vertrauen in ihn aus, indem Sie einfach sagen: „Ich glaube an Dich und vertraue Dir vollständig.“

10. Würdigen Sie kleine Erfolge und sagen Sie: „Ich bin stolz auf Dich!“ Aufmunternde Worte sind für Männer sehr wichtig.

11. Hören Sie ihm aufmerksam zu, wenn er von seiner Arbeit erzählt (schauen Sie ihm in die Augen und tun Sie dabei nichts anderes).

12. Lernen Sie, nicht mit seiner Arbeit zu konkurrieren und auch die Familie nicht als Konkurrenz der Arbeit zu verstehen.

13. Erlauben Sie ihm, Sie zu versorgen und betonen Sie das im Kontakt mit ihm. Und wenn Sie etwas für sich, für Ihr Zuhause oder für Ihre Kinder kaufen, drücken Sie Ihre Dankbarkeit aus und erzählen Sie, dass das der Verdienst Ihres Gatten ist.

Lieben bedeutet, einem Menschen das zu geben, was er am meisten braucht, wenn er es am wenigsten verdient!

Was wünscht man einem Kind, das in eine Zeit geboren wird, wo solche Hefte noch gedruckt werden? Vielleicht, dass ihm seine Mutter die Seiten aufbewahrt, bis er groß ist und seine erste eigene Wohnung renoviert. Schließlich sitzt Tapete auf Makulatur besonders schön.

Donnerstags bis 21 Uhr geöffnet

Moskau Museum Oldtimer kscheib

19.50 Uhr. Kasse des Museums der Stadt Moskau.

– Guten Tag, eine Eintrittskarte für „Kleider und Autos“, bitte.
– Auf 1000 Rubel kann ich nicht rausgeben.
– Okay, dann kauf ich die Karten für meine Freunde gleich mit – drei Stück, dann müssen Sie nur 400 rausgeben.
– Ich kann überhaupt nichts rausgeben. Das Geld ist schon gezählt und weggepackt. (geht ab)

20.04 Uhr.
– Hi, da bist Du ja. Ich sag Dir gleich, das wird nichts, die wollte mir eben kein Ticket verkaufen und jetzt ist sie weg.
– Vielleicht weiß die andere ja was? Hallo, wir möchten gerne Karten für „Kleider und Autos.“
– Das ist zu spät.
– Aber das Museum hat doch heute bis neun auf!
– Schon, aber Karten gibt es nur bis acht.
– Ist da nicht noch ein bisschen Spielraum?
– Weiß ich nicht, ich mach hier nur die Garderobe. Aber versuchen Sie’s mal in Gebäude 3.

20.08 Uhr. Gebäude 3. Hinter der Theke ziehen sich zwei ältere Damen gerade ihre Jacken an, eine junge Frau im Jeanskleid mustert uns und nimmt das Gespräch sofort auf Englisch auf.
– Guten Abend, wir möchten die Ausstellung „Kleider und Autos“ sehen, aber die Kasse war nicht mehr besetzt.
(Sie spricht mit ihren Kolleginnen.) Tut uns leid, aber es ist schon nach acht, Karten gibt es nur bis acht.
– Ich hab es um zehn vor schon versucht, da war die Kasse auch schon zu.
– Hm, ich frag meine Kollegin noch mal. (…) Nein, es tut mir so leid, aber sie sagt, sie kann Ihnen keine Tickets mehr verkaufen.
(Die beiden älteren Damen ziehen Mützen und Handschuhe an und gehen.)
– Das ist aber schade, wir hatten uns so auf die Ausstellung gefreut!
– Warten Sie mal. (Die Frau im Jeanskleid spricht mit dem Wachmann. Die Frau im Jeanskleid spricht mit den beiden Wärterinnen. Die Frau im Jeanskleid kommt zurück.) So. Sie können die Ausstellung sehen, und Sie brauchen auch keine Tickets zu kaufen. Bitte, seien Sie unsere Gäste, wir laden sie ein!
– Wow, herzlichen Dank! Wir haben aber ja auch das Geld, wir können das bei Ihnen lassen und Sie tun es morgen früh in die Kasse.
– Das ist nett, aber das wird zu kompliziert, morgen arbeite ich auch nicht. Schauen Sie sich einfach um. Wir schließen um 20.50 Uhr.

(„Kleider und Autos“, noch bis Sonntag, 20. März. Eintritt 200 Rubel, ermäßigt 100, Öffnungszeiten – nun ja.)

Moskau Museum Mode

Tula, das Bielefeld von Russland

Tula Lenin Kreml

Die Bielefeldverschwörung ist inzwischen ja so verbreitet, dass quasi keine Radiomoderation mehr ohne auskommt. Ach Bielefeld, haha, gibt’s das also doch? Am Wochenende war ich in Tula, zwei Zugstunden von Moskau, und bin dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass es auch Tula möglicherweise nicht wirklich gibt.

Oder genauer: Dass Tula keine Stadt ist, sondern eine Simulation, die prüfen soll, wie gelassen man russischen Absurditäten so begegnet. Ein Ort, wo immer wieder Dinge anders laufen, als es der westlich sozialisierte, bestenfalls an die Metropole Moskau gewohnte Menschenverstand vermuten lässt. Und wo dann dezent protokolliert wird, wo auf der Skala zwischen „Die haben doch den Schuss nicht gehört“ und „Hach, Russland. Immer für eine Überraschung gut“ die Reaktion des Besuchs liegt.

Das Hotel

Gute Online-Bewertungen, freundliche Rezeptionistin, alles tiptopsauber, das Zimmer so groß, dass man eine Schlafcouch reinstellen und zu viert dort übernachten könnte. Und dann noch die Aussicht auf so ein richtig schönes Hotelfrühstück. Nur, dass halt der Lift kaputt ist (kein Schild, aber nach einigen Minuten Handygucken im Morgentran merkt man es ja irgendwann) und keine Treppe in Sicht. Aber gut, das Zimmermädchen da hinten hat einen Wagen, also wird sie doch sicher… voilà: Personalaufzug!

Unten dann eine Mischung aus Russischem (Kascha, Blini, Sirniki) und wildem, international gemeintem Mix (Chocolate Chip Cookies, Bratwürste, Schafskäse mit Oliven). Für den Alibisalat bastle ich mir ein Dressing, schließlich steht hier der übliche Ständer mit einer hellen und einer dunklen Flüssigkeit. Hinsetzen, probieren, bäh! „Entschuldigung, aber ich glaube, da ist ein Fehler passiert. In den Flaschen da, das ist nicht Öl und Balsamico, sondern Öl und Sojasauce.“ – „Ja, stimmt, das ist Sojasauce. Das wissen wir.“ – „Hm, okay, ich glaube, viele Gäste würden sich über ein Schildchen freuen.“ – „Ja? Okay, machen wir Schilder dran.“

Mit demselben Impuls, der andere im Flugzeug Tomatensaft trinken lässt, frage ich noch, ob der leere Teller mit Eggs Benedict wieder aufgefüllt wird oder ich zu spät dran bin. Nein nein, fünf Minuten! Schon nach drei steht eine freundliche Kellnerin am Tisch und bringt eine Untertasse, darauf ein Toast, darauf eine halbe Scheibe Schinken, darauf ein Ei, darauf ein Klecks Hollandaise, natürlich mit Haut, denn das hier ist: kalt. Nicht „vor zehn Minuten zubereitet und dann abgekühlt“, sondern „lieber Gast, hier für dich auf den Tisch, frisch aus dem Kühlschrank“.

Serviert mit demselben großäugigen Enthusiasmus, mit dem einem Kinder Gemaltes vorlegen und warten, dass man darin den Walfisch/das Sturmtief/die Schokotorte erkennt. Und der es unmöglich macht, nicht mindestens ein paar Anstandsbissen kaltes Ei mit schnittfester Sauce zu essen.

Der Kreml

Ja, auch andere Städte als Moskau haben einen, und der von Tula ist klein und in der Wintersonne wirklich ausnehmend schön. Man geht einfach durch den Torbogen und ist auf dem Gelände. Angeblich soll es hier aber auch ein Museum geben, ach, da ist ein Schild zum Ticketverkauf. Klug haben sie das gemacht mit dem Ticketkiosk am Ende der Reihe kleiner Läden, alle offen, alle einladend. Samoware, Lebkuchen, Schnitzereien.

Tula Kreml

Nur der Ticketladen ist natürlich geschlossen, wohl dauerhaft, wie der Blick durchs Fenster zeigt: ein leerer Stuhl mit leerem Tisch und leeren Regalen. Ach so, und da links, auf einem zweiten Stuhl: eine Frau, die diesen leeren Laden bewacht. Weil in Russland jede Rolltreppe, jede Schranke und jedes Garagentor halt jemanden braucht, der sie hütet. An die Scheibe klopfen also? Oder statt Museum einfach in die Wintersonne setzen und was lesen? Einfache Entscheidung.

Der Bahnhof

Der Bahnhof von Tula ist der Beweis, dass es Russland schafft, parallel in verschiedenen Jahrhunderten zu existieren. Im für jeden zugänglichen Wartesaal gibt es hohe Decken, wallende Gardinen, kränkliche Grünpflanzen und gleich mehrere Steckdosen mit dem Schild: „Gadget-Aufladepunkt“. Ja, okay, daneben hängt ein Disclaimer, der ein ganzes A4-Blatt füllt (Spannungsschwankungen, Haftungsausschlüsse), aber hey: Sowas müssen deutsche Bahnhöfe erst mal nachmachen.

Tula Bahnhof Steckdose

Die Toiletten sichern unterdessen zwei Arbeitsplätze, den der Putzfrau und den der Kartenverkäuferin. In einer Art Vorhof, umringt von Deko-Zaun und weiteren Grünpflanzen, sitzt sie in einer Kabine, nimmt die 20 Rubel Gebühr entgegen und händigt dafür eine Quittung aus. Dann zeigt sie vor sich auf die kleine Fensterbank ihres Häuschens, in die ein Kugelschreiber aufrecht hineingerammt wurde und so eine Rolle tiefgraues, einlagiges Klopapier festhält. „Nehmen Sie sich was mit,“ sagt die Frau. Was sie nicht sagt: Die Toiletten sind allesamt von der Loch-im-Boden-Variante.

Gadget-Ladepunkt: 2016. Toiletten: 1916, bestenfalls. Die haben doch den… äh… hach, Russland. Immer für eine Überraschung gut.

Tula Bahnhof Toilette

Winter in Moskau: Warum läufst Du denn so komisch?

Moskau Winter Schnee Füße

  • Weil Schneematsch auf dem Boden ist.
  • Weil Eis auf dem Boden ist.
  • Weil unter dem Schneematsch Eis auf dem Boden ist.
  • Weil die Stiefel neu sind und die Blase an der Ferse auch.
  • Weil der Akku vom iPhone platt ist und ich es in die Tasche der eher engen Hose gesteckt habe zum Aufwärmen.
  • Weil die Ex-Frau des Moskauer Bürgermeisters eine Pflasterstein-Firma hat. In letzter Zeit werden immer mehr Bürgersteige gepflastert statt geteert, und das Eis setzt sich schön in die Fugen.
  • Weil ich Angst habe, auszurutschen.
  • Weil ich gerade fast ausgerutscht wäre.
  • Weil ich gestern ausgerutscht bin und nun ein stattliches Hämatom an der Hüfte habe.
  • Weil sich der Wollsocken im linken Schuh eigenmächtig um den Fuß gedreht hat.
  • Weil das iPhone immer noch nicht wieder angeht und ich als zusätzliche Wärmequelle jetzt noch die Hand in die enge Hosentasche gesteckt habe.
  • Weil ich heute mal das Schlurfen als Strategie gegens Ausrutschen teste.
  • Weil ich 45 Minuten im Schnee vor einer Kirche angestanden habe und jetzt meine Zehen nicht mehr fühle.
  • Weil es bergauf geht.
  • Weil es bergab geht.
  • Weil ich Abstand halte zu den Autos, die dreckiges Schmelzwasser hochspritzen lassen.
  • Weil das Geländer an dieser vereisten Treppe auf Kniehöhe angebracht ist.
  • Weil ich heute dummerweise eine Hose ohne Taschen angezogen habe und das iPhone jetzt in der Achselhöhle aufwärme.
  • Weil ich endlich wieder drinnen in einem Gebäude bin – aber der Boden ist frisch gewischt, und natürlich muss man Plastikhüllen über den Schuhen tragen.

Liebe in der Luft

Love is in the air, dafür hat Wassily Kirsanow gesorgt. Die Millionen von Menschen, die täglich mit der Moskauer Metro fahren, mögen seinen Namen nicht kennen, aber viele verdanken ihm ein Lächeln oder einen Schnappschuss. Denn wenn sie in der Eingangshalle der Haltestelle „Park Kultury“ einen Blick hinauf in die Kuppel werfen, hängen da rote, herzförmige Luftballons. Wassily hat sie dort hochgeschickt.

„Alles fing damit an, dass ich vor zwei Jahren mit der Metro unterwegs war und bei Park Kultury zufällig hochgeguckt habe,“ erzählt er. Zwei Herzballons hingen unter der Decke, er machte ein Foto für den in Russland fast schon obligatorischen Instagram-Account und freute sich. „Es hat sich angefühlt wie die Sorte Glück, die man eigentlich nur als Kind kennt. Ein Glaube an Wunder und Liebe.“ Als er ein paar Tage später wieder vorbeikam, waren die Ballons weg. „Aber da stand mein Entschluss schon fest: Ich werde diese Kuppel mit Herzen füllen!“ Kein philosophischer Überbau, kein komplexes Kunstprojekt. Einfach mal etwas tun, weil man es kann – und weil es anderen Metropassagieren den Alltag ein bisschen bunter macht. Es folgten zwei Jahre Warten, Planen, Sparen – die Ballons kosten zwischen 50 Cent und einem Euro, und dann ist noch kein Gas drin. Inzwischen steht im Zimmer von Wassily , der seit zwei Jahren einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften hat, seine eigene Heliumflasche. Im Dezember, als Moskau besonders grau war, ließ er die ersten Ballons in die Kuppel steigen – mit ordentlich Herzklopfen wegen des Sicherheitspersonals. „Wir leben in schwierigen Zeiten, und vieles, was man in Russland tut, bekommt dann irgendwer in den falschen Hals.“

Die Aufpasser entpuppten sich als entspannt, manchmal erzählte einer von ihnen Wassily, wenn wieder besonders viele Leute zum Fotografieren da gewesen waren. Die Instagram-Bilder, die andere von seinen Herzen machen, sammelt Wassily dort auf dem Account @undergroundhearts. Egal, welche Perspektive und welcher Filter: Wenn sich in der Kassettenstruktur der Decke jeder Ballon seine eigene Vertiefung gesucht hat, wirkt die Kuppel wie ein riesiger Setzkasten. Und Wassily arbeitet daran, ihn weiter zu füllen.

Einen Monat lang kam täglich ein Herz hinzu, ihr Absender sammelte unterdessen Erfahrungen: Wie lange hält sich so ein Herz wohl in der Luft? Eins weiß er jetzt: Das hängt nicht nur von dem Ballon und dem Helium darin ab. 30 Ballons kamen in vier Wochen zusammen – und verschwanden dann auf einen Schlag. „Man hat mir gesagt, dass die Metro-Mitarbeiter die Ballons alle runtergeholt haben, mit einer Zwille. Davon gab es sogar einen kleinen Clip im Fernsehen.“

Sauer sei er am Anfang schon gewesen, sagt Wassily, aber den Metro-Leuten nehme er das nicht übel. „Die machen ja nur ihren Job. Und mein Job ist eben, Ballons da hochzuschicken. Also habe ich am nächsten Tag ein neues Herz in die leere Kuppel aufsteigen lassen.“ Knapp 20 Euro gibt er dafür im Monat aus, zum Geldverdienen jobbt er in einem Souvenirladen.  Wie es weitergeht mit den Ballons? Vielleicht ja mit einem Flashmob, der gleich eine ganze Wolke Ballons auf einmal aufsteigen lässt. Wassily hat genug Ideen, die Frage ist eher, wie lange ihm Zeit für die Umsetzung bleibt. „Wer weiß, vielleicht verbieten sie irgendwann, in der Metro Ballons steigen zu lassen. Kann sein, wir leben in Russland.“ Bis dahin aber werden über den Köpfen der Metro-Passagiere weiter rote Herzen hängen. Vor kurzem ist Wassily trotz Wirtschaftskrise auf teurere, größere Ballons umgestiegen. „Die können die Leute besser sehen.“

Wenn das Internet alle ist

Moskau Unterführung Automat Frau

Die Webseite lädt und lädt und lädt, dann erscheint der Hinweis unseres Providers: Das Internet ist alle. Mal wieder. Und die Art, wie wir es wieder aufladen, durchaus speziell:

  • den Zettel mit unserer Vertragsnummer raussuchen
  • prüfen, ob genug Geld im Portemonnaie ist
  • Schuhe und Jacke anziehen
  • aus dem Haus über den Hof zur Straße gehen
  • an der Straße links bis zur nächsten Unterführung
  • runter und zu dem Automaten an der Stirnseite

Seit dem дефолт, Russlands Wirtschaftskrise Ende der Neunziger, ist das Vertrauen in Banken hier chronisch niedrig. Überweisungen oder gar Daueraufträge sind, jedenfalls bei Privatkunden, unüblich – viele Moskauer Freunde tragen jeden Monat ihre Miete in bar zum Vermieter. Stattdessen also: Geld auf dem Konto (oder noch lieber in der Hand) und wissen, wo der nächste Automat steht. Hier kann man seine Stromrechnung bezahlen, sein Knöllchen – und eben sein Internet:

  • Auf dem Bildschirm blättern, bis der richtige Provider angezeigt wird
  • „Internet zuhause“ auswählen
  • Zettel mit der Vertragsnummer rauskramen
  • Vertragsnummer eintippen, mit Nullen vorne, bis die Zahl der Stellen passt
  • in den Schlitz am Automaten einen Tausend-Rubel-Schein schieben

An Kredit- oder sonstigen Karten hat der Automat kein Interesse. Überhaupt erinnert er in seinem fast schon gusseisernen Charme eher an einen amerikanischen Briefkasten als an irgendwas, was mit Zahlungsverkehr zu tun hat. Trotzdem: Er schluckt den Schein und zeigt eine Bestätigung an. Also:

  • aus der Unterführung wieder raufgehen
  • Straße, Hof, Hauseingang etc
  • Jacke aufhängen, Schuhe ausziehen und ans Laptop setzen
  • Seite neu laden: läuft immer noch nicht!
  • einsetzender innerer Unlust-Monolog („Eh ich da jetzt noch mal rausrenne, mach ich nen Hotspot mit dem Handy!“)
  • Router neu starten
  • Seite noch mal neu laden: läuft!

Tür auf, einer raus, einer rein

Attest Visum Moskau Skoromed

Eine Dönerbude, daneben eine Stahltür ohne Türschild. Durch den neonbeleuchteten Gang, vorbei an dem Verschlag, in dem man Schuhe reparieren lassen kann. Im Lösungsmittelgeruch die Treppe rauf: Zweiter Stock, Anmeldung. Hallo, ich brauche ein Gesundheitszeugnis für ein Visum. Ja, Russlandvisum. Ja, auch einen AIDS-Test. Pass und Meldebescheinigung hier, bitte – da hinten steht mein Name auf Kyrillisch.

Und jetzt? Ah, ein Laufzettel. Die Ärzte warten in ihren Räumen, auf dem Gang davor stehen die Kunden, um sich begutachten zu lassen und dann eine Bescheinigung zu bekommen. Rein in die Plastik-Schuhüberzüge und los.

Vierter Stock, Zimmer vier

– „Guten Tag.“
– „Guten Tag. Die Jacke bitte ausziehen.“
– (…)
– „Sie stellen sich da rein, und dann nach links.“
– (…)
– „Nach links.“
– „Ich steh doch links.“
– „Nach links drehen. Und dann (unverständliche Verben im Imperativ)!“
– „Ich weiß nicht, was das heißt.“

Die Frau im blauen Kittel grinst und stellt sich so vor die Tür der Röntgenkabine, dass ich sie sehen kann. Sie guckt mich an, atmet tief ein und hält dann die Luft an. Ah, danke. Alles klar. Die Röntgenmaschine röntgt den Oberkörper, ich atme aus und komme wieder raus.

– „Sind Sie verheiratet?“
– „Ja.“
– „Hatten Sie schon mal Tuberkulose?“
– „Nein.“
– „Okay, fertig.“

Ein Jahr lang gelten die Visa für uns ausländische Mitarbeiter der Moscow Times, und die einzige Konstante von einem Visum zum nächsten ist, dass sich die Vorgaben und Abläufe jedes Mal ändern. Bisher zum Beispiel musste ich selber mich immer nur um den AIDS-Test kümmern, den Rest hat die Personalabteilung organisiert. Warum das diesmal anders ist? „Die Regeln haben sich geändert.“ Das ist fast so schön wie die Rundmail neulich: „Die Einladungsschreiben für eure neuen Visa verzögern sich wegen einer Verspätung.“

Auf der To-do-Liste, gemailt von der Personalabteilung zusammen mit den Adressen drei autorisierter Kliniken, stehen Krankheiten, die nach anderen Zeiten klingen. Tuberkulose. Syphillis. Lepra, ganz biblisch. Eine Freundin übersetzt die Testliste ins Englische, ich erkenne obskure Begriffe aus dem „Medical Love Song“ von Monty Python. „Weicher Schlanker“ – klingt nach Wiener Kaffeehausspezialität. Weitere Gründe, eventuell kein Russland-Visum zu bekommen: Chlamydien und psychische Probleme.

Vierter Stock, Zimmer neun

– „Sie sind aus Deutschland? Ich hatte in der Schule Deutsch, Moment, ein Wort weiß ich noch: ‚der Zug‘!“
– „Ah, ja, toll, ‚der Zug‘. Und ‚der Arzt‘ sicher auch, oder?“
– „Nein, das Wort kenne ich nicht.“
– „Das heißt врач. Doktor. Wie Sie.“
– „Hm. Haben Sie Allergien?“
– „Ja.“
– „Gegen was?“
– „Staub.“
– „Was für Staub?“
– „Hausgemachter.“ (Was weiß ich, wie „Hausstaub“ auf Russisch heißt. Aber „hausgemacht“, damaschni, das Wort steht hier auf jeder Speisekarte. Also: einmal Stauballergie nach Hausmacherart.)
– „Hausgemacht? Also wie hier im Zimmer?“
– „Ja.“
– „Okay, ich schreibe mal ‚keine Allergien‘. Zeigen Sie mal Ihre Hände.“
– (…)
– „Hände umdrehen.“
– (…)
– „Zeigen Sie mal Ihren Bauch.“
– (…)
– „Zeigen Sie mal Ihren Rücken.“
– (…)
– „Hatten Sie schon mal Hautkrankheiten?“
– (Hatte das nicht jeder? Pubertäre Ekzeme in den Armbeugen. Hitzepickel. Zählen Windpocken?) „Nein.“
– „Okay. Sie schreiben hier Ihren Namen hin, ihr Geburtsdatum, das heutige Datum. Und dann hier unterschreiben.“

Das Zögern bei „Arzt“ da gerade, hieß das jetzt, dass sie gar keine Ärztin ist? Edel geschminkt, weißer Kittel – kann auch eine Kosmetikerin gewesen sein, Händezeigenlassen gehört ja nun zu beiden Berufsbildern. Und so ein Türschild, auf dem „Dermatovenerologe“ steht, ist schnell angefertigt. Vielleicht sogar bei dem Schuster im Erdgeschoss, nebenberuflich.

Andererseits: Macht’s einen Unterschied, so lange ich hinterher meine autorisierte Bescheinigung einer autorisierten Klinik bekomme? Immerhin kostet der Spaß hier bloß 1500 Rubel, also 20 Euro. Beim European Medical Center, wo die Ärzte garantiert Ärzte sind und fließend mehrsprachig noch dazu, sollten dieselben Diagnosen 300 Dollar kosten.

Zweiter Stock, Zimmer sechs

– „Guten Tag.“
– „Guten Tag.“
– „Bitte da hin.“
– (…)
– „Einmal eine Faust machen.“
– (…)
– „Festhalten.“
– (…)
– „Moment noch, das Pflaster. So. Das ist alles.“

Das Röhrchen mit dem Blut bleibt im Zimmer, die blauen Plastikschluppen kommen in den Mülleimer an der Rezeption. Was bleibt? Drei Zimmer, drei Frauen – eine blau bekittelt, eine weiß, eine türkis. Eine Bescheinigung, hoffentlich, in ein paar Tagen.

Über die Strahlendosis dieser Röntgenkiste denke ich jetzt jedenfalls nicht nach, sondern lieber darüber, was an diesem Vormittag wohl der Test auf psychische Probleme war. Die Frage nach der Ehe? (Fliegt raus, wer in Tränen ausbricht, hysterisch lacht oder ein Foto von Putin aus der Handtasche holt?). Oder einfach der ganze Prozess?

klinik gesundheitszeugnis füße moskau