Russball, Folge 30: WM-Flugtickets für 5 Rubel (aber nicht für euch)

Russball kscheib Suus Agnes 2 signedFaule Journalisten fangen ihre Reportagen ja gerne damit an, dass sie an irgendeinem Ort ankommen und dann erst mal ausgiebig ihren Taxifahrer zitieren. Der erste Russe, mit dem ich mich 2018 unterhalten habe, war ebenfalls ein Taxifahrer – er hat uns auf einen Hügel am Rand von Murmansk gefahren, von wo aus man das Nordlicht sehen konnte. Viel Warten, viel Hochgucken, und dann plötzlich: ein grünes Leuchten am Himmel, das langsam intensiver wird. Einatmen. Ausatmen. Staunen.

Als wir genug nach oben geguckt hatten, gönnte uns der Taxifahrer auf dem Heimweg noch einen Blick in die Zukunft: „Natürlich bin ich mir nicht komplett sicher – aber zu 99,9 Prozent werdet ihr dieses Jahr wieder Weltmeister.“ Für so einen schmeichelhaften WM-Orakelspruch ist hoffentlich auch der „Journalist zitiert Taxifahrer“-Einstieg ausnahmsweise okay.

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⚽  So kann’s gehen: Letzten Mittwoch die neue Russball-Folge veröffentlicht, in der Witali Mutko ankündigt, sein Amt als Chef des russischen Fußballverbandes ruhen zu lassen. Und dann kommt ein paar Stunden später die Meldung, dass Mutko auch als Leiter des WM-Organisationskomitees abtritt. Habt ihr sicherlich alle mitbekommen, darum eher der Vollständigkeit halber hier noch ein Link mit den Details.

⚽ Russischer Fußballfan müsste man sein, dann könnte man zu den WM-Spielen der eigenen Mannschaft für nur 5 Rubel – also 7 Cent – anreisen. Mit dem Flugzeug, wohlgemerkt, und auch nicht mit irgendeinem dubiosen Billigflieger, sondern mit Aeroflot. 70.000 solcher Tickets will der Staatskonzern zur Verfügung stellen – oder auch mehr, je nachdem, wie weit Russland im Turnier kommt. Eh einer fragt: Nein, das ist keines dieser Angebote nach dem Ryanair-Prinzip, wo zum Ticketpreis dann noch Gebühren für Gepäck, Kreditkartennutzung, Sitzplatzwahl und Essen an Bord anfallen. In den 5 Rubeln sind bereits alle Gebühren drin, verspricht Aeroflot. Wie das neue Angebot publik gemacht wurde? Bei einem öffentlichkeitswirksamen Gespräch zwischen Vorstandschef Witali Saweljew und Russlands Präsident Wladimir Putin. Der möchte schließlich im März wiedergewählt werden – da gibt es vorher Geschenke an die Wähler, bis hin zu Ticket-Schnäppchen. Den ganzen Wortlaut des Gesprächs („Können die Fans nicht einfach umsonst fliegen?“ – „Nein, aber…“ – „Ich weiß! Für einen Rubel“ – „Nein, aber…“) kann man hier nachlesen.

Aeroflot-Chef Saweljew im Gespräch mit Wladimir Putin (Foto: Kremlin.ru)
Aeroflot-Chef Saweljew im Gespräch mit Wladimir Putin (Foto: Kremlin.ru)

⚽ Preisfrage: Welche Heimatstadt eines deutschen Bundesligisten wird hier beschrieben? „In XY leben mehr als 500.000 Menschen. Für junge Leute gibt es hier nichts zu tun, also ziehen sie zum Studieren und Arbeiten in respektablere, lebendigere Städte wie Düsseldorf, Berlin oder Frankfurt.“ Liebe Dortmunder, ihr seid gemeint! So stuft euch jedenfalls Witali Subzow ein, der für Sports.ru recherchiert hat, wie man auch bei fast ausverkauftem Stadion noch an Karten für ein BVB-Spiel kommt.

Das Touristen-Paket – mit Ticket, Unterkunft, Begrüßungsmappe, Eintritt ins BVB-Museum und weiterer Bespaßung – scheint Subzow sehr beeindruckt zu haben. Selbst die Stadionwurst („exzellente Qualität“) wird lobend erwähnt. Alles in allem liegt ein Hauch des Staunens über Subzows Erlebnisbericht. Selbst Russlands Top-Mannschaften spielen nur selten vor ausverkauften Stadien. Und hier, in dieser wenig respektablen, wenig lebendigen Stadt, gehen die Eintrittskarten „schneller weg als das neue iPhone oder Turnschuhe von Kanye West.“ Entsprechend bringt der Autor seinen Lesern dann auch noch ein deutsches Wort bei: „ausverkauft“.

⚽ In Russland ist ja nicht Weihnachten, sondern Neujahr das Fest, wo man mit der Familie um einen festlich geschmückten Baum sitzt und Geschenke auspackt. Das nur für den Hinterkopf, damit klar ist, warum diese Neujahrs-Videos von ZSKA Moskau für unseren Geschmack so weihnachtlich aussehen. Inhaltlich sind sie jedenfalls eine Übung in Selbstironie. An einer Pinnwand sollen die Spieler Zettel mit ihren Plänen und guten Vorsätzen für 2018 anbringen. Pontus Wernbloom, bekannt für sein Temperament, will seine Selbstbeherrschung verbessern – hat ja auch direkt super geklappt:

Der Brasilianer Vitinho möchte gerne für die Nationalmannschaft spielen – schon erscheint ein Mitspieler und winkt mit einem russischen Pass. Auf dem Zettel von Trainer Wiktar Hantscharenka steht „Stürmer kaufen“ – ZSKA-Präsident Jewgeni Giner nimmt den Zettel grinsend wieder ab. Und was passiert, wenn dein Plan fürs neue Jahr „Kapitän werden“ heißt – und dann kommt der aktuelle Kapitän vorbei, während du gerade den Zettel an die Wand pinnst? Auftritt Alexander Golowin und Igor Akinfejew:

⚽ Auch Jewgeni Sirjankin, Fußballexperte von Sport Express, hat seine Neujahrswünsche aufgeschrieben. Ganz oben auf der Liste steht selbstverständlich das Thema Fußball-WM. Der Wunsch, der sich da in Großbuchstaben manifestiert, ist so realistisch, dass es schon fast Satire ist: „RUSSLANDS NATIONALMANNSCHAFT ERREICHT DAS VIERTELFINALE DER WELTMEISTERSCHAFT“ – “!!!111!!!!einself!!”, möchte man hinzufügen.

„Wenn dieses Wunder geschieht“, schreibt Sirjankin weiter, „kann sich die Nationalmannschaft schon zu den Siegern des Turniers zählen. Denn darüber hinaus gibt es nur noch die unerreichbaren Sterne.“ Glücklich der Fan, der seine Wünsche so auswählt, dass sein Team sie auch erreichen kann.

⚽  Wer Moskau von seiner besten Seite sehen will, muss rauf auf die Sperlingsberge. Zur einen Seite die Moskauer Lomonossow-Universität (MGU), ein Prunk- und Prachtstück im stalinistischen Zuckerbäckerstil. Zur anderen Seite die Aussicht runter auf die Stadt, mit so gut wie allen Sehenswürdigkeiten auf einen Blick. Wenn wir Besuch in Moskau haben, fahren wir oft abends dort hoch, weil das Panorama im Dunkeln besonders schön ist.

Der perfekte Ort also, um dort während der WM eine Fan-Zone einzurichten, oder? Kommt drauf an, wen man fragt. Viele Studierende der MGU sind alles andere als begeistert von der Idee, einen Monat lang jeden Tag Remmidemmi direkt vor der Haustür zu haben – zumal das Unigebäude nicht nur aus Hörsälen, Seminarräumen und Büros besteht, sondern zu einem großen Teil auch Studentenwohnheim ist. Krach, Verkehrskollaps, Störungen beim Vorlesungsbetrieb, betrunkene Fans – auf einem Flyer haben die Gegner der Fan-Zone ihre Sorgen aufgelistet.

kscheib russball studenten protest MGU fanzoneMehr als 10.000 Nutzer informieren sich bei VKontakte über den Protest. „Ich weiß gar nicht, was mich mehr nervt – die eigentlichen Beeinträchtigungen selbst, oder die Achtlosigkeit und der Mangel an Dialog. Wahrscheinlich eher letzteres,“ sagt Michail Schirjajew, der Fußballfan ist, an der MGU Materialwissenschaften studiert und den Protest mit organisiert. Nur die Universitätsleitung sei in die Pläne von WM-Organisatoren, Stadt und FIFA eingebunden gewesen. Wie andere Studierende zu der Fan-Zone vor ihrer Haustür stehen, und wie die Planer ihr Projekt verteidigen, hat Sports.ru gegenübergestellt.

⚽ Endlich steht fest, welche russischen Fernsehsender die WM übertragen werden: Das Konsortium „2 Sport 2“ hat die Rechte gekauft, es vertritt drei Sender, darunter den erst vor ein paar Jahren gegründeten Sport-Kanal „Match TV“. 32 Millionen Dollar sollen die Rechte gekostet haben – ziemlich wenig, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die FIFA dafür ursprünglich 120 Millionen haben wollte. Der Hollywood Reporter verspricht eine Erklärung unter der Überschrift: „Why Russian Networks Got Soccer World Cup Rights for a Fraction of the Asking Price“. Im Text dann: keine Erklärung, nur der Hinweis, dass die russischen Geschäftspartner nun mal nicht mehr bezahlen wollten. Soso. Aha.

⚽ Amkar Perm kämpft ums Überleben. Dem Erstliga-Club fehlt das Geld, so einfach ist es, aber dann auch wieder nicht. Denn hinter den Sorgen des Vereins steckt auch ein strukturelles Problem im russischen Vereinsfußball: Viele Mannschaften gehören bis heute dem Staat – sei es direkt, oder durch einen Staatskonzern. In Perm ist es die Regionalregierung, die wiederum hat seit Jahresbeginn einen neuen Sportminister, und der will lieber in den Breitensport investieren als in einen Verein, der irgendwo unten in der Erstligatabelle rumdümpelt.

Bricht einem Verein, der in Privatbesitz ist, ein Investor weg, dann macht er sich auf die Suche nach einem neuen. Amkar Perm hat diese Option nicht, es gibt schließlich keine zweite Regionalregierung mit zweitem Haushalt und zweitem Sportminister. Bis zum 11. Januar, so die Vereinsführung, müsse die Finanzierung für die Rückrunde stehen. Sonst werde der für den Tag geplante Abflug des Teams ins Trainingslager abgesagt. Stand Ende Dezember gab es immerhin noch Verhandlungen zwischen Verein und Regierung.⚽ Zum Schluss noch was Historisches. Es geht um einen Putschversuch, nicht allzu lange nach dem Ende der Sowjetunion. Ein sportpolitischer Staatsstreich, quasi: Kurz vor der Weltmeisterschaft in den USA forderten 14 Spieler der russischen Nationalmannschaft einen neuen Trainer – auf ganz großer Bühne, per offenem Brief an Boris Jelzin.

Die Geschichte war mir komplett neu, und sie ist so interessant, dass man sogar den ziemlich krautigen Stil verzeihen kann, in der Russian Football News sie erzählt. Einfach beim dritten Absatz einsteigen, wo es um den Begriff „Refusenik“ geht, und ein Stück postsowjetischer Sportgeschichte nacherleben.

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Ach so, mein Neujahrswunsch ist übrigens: Falls ihr dass Gefühl habt, das Russball euch gut informiert, unterhält oder gar beides, dann sagt das doch gerne weiter – dem Kollegen am Nebentisch, der Freundin auf dem Bolzplatz oder einfach den Followern bei Twitter. Ich mach das hier gerne und freue mich über jeden, der mitliest. Bis dann!



Ein Jahr, 52 neue Dinge

Ein Jahr in Moskau bleibt noch, und gelegentlich setzt schon die Verklärung ein
Ein Jahr in Moskau bleibt noch, und gelegentlich setzt schon die Nostalgie ein.

2018, das heißt auch: noch ein Jahr in Russland. Als wir Anfang 2014 hierher gezogen sind, wussten wir, dass fünf Jahre das Maximum sind. Länger schickt die ARD ihre Korrespondenten normalerweise nicht ins Ausland, jedenfalls nicht am Stück.

Januar 2019 ist also Schluss mit Moskau für Markus und für mich. Und so schwer ich mich am Anfang auch mit vielem hier getan habe, und so viel wir seitdem zusammen erlebt, erreist und entdeckt haben: Wenn ich über dieses letzte Moskaujahr nachdenke, bekomme ich schon jetzt so ein leichtes Ziehen im Bauch. Abschiedsschmerz auf Vorschuss, bei den albernsten Anlässen. Neulich habe ich tatsächlich gedacht: „Oh Mann, das ist bestimmt schon die letzte Packung Wattestäbchen, die du hier kaufst, so selten wie du die brauchst.“

Was soll dann erst aus den Dingen werden, an denen das Herz hängt? Wie viele Sommermorgende auf der Datscha noch? Wie oft noch das Gefühl, vor die Tür zu treten bei einer solchen Kälte, dass sofort die Feuchtigkeit in der Nase gefriert? Wie oft noch mit Freunden um den Tisch beim Lieblingsgeorgier sitzen? Wie oft noch in eine neue Stadt kommen und sich zwischen Marx-Straße und Lenin-Straße orientieren?

Außerdem gibt es noch so viele Sachen, die ich hier noch nie gemacht habe. Schlichte touristische – das mit der Führung im Großen Kremlpalast hat nie geklappt, Tolstois Haus kenne ich nur von außen. Ums Eisbaden hab ich mich bisher gedrückt, dabei soll das doch ein ganzes Jahr lang Segen und Gesundheit bringen. Ich hab immer noch niemanden gefunden, der an der Lomonosow-Uni studiert und mich da mal mit rauf nimmt, vom Hauptgebäude runtergucken. Ganz Moskau spielt Quests, nur ich war noch nie bei einem. Sollte ich nicht vielleicht doch mal eine Prüfung beim Puschkin-Institut ablegen, um mal zu wissen, wo ich sprachlich so stehe? Gesangsunterricht bei einer russischen Lehrerin wollte ich auch immer mal nehmen. Außerdem: Wie kann man zig Konzerte im Konservatorium und im Dom Musiki gehört haben, aber noch kein einziges im Tschaikowsky-Saal?

Und das sind nur die Moskauer Ideen. In Kaljasin guckt ein Glockenturm aus einem Stausee raus – die AirBnB-Wohnung am Ufer ist schon seit Monaten gebookmarkt. Wladiwostok soll sich anfühlen wie eine Mischung aus San Francisco und Japan. In Kamtschatka gibt es Vulkane und in Ulan-Ude die weltgrößte Lenin-Büste.

Kurz dahinter beginnt die Mongolei.

Von Moskau nach Kasachstan ist auch nicht so weit.

Vielleicht schafft Usbekistan 2018 ja endlich mal die Visumspflicht ab.

So viele Ideen, da kam die Nachricht einer Freundin genau recht. Sie organisiert eine Fotochallenge für 2018: jede Woche etwas erleben, was man noch nie erlebt hat, und das dann dokumentieren. Hashtag: #52newthings. Immer sonntags wird dann ein Bild fällig, das zeigt, was diese Woche neu war. Ein Impuls, aus diesem einen, letzten Russlandjahr noch mal alles herauszuholen.

Troika am Finger: One ring to ride them all

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Dem russischen Winter begegne ich in diesem Jahr mit zweifachem Tuning am eigenen Körper. Zum einen Kontaktlinsen, nach Jahren mal wieder – weil es einfach nervt, wenn du von Mitte November bis Mitte März kein Gebäude betreten kannst, ohne erst mal blind zu sein. Und zum anderen ein neuer Ring. Knatschblau, aus Keramik, glänzend.

Wer ihn gegen das Licht kippt, sieht den Schriftzug: „Troika“, das ist für Moskau, was für London die Oyster Card ist – eine aufladbare Guthabenkarte für Bus und U-Bahn. „Payring“ steht auch noch drauf, das ist der Hersteller mit Sitz in Moskau.

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Direkt nach der Sache mit den beschlagenen Brillengläsern nervt kaum etwas so sehr, wie im Winter am Metro-Eingang zu stehen und den Verkehr aufzuhalten, weil erst wieder Hand-, Hosen- und Jackentasche nach der Troika-Karte durchsucht werden müssen, gerne auch zweimal. Seit die Moskauer Metro vor einigen Wochen verkündet hat, dass es die Troika nun auch als Ring geben soll, hab ich immer mal wieder versucht, einen zu bekommen.

Die Antwort war immer entweder „Haben wir noch nicht“ oder „Haben wir nicht mehr.“ Bis zu dem netten Mann am Souvenirstand in der Metrostation Kiewskaja: „Troika-Ringe? Wir haben nur blaue, und nur Größe 17 oder 21, aber die können sie gerne mal anprobieren.“

2200 Rubel und keine fünf Minuten später gehe ich frisch beringt zur Kasse, um meinen Ring aufzuladen. Dazu muss man ihn erst mal wieder ausziehen und einer milde desinteressierten Kassiererin aushändigen – Aufladen am Automaten kann man den Ring im Gegensatz zur Karte nicht, dazu müsste man ihn in den flachen Kartenschlitz reinquetschen. Aber wenn nicht gerade Rush-Hour ist, kommt man ja auch an der Kasse schnell dran.

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Dann der erste Test: An der Schleuse kurz vor der Rolltreppe, wo man sonst seine Karte hinhält, wedle ich mit dem Ringfinger rum – nichts. Nochmal – nichts. Aber schon beim nächsten Versuch klappt es: Der Trick ist, eine Faust zu machen und die dann, Handrücken nach oben, gerade vor das Kartenlesefeld zu halten. Kein Wackeln, kein Wedeln – die Schleuse schwenkt auf.

Ich fahre an diesem Tag noch ein paar Mal Metro, immer mit dem ganzen Tamtam: hochfahren, rausgehen, wieder reinkommen. Jedes Mal klappt das Bezahlen mit dem Ring problemlos, solange die Handhaltung stimmt. Ein bisschen nervig nur: An den Schleusen vor der Rolltreppe hält man die Karte normalerweise an den Pfosten rechts von sich. Ich trage den Bezahlring aber links, weil rechts schon der Ehering steckt.

Also, jedes Mal den Arm vorm eigenen Körper querhalten zum Durchschleusen – das braucht ein bisschen Training, bis es sich nicht mehr seltsam anfühlt. Andererseits: Jeder Linkshänder macht das mit seiner Troika-Karte schon lange genau so. Kein großes Ding.

kscheib troika payring metro

Wichtig auch: In den Eingangshallen der Metro – der Russe sagt „Vestibül“, weil er französische Lehnwörter liebt – hängen gelbe Kästen mit Bildschirm, an die man seine Troika-Karte halten kann, um zu sehen, wie viel Geld noch drauf ist. Hier dauert es zwei, drei Versuche, bis das Gerät meinen Ring erkennt und richtig anzeigt, was er noch an Rubeln auf sich hat. Aber was soll das schon, wenn die Schleuse in der Metro ebenfalls anzeigt, was nach dem Durchgehen noch an Guthaben bleibt?

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Den Bus-Test besteht der Troika-Ring ebenfalls: Hand dahin am Drehkreuz halten, wo man sonst die Karte platziert, und sofort geht das grüne Licht an und das Kreuz lässt sich drehen. Kein Gewarte, kein Hantieren, keine unangenehme Schlange hinter mir.

Bleiben noch auf der persönlichen Testliste: Straßenbahn, Oberleitungsbus, Flughafenschnellzug. Alles Verkehrsmittel, die man mit der Karte bezahlen kann, also auch mit dem Ring bezahlen können soll. Wahrgenommen habe ich ihn ohnehin nur die erste Stunde oder so – ich trage gerne Ringe, also fühlte sich auch die Bezahlvariante nicht wie ein Fremdkörper an. Und wer weiß: Wenn hier in Moskau demnächst richtiger Winter ist, also -25 statt nur -5 Grad, dann probiere ich mal, ob der Ring auch durch Handschuhe hindurch funktioniert.

Russball, Folge 26: Moskau, Kasan, Sotschi

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Das war eine fleißige Woche seit der letzten Russball-Folge: Am Mittwoch haben Max-Jacob Ost und ich uns für seinen Rasenfunk-Podcast über den Fußball in Russland und vor allem die Vorbereitungen auf die Weltmeisterschaft im kommenden Sommer unterhalten: Russland vor der WM 2018 – Kurzpass 044.

Freitag dann die WM-Auslosung (dazu unten mehr), und am Montag hat VICE ein Interview gebracht, für das René Bosch und ich vor allem über Tipps für deutsche Fußball-Fans gesprochen haben, die nach Russland reisen wollen: Hotelpreise, Sprachkenntnisse, Visum, die wichtigsten Apps, die man vorher runterladen sollte. Und um meinen Lieblingsitaliener hier in Moskau ging’s auch: Was erwartet Fans in Russland?

Sowohl Max als auch René verdanke ich auch einige neue Blog-Leser, Twitter-Follower, Newsletter-Abonnenten – wie schön, herzlich willkommen! Heute geht’s fast ausschließlich um die WM, zum Start mit einem Blick auf die drei Städte, in denen die deutsche Mannschaft ihre Gruppenspiele austrägt.

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⚽ Muss ich Moskau überhaupt noch erklären? Kommt doch ständig vor hier, bei Russball und in den anderen Blogposts. Es ist die Stadt, wo die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in jedem Bus mitfahren. Wo man das Leitungswasser besser nicht trinkt. Wo man im Sommer so schön Boot fahren kann oder sogar segeln. Die Stadt, wo du in der Metro-Station hoch gucken und die Liebe sehen kannst. Alles Dinge, die man hier als Fan erleben kann.

Was muss man fußballtechnisch über die Stadt wissen? Sie ist schuld daran, dass an der WM zwar zwölf Stadien, aber nur elf Städte beteiligt sind. Moskau darf zweimal ran, mit dem Luschniki-Stadion und dem von Spartak. Passt aber irgendwie ins Bild, schließlich hat diese Stadt auch gleich fünf große Fußballvereine hervorgebracht: Lokomotive Moskau, Dynamo Moskau, Spartak Moskau und ZSKA Moskau spielen in der ersten Liga, Torpedo Moskau in der dritten. Und wo wir schon mit Zahlen hantieren: Bei Lokomotive sind Russlands Fußballzwillinge beschäftigt, Alexei und Anton Miranchuk, beide auch Nationalspieler.

⚽ Dann also Kasan. Ich war da immer nur im Winter – das Erlebnis, mit Eisfischern ins Gespräch zu kommen, werden die deutschen Fußballer und ihre Fans im Juni wohl nicht haben. Dafür kann, wer immer hierher reist, eine russische Stadt erleben, in der Islam und Orthodoxes Christentum gleich stark vertreten sind – im örtlichen Kreml stehen die Mariä-Verkündigungs-Kathedrale und die Kul-Scharif-Moschee nicht weit voneinander entfernt. (Hier sieht man die Moschee bei Google Arts & Culture.)

Interessant an Kasan ist auch, dass Lenin hier studiert hat – einen Seminarraum, in dem er damals saß, kann man immer noch im Originalzustand besichtigen. Direkt vor dem Uni-Gebäude steht außerdem eine Lenin-Statue, die man aber kaum als Lenin erkennt. Keine Halbglatze, kein Bart, kein visionär ausgestreckter Arm. Der Kasaner Lenin sieht halb nach Babyspeck aus und halb nach Boygroup. Ist halt noch Student.

Ich wollte hier jetzt eigentlich noch was über die Kasan-Arena schreiben (laut WM-Werbung „das einzige Fußballstadion der Welt, in dem zwölf Schwimm-Weltrekorde aufgestellt wurden“). Dann habe ich einen Freund, der Sportreporter ist und bei ebendiesem Schwimm-Turnier war, gefragt, was potentielle WM-Reisende noch über Kasan wissen sollten. Er möchte ungenannt bleiben, weist aber darauf hin, dass es an der Bauman-Straße – Kasans Fußgängerzone – den Club „Coyote Ugly“ gibt. Dort tanzen Damen mit viel Energie und wenig Kleidung auf dem Tresen, und wenn, sagen wir mal, ein deutscher Sportreporter den Raum betritt, wird er zu einem besonderen Ritual genötigt: Man setzt ihm einen Bauarbeiterhelm auf, dann klopft ihm eine der Tänzerinnen kräftig mit einem Baseballschläger auf den Kopf. Anschließend muss er einen Wodka auf Ex trinken, und dann wird geschaut, was passiert. Kostet 15 Euro, umgerechnet.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er die Geschichte als Warnung oder als Empfehlung gemeint hat.

⚽ Sotschi schließlich ist die dritte Stadt, in der die deutsche Nationalelf eines ihrer Gruppenspiele austragen wird. „Man kann den Fußballfans in Sotschi nur gratulieren zu dieser ausgezeichneten Auswahl an Teams“, schreibt eine lokale Nachrichtenseite. Interessant wird jetzt auch, ob sich das DFB-Team daraufhin nun entscheidet, wie während des Confed-Cups wieder in Sotschi zu wohnen. In den Worten von Leon Goretzka: „Es ist nicht das Verkehrteste auf der Welt, beim Frühstück aufs Meer zu blicken.“ Wer von Sotschi spricht, meint übrigens meist Adler, den etwas abseits gelegenen Vorort, in dem die olympischen Sportstätten wie auch das Fischt-Stadion liegen.

Die Gebäude des Olympischen Dorfs sind heute Hotels, es gibt also genug Unterkünfte der Kategorie „einfach, aber sauber“. Allerdings wohnt man dort dann ziemlich in der Pampa: links Hotel, rechts Hotel, kaum Busse. Selbst, wenn man sich mit dem Taxi in die Nähe vom Stadion bringen lässt, kann es gut noch mal 30 bis 45 Minuten Fußweg bedeuten, bis man am richtigen Eingang ist. Aber vielleicht gibt es während der WM ja einen Shuttle-Service.

Wer die Dreiviertelstunde nach Sotschi fährt – auf der Strecke gibt es einiges an Busverbindungen, mit teils recht drastisch argumentierenden Busfahrern – kann dort nicht nur im Hafen Wladimir Putins offizielle Yacht liegen sehen. Es lohnt sich auch unbedingt, in den botanischen Garten zu gehen. Vor zwei Jahren ist mein Moskauer Chor im Hochsommer bei einem Musikwettbewerb in Sotschi angetreten, und dieser Garten war so ziemlich der einzige Ort, wo man tagsüber gleichzeitig draußen und trotzdem im halbwegs Kühlen sein konnte.

⚽ Erst mal nicht in Sotschi spielen darf die Mannschaft von Brasilien – sie tritt in der Gruppenphase in Moskau, St. Petersburg und Rostow an. Dumm nur, dass die Brasilianer schon vor der Auslosung ihr WM-Quartier in Sotschi gebucht haben. Da löst das Moppern des Trainers über lange Anreisen dann nicht mehr ganz so viel Mitleid aus. Ähnlich sieht es auch bei den Engländern aus, die sich ja schon vor einigen Wochen für eine sowjetisch angehauchte Unterkunft irgendwo hinter Petersburg entschieden haben. Ihnen stehen nun folgende Anreisen zu den Gruppenspielen bevor:

Und überhaupt, wer sich jetzt über lange Anreisen beschwert, hat sich vermutlich vorher nicht allzu intensiv mit russischer Geographie befasst. Dabei sind Wladiwostok, Omsk, Irkutsk nicht mal Austragungsorte, der östlichste ist Jekaterinburg, was auf einer West-Ost-Achse durch Russland nicht mal auf halber Strecke liegt. Die Teams der russischen Liga müssen da für ihre Spiele um die Meisterschaft ganz andere Distanzen zurücklegen, in der zweiten Liga sind sie sogar noch länger unterwegs.

⚽ RBK hat Wirtschaftsexperten gefragt, was die Fußball-WM Russland wohl an Geld bringen wird. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Aller Wahrscheinlichkeit nach ein Verlustgeschäft“ erwartet ein Analyst der Raiffeisenbank, ein anderer Fachmann sieht die Auswirkungen auf Russlands Wirtschaftswachstum „im Bereich…..“. Alles, was da kurzfristig an neuen Jobs in Hotels, Restaurants usw. geschaffen werde, breche quasi Mitte Juli wieder weg.

Unterm Strich sagt RBK daher 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum durch die WM voraus – trotz Prognosen, wonach angereiste Fans hier rund 3 Milliarden Dollar ausgeben werden. Dmitri Peskow, Sprecher von Präsident Putin, hat auf die RBK-Analyse mit seiner eigenen Rechnung reagiert: Schließlich seien bei einer WM nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die gesellschaftlichen Auswirkungen wichtig.

⚽ Langsam wird es Zeit, einen Weihnachtswunschzettel zu schreiben. Wobei in Russland ja Väterchen Frost die Geschenke bringt, und das auch erst an Silvester, aber egal. Dieser russische Fußballfan, der hier gerade bei Instagram die Runde macht, kümmert sich rechtzeitig:

Смешно как-то 😂#чм2018 #футбол #воображение

Ein Beitrag geteilt von Марина (@marina_budakova) am

Wer immer dieses Meme getextet hat, der ist gut im Gebrauch russischer Schimpfwörter. Auf Deutsch klingt das dann in etwa so:

– „Liebes Väterchen, ich habe nur einen einzigen Wunsch: Dass unsere Nationalmannschaft bei der WM im eigenen Lande nicht völlig abkackt.“
– „Alter, bin ich ein scheiß Zauberer oder was?“

⚽ Laut „Futbol“ soll in Russlands Premjer-Liga eine Art Fan-ID eingeführt werden. Das klingt auf den ersten Blick interessant: Schon beim Confed-Cup durfte ohne Fan-ID niemand ins Stadium, genau so wird es bei der WM sein – und man muss eine ganze Menge persönlicher Daten dafür angeben. Auf den zweiten Blick reicht dann aber auch ein normaler Ausweis oder Reisepass und damit der Datensatz, den man dem Staat anvertraut hat. Einfacher gesagt: Wer ins Stadion will, muss sich in Zukunft ausweisen können.

⚽ Zur WM-Infrastruktur gehören nicht nur Stadien, Hotels, Straßen und Züge. Wenn russische und internationale Fans ihre ganzen Selfies entspannt instagrammen wollen, brauchen sie auch anständiges Internet. Allein Moskau nimmt deshalb fast 15 Millionen Dollar in die Hand, dafür sollen in der Stadt mehr als 2000 neue WLAN-Hotspots entstehen. Dabei ist Moskau im Vergleich zu deutschen Großstädten schon jetzt super aufgestellt: Kostenloses WLAN in der Metro, in Parks, in vielen Bussen und Taxen, dazu in so gut wie allen Cafés und Museen. Ach so, und mobiles Internet – LTE natürlich – für ein paar hundert Rubel im Monat hab ich schon gesagt?

⚽ Leonid Sluzki ist wieder auf dem Markt. In seinem halben Jahr bei Hull City hat Russlands früherer Nationaltrainer nur vier Siege seiner Mannschaft erlebt, das war dann doch zu wenig. Für Hull heißt das: Schon wieder einen neuen Trainer suchen, den vierten seit Sommer 2016. Und für Sluzki? Kann gut sein, dass die Episode eher für als gegen ihn zählt – Erfahrung als Trainer in England, wer hat das in Russland schon?

Die Sluzki/Hull-Bilanz von Sports.ru klingt denn auch so: „Er holte 2017 zwar nur vier Siege, aber er lernte Englisch, arrangierte sich mit Spielern und Fans, deren Mentalität ihm fremd war, und war mit einer ganz anderen Art von Leistungsdruck konfrontiert.“ Erfahrungen, so der Kommentator, die Sluzki so in Russland nicht hätte machen können und von denen er in den nächsten Karriere-Jahrzehnten profitieren könne. Kann also gut sein, dass der ein oder andere russische Verein schon die Fühler Richtung Sluzki ausstreckt. (Wer übrigens, wie ich, bisher nicht wusste, warum Sluzki seine Karriere als Profifußballer früh beenden musste: Einfach mal ans Ende von diesem Guardian-Artikel hier scrollen. Ooooohhhh!)

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Mann, das ist heute eine lange Russball-Ausgabe geworden – und ich hab sogar noch ein paar zeitlose Links aufbewahrt für nächste Woche. Zum Schluss noch zwei Artikel, zu denen man nicht viel erklären muss, die aber in den nächsten Monaten für potenzielle Russland-Reisende nützlich sein könnten: Ein Überblick über alle russischen WM-Stadien und ein zweiter über die Zeitzonen, in denen sie liegen. Wer jetzt immer noch nicht genug hat: Alle alten Russball-Folgen zum Nachlesen gibt es hier. Bis nächste Woche!



 

Sowjetische Design-Objekte aller Arten, vereinigt euch!

kscheib sowjetunion mode

Bis vor einer Woche habe ich mir eingebildet, mich mit Moskaus Museen auszukennen.

Das Puschkin-Museum, das Garage-Museum, das Museum der Stadt Moskau, die alte Tretjakow-Galerie, die neue Tretjakow-Galerie, das Spielautomatenmuseum, das Multimedia Art Museum, das Museum für Moderne Kunst, das Fotomuseum „Brüder Lumiere“, das Museum für fernöstliche Kunst, das Zoologische Museum, das Darwin-Museum, das Kosmonautenmuseum, das Zentralmuseum der russischen Streitkräfte, das Architekturmuseum, das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, das Paschkow-Haus – ich hab sie, so viel Prahlerei muss erlaubt sein, alle gehabt. Einige von ihnen auch mehrfach. Ins Museum gehen ist einfach, auch wenn man die Sprache noch lernt. Museen funktionieren immer gleich – Karte kaufen, rumlaufen, gucken.

Wie mir dabei fast vier Jahre lang das Moskauer Designmuseum durchgegangen ist – keine Ahnung. Mich grämt daran nicht so sehr, einfach ein Museum in Moskau nicht zu kennen – da wird es nicht das einzige sein. Aber so ein tolles, das noch dazu genau mein Ding ist! Wenn ihr mal bitte hier schauen wollt, was zunächst Russland und dann die Sowjetunion so hervorgebracht haben:

kscheib russland becherhalter

Ein Metallhalter, in den man sein Teeglas stellt. So um 1880 entstanden, unglaublich fein ausgearbeitet. Aber wir fangen ja erst an. Zwei Räume weiter, und es geht um russische Handarbeit. Zum Beispiel sowas hier:

kscheib russland design eichhörnchenkleid

So, damit kann ich dann auch endlich den Bergiff „Eichhörnchenkleid“ als Schlagwort für einen Blogpost vergeben – wieder einen Eintrag kürzer, die Bucket-List. Dazu noch die Holzbank im Hintergrund, eines von vielen ausgestellten Möbelstücken, natürlich Handarbeit, natürlich alt. Und wie immer die Frage im Hinterkopf: Gibt es irgendwas, das du mit deinen Händen so gut könntest?

Pappschatullen, schwarz lackiert und dann bemalt, sind russisches Traditionshandwerk – und eine der Kunstformen, die auch nach der Revolution populär blieb. Diese Dose hier ehrt Walentina Tereschkowa, die erste Frau im All und in der Sowjetunion fast so berühmt wie Juri Gagarin.

kscheib sowjetunion Walentina Tereschkowa

Dann, ein Museumszimmer weiter: Porzellan! Weil Hammer und Sichel aus Blumen einfach so viel schöner sind. Und weil doch bestimmt jeder beim Abendbrot vor einem Teller mit Lenins Gesicht und dem Slogan „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ sitzen möchte.

Mein Lieblingsstück ist aber der eckige Teller mit der Baustelle drauf. Dieser Optimismus, dass hier etwas völlig Neues entsteht, wenn alle mit anpacken – das muss man erst mal auf Geschirr unterbringen. Falls es einer auf dem Flohmarkt sieht: Ich nehme dann auch gerne direkt das ganze Service.

kscheib sowjetunion design mischa

Im Seitenflügel des Gebäudes wird es dann bunter, wir sind jetzt in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Mischa, der Bär, 1980 das Maskottchen der Olympischen Spiele in Moskau, bewacht eine Vitrine mit Spielzeug – und ja, da ist nun wirklich alles an Farbe am Start, was man sich so denken kann.

Was halt damals plötzlich ging, dank Plastik. Hinten links das Krokodil Gena mit seinem großohrigen Freund Tscheburaschka, das vorne in der Mitte könnte die sowjetische Version von Karlsson vom Dach sein. Und natürlich ein Astronaut, Verzeihung: Kosmonaut.

kscheib sowjetunion design spielzeug

Weitere Erkenntnis: Wenn das Design stimmt, können sogar Haushaltsgeräte gut aussehen. Das türkise Ding in der Mitte mag ein Staubsauger sein, aber zur entfernten Verwandschaft gehört ganz klar ein großes altes Auto, so richtig schön mit Haifischflossen.

kscheib sowjetunion design haushalt

Was noch? Modekataloge, aus denen man sich allerlei bestellen konnte. In den Zeiten vor Layoutprogrammen und Photoshop bedeutete kreatives Marketing offenbar auch schon mal, dass römische Statuen für die neue Winterkollektion ihren Kopf hinhalten mussten.

kscheib sowjetunion design wäsche

kscheib sowjetunion design mode

kscheib sowjetunion design mäntel

kscheib sowjetunion design jacken

Zum Schluss noch ein Design-Exponat mit Deutschlandbezug. Die Zeitschrift heißt, nerdiger geht es kaum, „Technische Ästhetik“ und befasst sich in dieser Ausgabe mit „Der Rolle des industriellen Designs bei der erfolgreichen Ausführung der komplexen, sozial relevanten Aufgaben bei der Gestaltung der materiellen Umgebung“ – und all das dann im Zusammenspiel zwischen UdSSR und DDR, wie das Cover ja zeigt.

kscheib sowjetunion design ddr

Das Moskauer Design-Museum hat seltsamerweise keine Adresse oder Wegbeschreibung auf seiner Website, aber es liegt an der Ulitsa Delegatskaja 3. Der Б-Bus hält fast unmittelbar vor der Tür.

Russball, Folge 25: So sieht er also aus, der russische WM-Freiwillige

Russball kscheib Suus Agnes 2 signed

Worüber man so spricht, wenn man sich mit Freunden zum Pelmeni-Kochen trifft: Ist das jetzt toll, ein Konzert im Staatlichen Kremlpalast zu sehen, oder nicht? Geschichtlich interessanter Ort – ein Plus. Plätze verdammt weit weg von der Bühne – ein Minus. Und wie stehen wir eigentlich zu dem Gebäude selbst, das da nach dem Krieg als Klotz aus Beton und Glas zwischen die ganzen historisch-schönen Kirchen auf dem Kremlgelände gesetzt wurde?

Am Freitag könnt ihr euch selber ein Bild machen. Dann findet in dem Palast zwar kein Konzert statt, dafür aber die Auslosung der WM-Gruppen. Schließlich sind es nicht mal mehr 200 Tage bis zum Anpfiff des Eröffnungsspiels.

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⚽ Zum Start darum heute ein Video. RIA Novosti hat es vor einigen Jahren veröffentlicht, als der Staatliche Kremlpalast 50 Jahre alt wurde. Als repräsentativen Ort für die Parteitage der KPdSU hatte Chruschtschow ihn damals bauen lassen. Und wenn die Kommunisten gerade nicht tagten, fanden schon damals Ballettaufführungen oder Konzerte in dem Gebäude statt.

Inzwischen sind viele Pop-Größen dort aufgetreten – Christina Aguilera, Joe Cocker, Leonard Cohen – selbst Modern Talking. Im Februar kommen Kraftwerk, und das passt dann vielleicht ja sogar ganz gut zu diesem Fremdkörper, für den selbst RIA als staatliche Nachrichtenagentur keine allzu netten Worte übrig hatte: „Ein Stück Architektur, von Offiziellen in Auftrag gegeben, für das uns unsere Nachkommen wohl kaum danken werden.“

⚽ Dass die WM-Auslosung ansteht, führt übrigens auch dazu, dass viele Medien in den Tagen davor ihre grundsätzlichen Analysen veröffentlichen: Schafft es Russland über die Gruppenphase hinaus, auch wenn der Gastgeber laut FIFA-Rangliste die schwächste Mannschaft des Turniers ist? (Eher nicht.) Welche Städte haben die interessantesten Stadien? (Moskau, St. Petersburg und Jekaterinburg.) Wie wird die russische Wirtschaft dastehen, wenn das Turnier beginnt? (Vermutlich besser als heute.) Welche Probleme müssen die Organisatoren in den Griff bekommen? (Rassismus, Hooligans, Terrorgefahr.) Wie reagiert die FIFA auf Berichte über systematisches Doping im russischen Fußball? (So gut wie gar nicht.)

Die Bestandsaufnahme der FIFA klingt naturgemäß sehr viel optimistischer. Gianni Infantino hat sich extra vor der Auslosung interviewen lassen und verspricht: Partystimmung, gute Orga, moderne Stadien, außerdem strenges Vorgehen gegen Doping und Diskriminierung. Selbst der Videobeweis hat es ins Promo-Video geschafft – dabei hat der beim Confed-Cup, dem WM-Probelauf, ja oft gehakt.

So oder so: Der 1. Dezember ist ein guter Anlass, um sich einen Überblick zu verschaffen, wo Russland ein gutes halbes Jahr vor der Weltmeisterschaft steht. Zeit dafür wird sogar während der Auslosung am Freitag sein: Das Ganze soll zwar eine Stunde dauern, von 16 Uhr bis 17 Uhr deutscher Zeit. Das eigentliche Losverfahren, wer mit wem in einer Gruppe landet, dauert laut Plan aber nur eine gute halbe Stunde. Der Rest sind Reden, Interviews, Musik – da lohnt es sich, wenn man ein bisschen Lesefutter gebookmarkt hat.

⚽  Ratko Mladic wird wegen seiner Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen – das ist nach dem Urteil aus der vergangenen Woche klar. Das Massaker von Srebrenica mit rund 8000 Todesopfern ist der bekannteste, aber bei weitem nicht der einzige Fall, wegen dem Mladic vor Gericht stand.

Am Tag nach der Urteilsverkündung spielte Zenit St. Petersburg in der Europa League gegen Vardar Skopje, und einige Zenit-Fans waren sich nicht zu fein, ein Banner mit der Aufschrift „Ratko Mladich, ein serbischer Held“ im Stadion aufzuhängen. Unterstützung für einen Mann, der tausende Menschenleben auf dem Gewissen hat. Mehr zu den Verbindungen zwischen serbischen und russischen Neonazis im Fußball kann man hier nachlesen. Die UEFA ermittelt nun wegen Rassismus – gut möglich, dass Zenit sein nächstes Spiel im leeren Stadion bestreiten muss.

⚽ Wo wir gerade beim Thema Rassismus sind: Zeit Online hat einen interessanten Text darüber, wie russische Neonazis ihre deutschen Gesinnungsgenossen in verschiedenen Kampfsportarten trainieren. Lesenswert vor allem, wenn man bedenkt, dass sich Neonazi-Szene und Hooligan-Szene ja durchaus überlappen.

⚽ Eine große Ladung Sowjet-Nostalgie, dafür keine Spur von Maskottchen oder Matrjoschkas, auch der Pokal steht nur ganz klein unten in der Ecke: Gestern hat das russische Organisationskomitee das offizielle Plakat der Fußball-Weltmeisterschaft vorgestellt und es ist, wenn ihr mich fragt, richtig gut gelungen. Retro, lässig, einprägsam und ein Tribut an den legendären sowjetischen Torwart Lew Jaschin. Ich würd’s mir aufhängen.

Foto: FIFA
Foto: FIFA

⚽ Was auch zur WM-Vorbereitung gehört: Die Ausbildung der ganzen Freiwilligen. Viele von ihnen sind Studenten, an den Unis in den Austragungsorten wurde mit viel Aufwand um Helfer geworben. Und auch dort, wo keine Spiele stattfinden, sind während der Weltmeisterschaft Freiwillige im Einsatz. 120 von ihnen werden zum Beispiel gerade in Krasnodar ausgebildet. Dort, ein paar Stunden entfernt von Sotschi, sollen einige Nationalmannschaften während des Turniers ihre Trainingsanlagen haben.

Wie diese Ausbildung der Helfer aussieht, kann man im Moment ganz gut bei Instagram verfolgen. So ganz erlaubt ist das vermutlich nicht, trotzdem posten immer wieder Teilnehmer ein paar Fotos aus ihren Schulungen. So wissen wir dank Tatjana aus Samara nun also auch, wie er so aussieht, der typische Волонтёр (Wolontjor): Lächelnd, natürlich, den Ausweis an einem Band um den Hals. In der einen Hand eine Landkarte, am anderen Handgelenk eine Uhr, damit er auch pünktlich ist. Dann noch das klingelnde Handy in der Hosentasche, den FIFA-Schriftzug auf dem Bauch, und auf der Brust irgendetwas, das der Ausbilder mit „Anti-Stress“ beschriftet hat.

То чувство, когда ты в волонтёрах и рассказывают тебе, а не ты кому-то пытаешься донести нужную информацию 😅 Алексей Мокеев сегодня провёл активный урок по городской инфраструктуре и достопримечательностям для условной группы "туристов" из Саранска 😊 . Наша команда оказалась в лидерах среди 4-х команд. Оказалось не так легко отгадать место по фотографии или составить полный маршрут от пункта А к пункту Б, по карточкам с адресами улиц) Надо заняться изучением туристического маршрута #ЧМ2018 . До урока нам рассказали много исторических нюансов о Куйбышеве и Самаре! Кто бы мог подумать, что Самара была столицей России до 1991 года 😎 . . . #СамараЖдетЧМ2018 #ЧМ2018Самара #ВолонтерыЧМ2018 #ВолонтерыСамары #ДобровольцыРоссии #МолодежьСамары #Молодежь63

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Ein Bild weiter geblättert, und der Freiwillige auf dem Plakat fängt auch noch an zu sprechen: „вежл(иво)“ und
„доброжел(ательно)“ steht dann in seiner Sprechblase, „höflich und freundlich“. Nur, was er denkt, das hat Tatjana leider nicht fotografiert.

⚽ So emsig wie bei der Ausbildung der WM-Freiwilligen in Samara scheinen sie beim Stadionbau dort übrigens nicht zu sein: Kein Stadion liege mit den Bauarbeiten so weit zurück wie das in Samara, berichtet Sport Express. Einer der Verantwortlichen lässt sich aber zitieren, man werde dennoch auch dort rechtzeitig fertig werden.

Das wirft allerdings die Frage auf: Um welchen Preis? Human Rights Watch hat gerade erst wieder darauf hingewiesen, dass die FIFA zu Menschenrechtsthemen wie der Sicherheit von Stadion-Bauarbeitern zwar gerne Papiere veröffentliche, aber nicht wirklich etwas unternehme. Wenn nun in Samara, wo die Temperaturen aller Wahrscheinlichkeit erst Ende März wieder über den Nullpunkt steigen werden, der Zeitdruck noch steigt, kann das für die Bauarbeiter dort nichts Gutes heißen.

⚽  43 Champions-League-Spiele lang musste sich Igor Akinfejew die Sprüche anhören, die Witze, die Kritik. So lange dauerte die Pechsträhne des ZSKA-Torwarts, während der er in jedem dieser Spiele mindestens ein Tor zuließ.

Dann kam, heute vor einer Woche, das Spiel gegen Benfica Lissabon – ein klares, sauberes 2:0 für die Moskauer. Aufatmen bei Akinfejew – nur die Fans müssen sich jetzt wohl ein paar neue Pointen einfallen lassen.

⚽ Eventuell habe ich an dieser Stelle schon ein- bis zwanzigmal erwähnt, wie gut die Öffentlichkeitsarbeit von Zenit St. Petersburg ist, vor allem mit Blick auf soziale Netzwerke und das Internet überhaupt. Insofern ist das hier nicht überraschend, aber trotzdem saucool: Bei Giphy gibt es jetzt eine eigene, verifizierte Seite mit Zenit-GIFs.

Die Logik dahinter ist simpel und überzeugend: GIFs sind populär, benutzen werden die Fans sie also sowieso. Also, dann doch besser die, die wir ihnen liefern, als andere, auf denen wir vielleicht nicht so gut aussehen. Aktuell schafft Zenit so mit gerade mal 51 hochgeladenen GIFs schon fast 200.000 Abrufe.

via GIPHY

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Zum Schluss noch zwei Folge-Tipps für diejenigen von euch, die bei Twitter sind: Benedikt hat nicht nur geholfen, den beschrifteten WM-Helfer zu entziffern, er spricht auch fließend Russisch und hat Ahnung von Fußball. Und meine früheren Kollegen bei der Moscow Times haben jetzt auch einen eigenen Account für Nachrichten und Service rund um die Fußball-WM – auf Englisch, also auch ohne Russisch-Kenntnisse nützlich.

Ach so, und wenn ihr bei Twitter mitverfolgen wollt, was das russischen Fernsehen aus der WM-Auslosung am Freitag macht: Ich versuche mal, das live zu twittern – zuschauen und mitreden könnt ihr dann hier. Bis dann!



 

Russball, Folge 23: Ein Rückschlag für die WM-Vorbereitung

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Mitte November und die Temperatur hier in Moskau hält sich so gerade noch im positiven Bereich: ein Grad über null. Während ich das hier tippe, sammelt sich der Schneeregen vorm Fenster in großen Pfützen. Am Wochenende soll es die ersten Minusgrade geben. Russland halt.

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⚽ Novemberfrost in Russland ist in etwa so überraschend wie die These, die Zenit-Trainer Roberto Mancini gerade in einem Interview aufgestellt hat: „Wir werden den Meistertitel holen“, sagt er mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, dessen Team die bisherige Saison so dominiert hat, dass es fast schon langweilig wurde. Dass aktuell Lokomotive Moskau knapp an der Tabellenspitze steht und Zenit nur auf Platz zwei, ist da schon eine willkommene Abwechslung.

Genervt von der aktuellen Saison in Russlands oberster Liga ist auch Alan Dsagojew, der für ZSKA Moskau spielt. Ein wirkliches Fußballspiel komme nur gegen Zenit, Spartak und Krasnodar zustande, gegen alle anderen sei es der reine Kampf, ließ er in einem Interview wissen. Nach längerem Nachdenken sei er daher zu dem Schluss gekommen: „Das hier ist die schlechteste Meisterschaft in den letzten zehn Jahren.“

⚽  Manche Leute halten ja „Never read the comments“ für die wichtigste Regel, um online nicht völlig zu verzweifeln. Beim folgenden Tweet, in dem Russlands Nationalmannschaft ihr neues Heimtrikot vorstellt, trifft das auf jeden Fall zu. Mir gefällt das Outfit eigentlich ganz gut, die Kommentare der russischen Fans dagegen rangieren von unzufrieden über frustriert bis gemein.

„Ein schlimmeres Trikot habe ich noch nie gesehen“, schreibt ein Fan, ein anderer ergänzt: „Wie das Spiel der Mannschaft, so auch das Trikot“ und fügt, um auf keinen Fall missverstanden zu werden, ein kotzendes Emoji hinzu.

Zu schlicht, zu retro, zu langweilig, das sind so die Hauptkritikpunkte – „da hatte Adidas wohl noch ein paar Stoffreste aus Sowjetzeiten rumliegen.“ Und während ein Fan mit einem Hilferuf an Adidas-Konkurrent Nike reagiert, herrscht bei anderen schon völliger Fatalismus: „Was macht es schon für einen Unterschied, in welchem Trikot man verliert?“

⚽ Wer bei der Wiedereröffnung von Moskaus Luschniki-Stadion eine Blamage für Russlands Nationalmannschaft befürchtet hatte, darf aufatmen: Kein öffentliches Abwatschen, die Gäste aus Argentinien gewannen das Freundschaftsspiel bloß mit 1:0. Blamabel war allerdings, was sich nach dem Abpfiff tat: Lange Wartezeiten, um aus dem Stadion herausgelassen zu werden. „Es ist furchtbar kalt! Weinende Kinder! Mütter und Väter ziehen ihre Kleidung den Kindern über, um sie zu wärmen,“ postete ein wartender Fan aus dem Stadion. Ein anderer Stadionbesucher kritisierte die „schreckliche Organisation am Luschniki-Ausgang: 80.000 Menschen und nur ein schmaler Durchgang. Wenn das bei der WM auch so wird, ist es eine Schande.“

Wer einmal draußen war, brauchte bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt bis zu zwei Stunden, um es in die warme Metro zu schaffen. Offenbar hatte die Polizei einige Straßen und Metro-Eingänge gesperrt, außerdem standen nicht genug Züge bereit, um die Fans abzutransportieren. Ärgerlich für die Fans, peinlich für die Organisatoren. Denn bei der WM sollen im frisch renovierten Luschniki-Stadion sowohl das Eröffnungsspiel als auch das Finale stattfinden.

⚽ Noch eine Geschichte dreht sich diese Woche um ein russisches Fußballstadion, diesmal in St. Petersburg. Die Liste der Skandale rund um das Krestowski-Stadion in Russlands „zweiter Hauptstadt“ ist lang: Verzögerungen, Kostenexplosion und Korruption schon in der Bauphase. Später dann immer wieder Lecks im Dach, durch die es reinregnete – an denen sollten, wir erinnern uns, spitze Vogelschnäbel schuld sein. Lustige These, stimmte aber dann doch eher nicht.

Ein tatsächlicher Schuldiger fand sich dagegen jetzt vor Gericht wieder. In diesem Fall ging es nicht um das undichte Dach, sondern um Korruption. Marat Oganessjan hat gestanden, als Vize-Gouverneur den Auftrag für eine Videowand im Stadion einem befreundeten Unternehmer zugeschustert zu haben – wohl wissend, dass der das Geld einstreichen würde, ohne dafür die bestellte Wand zu liefern. Aufgrund von Oganessjans Aussage sollen nun weitere Beteiligte an illegalen Deals beim Stadionbau verfolgt werden.

⚽ Nicht nur Luschniki ist renoviert worden, auch am Stadion von Dynamo Moskau wird gebaut. Eine Gruppe Sportmanagement-Studenten durfte jetzt die Baustelle besuchen, ein Reporter von Sport Express hat sich ihnen angeschlossen. Gemeinsam waren sie sowohl im Stadion als auch in den Katakomben unterwegs.

Genau genommen entsteht hier ein ganzer Sportkomplex, auch Eishockey- und Basketballspiele sollen auf dem Gelände ausgetragen werden. Dass die Besuchergruppe abends im Dunkeln unterwegs war, lässt die Bilder, die Sport Express zu der Reportage veröffentlicht hat, besonders eindrucksvoll wirken.

⚽ Ach komm, eins noch! Das ist dann aber auch das letzte Stadion in dieser Russball-Ausgabe: In Jekaterinburg haben sie ja, um Platz zu schaffen, eine Tribüne so weit verlängert, dass sie jetzt aus dem Stadion herausragt. Kommste raus, kannste reingucken. Dazu noch das aktuelle Winterwetter, und ein Hauch von Eiger-Nordwand umweht das Gebäude, in etwa so:

⚽  Schlaf schneller, Genosse, auf dein Bett wartet schon ein anderer: Studenten in mehreren russischen Städten sollen während der Sommersemesterferien aus dem Wohnheim ausziehen, damit dort Sicherheitskräfte für die Fußball-Weltmeisterschaft wohnen können. In Nischni Nowgorod, Samara, Saransk und Jekaterinburg – alles WM-Austragungsorte – haben die Unis laut Moscow Times auf Anweisung des russischen Bildungsministeriums bereits so umgeplant, dass das Semester früher endet.

Am 14. Mai sollen dann Mitglieder der Nationalgarde in die Studentenwohnheime ziehen. Russlands Studentenorganisation hat sich allerdings bereits mit einem Protestbrief an Regierungsschef Medwedjew gewandt. Schließlich bräuchten viele Studenten ihre Wohnheimzimmer, weil sie während der Semesterferien Praktika machen. Ein Zimmer auf dem freien Markt wäre für viele von ihnen zu teuer – erst recht, wenn die WM die Preise in die Höhe treibt. (Servicehinweis am Rande: Das Internationale Moskauer Filmfestival wird übrigens ebenfalls wegen der WM verlegt.)

⚽  Das war ein komisches Gefühl neulich im Russischunterricht: Sie habe ja nun „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann endlich durch, sagte meine Lehrerin, wie ich das denn fände? Hüstel, nuschel, leider nie gelesen. Es folgte eine kurze Analyse, warum sich das dringend ändern muss, wie das Werk sich zur Josephsgeschichte der Bibel verhält und wie zu Manns Gesamtwerk. Der klassische Literaturkanon ist hier in Russland immer noch sehr wichtig, wichtiger als anderswo.

Dazu passt eine Umfrage, die Bombardir.ru neulich gemacht hat: „Was lesen russische Fußballspieler“, wollte die Website wissen. Ergebnis: Sergei Ryschikow von Rubin Kasan liebt Hemingway, Rostows Wladimir Djadjun gibt „Der Letzte Mohikaner“ als Lieblingsbuch an. Auch deutschsprachige Literatur ist gut vertreten: Jewgeni Baschkirow von Krylja Sowetow Samara nennt „Mein Name sei Gantenbein“, sein Kollege Nikita Baschenow vom FSK Dolgoprudny schwört auf den „Steppenwolf“. Je länger man durch die Liste scrollt, desto ungebildeter fühlt man sich – bis man zu Sergei Parschiwljuk kommt. Der Mann ist immerhin russischer Nationalspieler, und was hat er als Lieblingsbuch angegeben? „Der Teufel trägt Prada“. Danke!

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Zum Schluss noch eine Runde Schadenfreude? Ach kommt, ihr wollt es doch auch! „Sitz gerade“, „Nimm die Füße da runter“, „Nicht kippeln“ – na, auch gerade eure Eltern im Ohr gehabt? Die von Wasiliy Utkin haben bestimmt auch versucht, ihm das alles abzugewöhnen. Alles ohne Erfolg – der Fußballkommentator von Sport FM hat sich trotzdem bei der Arbeit so richtig schön hingefläzt, gut sichtbar im Livestream. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen – und das tat es auch nicht, wie dieses Video zeigt.

Beeindruckend, wie Utkins Kollege erst noch versucht, weiter zu moderieren. Utkin selbst nahm die Sache mit einer großen Portion Selbstironie. Er twitterte den Clip, bei dem seine Adidas-Schuhe plötzlich ins Zentrum des Geschehens rücken, mit dem schlichten Kommentar: „Schuhwerbung. Teuer. #adidas“



 

Russball, Folge 22: Wir basteln uns einen Stadion-Rasen

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Echt, drei Tage in Tiflis, und du bist für Moskau komplett verdorben. Die freundlichen Menschen! Das grandiose Essen! Die fußgängertauglichen Straßen! Besonders cool an Fabrika, dem Ort, wo wir mit dem Team von Coda Story getagt haben, waren die viele Graffiti – mal schauen, vielleicht wird das noch mal ein separater Blogpost.

Eh das hier jetzt aber komplett in Richtung Georgien-Verklärung kippt, reden wir besser mal über Guram Kashia. Er spielt nicht nur für die georgische Fußball-Nationalmannschaft, sondern auch für den niederländischen Verein Vitesse Arnheim. Als sich unlängst alle Clubs der Eredivisie – also der obersten Liga in den Niederlanden – zusammentaten und ihre Kapitäne mit Regenbogen-Armbinde auflaufen ließen, sollte das ein Zeichen gegen Homophobie sein.

Für Kashia war es der Beginn massiver Anfeindungen. Georgische Fußballfans und Journalisten fordern seitdem, dass er nicht mehr für die georgische Nationalmannschaft spielen darf. Mehr zum Thema gibt es bei der Washington Post.

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⚽ Angriff ist die beste Verteidigung, das gilt auch, wenn sich die Fans daneben benehmen: Beim Europa-League-Spiel gegen Rosenborg Trondheim haben Anhänger von Zenit St. Petersburg den Gästeblock auseinandergenommen. 700 Zenit-Fans waren zu dem Spiel nach Norwegen gereist, 80 Sitze waren hinterher kaputt. Nachdem Trondheim sich bei der UEFA über den Vandalismus der russischen Gäste beschwert hatten, ging Zenit in die Offensive: 80 kaputte Sitze? Jahaaaa, aber der Gästeblock war ja auch gar nicht richtig ausgerüstet für eine Match dieser Klasse.

Da, heißt es weiter, seien schließlich spezielle, vandalismusfeste Sitze üblich. „Zenit will sich nicht der Verantwortung für von unseren Fans verursachte Schäden entziehen“, zitiert TASS aus einem Statement des Vereins. Von böser Absicht könne aber keine Rede sein: „Solche Dinge passieren, wenn die Gasttribüne nicht richtig vorbereitet ist.“ Anders gesagt: Unsere Fans sind keine Vandalen! Sie machen bloß Sitze kaputt, wenn die nicht vandalismusfest sind. (Die UEFA interessiert das übrigens nicht, sie ermittelt trotzdem.)

⚽ „Russische Nationalmannschaft wird Weltmeister im 7-gegen-7-Fußball“, schreibt Argumenty i Fakty – und ich muss erst mal recherchieren, was das ist. Das Ergebnis ist interessant und, mit Blick auf Russland, ermutigend: Bei dieser Fußball-Variante, die auf Deutsch „CP-Fußball“ heißt, treten Sportler gegeneinander an, die nach einer Hirnschädigung im Kindesalter oder nach einem Schlaganfall Probleme haben, ihre Bewegungsabläufe zu kontrollieren. Um Weltmeister zu werden, hat Russland die Nationalmannschaft von Guatemala 4:2 geschlagen.

Ein großer Fortschritt im Vergleich zu noch vor wenigen Jahrzehnten: Als Moskau 1980 die Olympischen Sommerspiele ausrichtete, weigerten sich die sowjetischen Offiziellen, auch die Paralympics zu veranstalten. Offizielle Begründung: Bei uns gibt es keine Behinderten! Auch heute ist das Thema Behinderung hier kein einfaches, aber immerhin: 2014 hat Russland in Sotschi sowohl die Olympischen als auch die Paralympischen Winterspiele ausgerichtet.

⚽ Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt. Er setzt seine Felder und den Rasen von Dynamo Moskau instand. Ja, man kann schon mal lyrische Anwandlungen bekommen bei den Motiven, die der Telegramm-Kanal „Historical Football“ so verbreitet. Dieses Motiv aus dem Frühjahr 1935 ist aber auch einfach zu schön, das muss hier einen Ehrenplatz bekommen.

Frühjahrsaussaat: Das Spielfeld im Dynamo-Stadion wird im nach dem Umbau für die Saison vorbereitet“, heißt die Bildunterschrift in der Sammlung historischer Aufnahmen auf der Internetseite des Vereins. Die lohnt ohnehin das Stöbern – auch wegen dieser Aufnahme der allerersten Dynamo-Mannschaft aus dem Jahr 1924.

⚽ Zur Halbzeit in der Premjer-Liga versucht sich Russian Football News an einer Zwischenbilanz. Leider ist das Ergebnis eher gut gemeint als gut gemacht – es sei denn, man steht auf stream of consciousness und atemlose Endlossätze. Aber gut, für den Fall, dass hier ein Hardcore-Fan von Achmat Grosny, Amkar Perm, Anschi Machatschkala oder Arsenal Tula mitliest: Hier findet ihr Teil 1 der Halbzeitbilanz.

⚽ Ein Update ist nötig, vielleicht sogar eine Korrektur zur Russball-Folge der vergangenen Woche. Dort hatte ich einen Bericht von RBK zitiert, wonach Russland rund eine Million US-Dollar bezahlt, damit Argentinien seine Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel nach Moskau schickt. Nun allerdings hat sich Witali Mutko zu Wort gemeldet, Russlands oberster Fußballfunktionär.

Russlands Fußballverband habe nichts für diese Begegnung gezahlt, zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur TASS, und hätte Mutko an dieser Stelle aufgehört, es wäre ein hartes Dementi. Doch es folgt ausführliches Lavieren über Kosten für Unterkunft, Flüge, Trainingseinrichtungen, Transfers der Gäste, es ist die Rede von „einem gewissen System an Interaktionen zwischen den Nationalmannschaften“. Will sagen: Russland hat vielleicht (noch?) nichts bezahlt für das Freundschaftsspiel. Aber wenn so eine Aufwandsentschädigung für die Anreise, Unterkunft etc. sich nun auf eine Million Dollar summiert, na dann…

Die Argentinier, das steht jedenfalls fest, sind schon mal in Moskau eingetrudelt. Und dieses Twitter-Video, bei dem sie aus einem Minibus steigen, hat bei fußballinteressierten Russen schon viel Spaß ausgelöst. Schließlich gehört das Fahren mit solchen „Marschrutkas“ zum Alltag all jener Moskauer, die nicht im unmittelbaren Zentrum der Stadt unterwegs sind.

⚽ Nur noch 217 mal schlafen, dann ist auch schon Fußball-Weltmeisterschaft. Moskaus Stadtverwaltung hat direkt mal durchgezählt, wer denn da wohl alles anreist und woher. Ergebnis: Mehr als die Hälfte aller Hotelreservierungen in Moskau während der WM kommt von Menschen aus nur drei Ländern: den USA (22 Prozent), China (16) und Mexiko (15). Insgesamt sind rund 60 Prozent der verfügbaren Hotelzimmer in Moskau bereits belegt.

Heißt das also, dass die größten Fangruppen bei der WM aus diesen drei Ländern kommen werden? Nicht zwingend. Gerade in diesen letzten Wochen des Jahres, wo wir den Resturlaub verbraten, ist uns doch allen präsent, wie leicht sich ein reserviertes Zimmer auch wieder stornieren lässt – online oft sogar bis einen Tag vor der Ankunft. Auf solche Stornierungen müssen sich Moskaus Hoteliers sicherlich einstellen. Denn auch, wenn die Fans optimistisch geplant haben – weder die USA noch China haben sich für die Weltmeisterschaft qualifiziert.

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Falls ihr übrigens auch mit der Idee spielt, zur WM im nächsten Jahr nach Russland zu kommen: Es gibt neuen Infos zu den Zügen, in denen Fans kostenlos vom einen Austragungsort zum anderen fahren dürfen. Keine ideale Lösung, wenn man nach Jekaterinburg will, aber für kurze Strecken wie Moskau – St. Petersburg durchaus machbar; erst recht, wenn man mehr Zeit als Geld hat.

Besonders empfehlen kann ich nach meinen Zugerfahrungen hier in Russland die „Lastotschka“, übersetzt „Schwalbe“ – ein Schnellzug, neu, schick und oft sogar mit WLAN. Alles weitere hier – macht’s gut und bis nächste Woche!



 

Russball, Folge 19: Würdet ihr mit dieser Frau eine WM-Unterkunft teilen?

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Wenn keiner deiner Freunde dich mehr in Moskau besuchen kommen will, dann weißt du: Es ist Herbst. Zeit, all die Restfahrten auf den zurückgebliebenen Metrotickets aufzubrauchen und statt zweimal nur noch einmal die Woche ins georgische Restaurant zu gehen. Nachsaison.

Was im Privatleben stimmt, sieht im offiziellen russischen Terminkalender allerdings ganz anders aus. Mitte November kommt die spanische Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel ins St. Petersburger Stadion – ja, genau, das mit dem Dachschaden. Und für einen noch unklaren Termin vor Jahresende hat sich auch der britische Außenminister Boris Johnson angesagt – ja, genau, der mit dem Dachschaden. Ich weiß jedenfalls, bei welchem Besuch ich lieber dabei wäre.

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⚽ Diese Fußball-Woche hat mit einer ziemlich steilen Lernkurve für mich angefangen. Aus russischen Medien war zu erfahren, dass es eine isländische Website namens „The Reykyavik Grapevine“ gibt, und dass diese wiederum weiß, wo die frisch qualifizierten Isländer während der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland wohnen wollen: Gelendschik soll Islands Fußballverband (Knattspyrnusamband Íslands. Nein, ich denk mir das nicht aus.) sich auserkoren haben, einen Ort nicht weit von Sotschi. Da war ja beim Confed-Cup die deutsche Nationalmannschaft untergebracht und liebäugelt mit der Idee, dort auch nächstes Jahr wieder zu wohnen.

Nicht nur stößt man beim Rumlesen auf „The Reykyavik Grapevine“ auf schwarzhumorige Überschriften wie „Verunglückte Schweine durften sich erst mal ausruhen, ehe sie geschlachtet wurden“. Man erfährt auch, dass das WM-Hotel zwar „nicht ganz wie Walhalla“ ist, aber immerhin von der FIFA empfohlen wird. Auf deren Seite ist das Hotel „Nadeschda“ bereits als komplett ausgebucht markiert. Schnell noch ein Blick auf den Instagram-Account des Hotels: Sowjetsoldaten. Sideboob. Die Frau mit dem blauen Haarnetz. Ich habe so viele Fragen.

⚽ Einem russischen TV-Bericht zufolge sollen neben Island und England (siehe Russball-Folge 18) noch einige weitere Teams bereits wissen, wo sie ihr WM-Quartier einrichten wollen. Russland behält selbstverständlich seinen Standort in Nowogorsk, nordwestlich von Moskau. Der Iran hat sich Kaluga, 200 Kilometer weiter südlich, ausgesucht, während Brasilien und Spanien sich wie die Isländer für die Region Krasnodar, also das Gebiet rund um Sotschi, entschieden haben sollen.

Wäret ihr ein Fußballverband und auf der Suche nach einem Quartier für euer Team, wäre übrigens das hier die Website eurer Wahl: http://tbc-russia2018.com/ – „tbc“ steht für „Team Base Camp“. Dort könnt ihr mehr als 60 mögliche Standorte anschauen, nach Regionen sortieren, nach Sonderwünschen filtern und untereinander vergleichen: Wie viele Zimmer, wie viele Sterne, wie weit vom Flughafen? Aber auch: Wie weit zum Trainingsplatz, und können Paparazzi oder neugierige Fans ihn einsehen? AirBnB für Nationalmannschaften.

⚽  Alisa ist keine Spielerfrau, hat aber trotzdem mit Fußball zu tun. Was Siri für Apple ist und Alexa für Amazon, das soll Alisa für Yandex sein, Russlands großen Technologiekonzern. Man kann die App also zum Beispiel fragen: „Alisa, wie viele Menschen leben in Moskau?“, und Alisa sagt dann „In Moskau leben 12 380 664 Menschen.“ Alles ganz einfach?

Nicht so ganz. Denn bei Fußballfragen bekommt Alisa Loyalitätsprobleme, das ist gleich mehreren Nutzern aufgefallen. „Magst du ZSKA?“, hat jemand sie gefragt – „Ich liebe ZSKA“ – „Und wer wird russischer Fußballmeister?“ – „Zenit.“ Auch auf Fragen nach Spartak antwortet Alisa mit Zenit-Parolen – Details dazu hier. Probehalber habe ich sie dann noch gefragt, ob Russland denn wohl nächstes Jahr Fußball-Weltmeister wird. Diplomatische Antwort: „Das sehen wir ja dann.“

⚽ Wie sehr Zenit St. Petersburg die Premjer-Liga dominiert, davon war hier ja schon das ein oder andere Mal die Rede. Ein Ergebnis vom vergangenen Spieltag verdeutlicht das nun noch mal ganz besonders, obwohl es auf den ersten Blick gar nicht für eine starke Zenit-Leistung spricht: Es war ein 0:1 gegen Arsenal Tula. Das ist ein Verein, den man (ganz im Gegensatz zu Zenit) eher im Mittelfeld der Tabelle findet.

Warum das Resultat trotzdem ein Beleg dafür ist, wie viel stärker Zenit im Vergleich zur Konkurrenz ist? Weil es die erste Niederlage des Vereins in der aktuellen Saison war. Zwölf Spieltage lang nur Siege oder mal ein Unentschieden, erst am 13. musste die Mannschaft sich wieder mit dem Gefühl auseinandersetzen, als Verlierer vom Platz zu gehen.

⚽  Vom Tabellenersten Zenit zum aktuellen Schlusslicht. Bloß neun Punkte hat Anschi Machatschkala in 13 Spielen gesammelt, als einzige in der Liga hat die Mannschaft aus Dagestan damit eine zweistellig negative Tordifferenz, nämlich -17. Russian Football News hat Gründe dafür gesammelt, vom abrupten Trainerwechsel nach nur sechs Spielen über weggekaufte Spieler bis hin zu Problemen bei der Chancenverwertung. Die ganze Analyse, mit allerlei bunten Diagrammen, gibt es hier. Und wer sich beim Blick auf die Überschrift „Anzhi, are you OK?“ fragt, woran die noch mal erinnert: Bitte hier ab 1:40 beim Refrain mal gut zuhören.

⚽  Zur Fußball-Weltmeisterschaft wird in Moskau das Angebot an kostenlosem WLAN weiter ausgebaut. In der Metro, im Bus, in Cafés und Restaurants gehört das schon jetzt zum Standard, nun sollen drei weitere Bereiche mit Gratis-WIFI versorgt werden: Moskaus Straßen, Kultureinrichtungen, und öffentliche Anlagen wie Universitäten und Parks.

Laut Wedomosti sind Ausschreibung und Vergabe soweit erledigt (drei separate Betreiber für die drei Bereiche, das kann noch lustig werden). Interessant ist aber vor allem die Frage, für wen und für wie lange diese Infrastruktur überhaupt sinnvoll ist. Mit den vielen WM-Gästen steige die Belastung der Mobilfunknetze, schreibt das Blatt, das Gratis-WLAN solle sie entlasten und den Fans hohe Roamingkosten ersparen. Andererseits werde nach der Weltmeisterschaft das Interesse wohl stark nachlassen, zitiert Wedomosti einen Experten: Vor allem in der Moskauer Innenstadt ist die LTE-Abdeckung gut, und mobiles Internet ist hier ohnehin billig.

⚽  Statistiken gehören zum Fußball dazu – Ballbesitz, Schüsse aufs Tor, gelbe Karten, rote Karten. Bombardir.ru hat allerdings eine kleine Kollektion eher ungewöhnlicher Daten zu Russlands oberster Fußball-Liga gesammelt. Und so halten wir hier einmal kurz inne und schicken warme Gedanken voller Mitgefühl an Eric Bicfalvi. Der Rumäne von Ural Oblast Swerdlowsk ist aktuell der meistgefoulte Spieler im russischen Premjer-Liga-Fußball. 4,1 mal pro Match muss er sich wieder aufrappeln, nachdem ihn ein Gegner umgenietet hat. In der bisherigen Spielzeit sind so schon 45 Fouls an Bicfalvi zusammengekommen.

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Zum Schluss noch eine Runde nutzloses Wissen, präsentiert von der Taschenrechner-App auf meinem Handy: Selbst wenn alle 334.252 Isländer nächsten Sommer kollektiv zur Weltmeisterschaft nach Russland reisen, dann kriegen sie gerade mal die Hälfte aller WM-Stadien voll. Wenn ihr diesen Fakt demnächst beim Fußball-Fachsimpeln mit Freunden erwähnt, dann weist sie doch gerne auch direkt auf dieses Blog und den Russball-Newsletter hin. Danke!



 

Russball, Folge 17: Wohin mit den Fans, wenn das WM-Stadion zu klein ist?

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Es war so ein guter Plan gewesen: ein Sonntag auf der Datsche, draußen Herbst, drinnen Tee und ein Laptop, um an diesem Blogpost zu schreiben. So hatte ich mir das vorgestellt, bis der Link zum „Virtuellen Museum“ von Zenit St. Petersburg dazwischen kam. Alte Fußballregelbücher, Plakate, Trophäen, Schuhe… eventuell habe ich mich da ein klein wenig festgelesen.

Immerhin, ein bisschen was habt ihr auch davon, denn sonst könnte ich nicht zu dieser Adidas-Sporttasche aus den Siebzigern verlinken. In den Jahrzehnten davor war die Ausrüstung sowjetischer Fußballer immer in der Sowjetunion hergestellt worden, dann folgte, so die Museumsmacher, eine vorsichtige Öffnung: Es gab die ersten importierten Trainingsklamotten aus Finnland. Die Tasche bekam ein Zenit-Spieler schließlich bei einem Freundschaftsspiel in Westdeutschland geschenkt – „einer der ersten Markenartikel, den unsere Mannschaft je erhalten hat.“

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⚽ „Russlands Fußball-Nationalmannschaft bekommt einen weiteren Legionär“, titelt Lenta.ru. Es geht um den Kölner Abwehrspieler Konstantin Rausch, der ja neulich schon mal bei einem Freundschaftsspiel Russland – Dynamo Moskau ran durfte. Nun hat die FIFA also abgenickt, dass Rausch auch bei offiziellen Länderspielen für Russland antreten darf.

Gemeinsam mit Roman Neustädter wird er zum Kader gehören, wenn Russland am Samstag gegen Südkorea und am Dienstag gegen den Iran spielt. Für die Leser, denen Rausch noch kein Begriff ist, reicht Lenta noch eine kurze Info nach: In der aktuellen Saison habe Rausch bisher fünfmal für Köln gespielt und sei dabei „nicht durch erfolgreiche Aktionen aufgefallen.“

⚽  Damit bei der Fußball-Weltmeisterschaft genügend Fans ins Stadion von Jekaterinburg passen, mussten die Architekten improvisieren. Die Lösung, die in diesen Tagen dort entsteht, erinnert an einen Klapptisch: Eine der Tribünen wird derzeit so weit nach oben verlängert, dass die Zuschauer de facto außerhalb des Stadions sitzen und hinein blicken in Richtung Spielfeld.

Man kann das „unglaublich“ finden wie The Sun oder Facepalm-würdig wie manche Sportjournalisten. Oder man nimmt es einfach philosophisch: „Wenn du dich einsam fühlst, dann denk einfach an die Tribüne in Jekaterinburg, die ganz alleine außerhalb des Stadions steht.“

⚽ Kleiner Service für Fans von Borussia Dortmund: Bei ESPN gibt es ein ausführliches Spielerporträt von Alexander Golowin, an dem seit dem Sommer offenbar sowohl der BVB als auch Arsenal interessiert sind. Der Mann ist 21, spielt bei ZSKA Moskau und gilt als einer der besten jungen Spieler, die Russland derzeit zu bieten hat. Drahtig und wendig ist der Mittelfeldspieler, der seit zwei Jahren auch zum Kader der Nationalmannschaft gehört. Für die WM im kommenden Jahr gilt er als gesetzt.

⚽ Allmählich läuft das hier auch an mit dem Weltmeisterschafts-Merchandising: Neulich war ich abends noch im Buchladen Dom Knigi, nach einem Geburtstagsgeschenk für den großen Bruder von Patenkind 3 suchen. Und da, zwischen den ganzen anderen Schulutensilien, lagen diese Hefte mit Zabivaka, dem WM-Maskottchen in allerlei Posen. Für 20 Rubel das Stück (30 Cent), also hab ich mal den ganzen Fünfer-Satz mitgenommen. Vielleicht ja ein Thema für einen eigenen Blogpost, wenn mir in den nächsten Tagen noch mehr Merchandising begegnet.

kscheib Russball Fußball-WM Zabivaka Maskottchen

⚽ Für einen Euro hat der Russe Alexander Grinberg 2013 den FC Marbella gekauft, der spanische Klub steckte damals tief in den roten Zahlen. Seitdem müssen dort allerdings deutlich höhere Summen geflossen sein, nicht nur in saubere Geschäfte. Denn nun hat die spanische Polizei nicht nur Vereinspräsident Grinberg, sondern gleich ein ganzes Dutzend Menschen aus seinem Umfeld festgenommen. Der Vorwurf: Geldwäsche und Zugehörigkeit zur russischen Mafia.

⚽ Gerade erst haben die Fans von Spartak Moskau ihrem Verein ein Auswärtsspiel vor leerem Gästeblock in Sevilla eingebrockt, da droht dem Verein schon neuer Ärger. Beim Spiel gegen den FC Liverpool in der vergangenen Woche gab es mehrere Vorfälle, die nun von der UEFA untersucht werden, auch Rassismusvorwürfe stehen im Raum. Letzteres gilt übrigens nicht nur für das eigentliche Champions-League-Spiel der beiden Vereine, sondern auch für die Begegnung ihrer Nachwuchsmannschaften in der Uefa Youth League.

⚽ Zugunsten von Menschen mit Kinderlähmung gab es am vergangenen Freitag ein Benefiz-Fußballspiel in der Sapsan-Arena, dem kleinen Stadion, in dem die Jugendmannschaft von Lokomotive Moskau ihre Spiele austrägt. Russlands Sportminister Pawel Kolobkow hat mitgespielt, NOK-Chef Alexander Schukow, diverse Wirtschaftsbosse. Vor allem aber war ein Mann auf dem Platz, an den sich Schalke-Fans noch gut erinnern. Und siehe da: Marcelo Bordon sieht noch haargenau so aus wie damals:

⚽ Nachdem der Ticketverkauf für die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Sommer angelaufen ist, bekommen allmählich auch die Flughafenbetreiber eine genauere Vorstellung davon, was da so auf sie zukommt. In St. Petersburg zum Beispiel hat die Leitung des Flughafens Pulkowo mal durchgerechnet und erwartet nun für 2018 ein Plus von zehn Prozent bei den Reisenden.

An Domodedowo, Moskaus größtem Flughafen, soll unterdessen die Ladenfläche fast vervierfacht werden, damit Fußballfans möglichst viel Geld in den Geschäften lassen und der Flughafenbetreiber seine Mieteinnahmen steigern kann. Aus Deutschland gibt es Flugverbindungen von Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Leipzig und München nach Domodedowo.

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Als Rausschmeißer noch ein Stück aus dem Guardian, das nur am Rande mit Russland zu tun hat: „Terrace diplomacy: when football fans get political“ gibt einen guten Überblick, welche Fans sich in letzter Zeit mit Bannern politisch positioniert haben. Spartak-Fans hatten zum Beispiel Anfang des Jahres gegen eine Hooligan-Doku der BBC protestiert, andere Banner forderten Beispielsweise die Rückgabe der Elgin Marbles an Griechenland oder kritisierten die UEFA.

Nächste Wochen schauen wir dann mal, wie sich Russland in seinen beiden Länderspielen geschlagen hat. Wem das zu lange dauert: Alle alten Russball-Folgen könnt ihr hier nachlesen.