Mein Leben als Futterlieferantin für Twitters Fake-Accounts

Im Dezember waren wir ein Wochenende in Kasan, und auf dem Flug dahin gab es bei Aeroflot ein Sandwich, das aufgeklappt so aussah:

Seit Russland kaum noch Lebensmittel aus Westeuropa ins Land lässt, ist Käse hier ein beliebtes Seufz-Thema. Dass der Tweet einiges an Resonanz fand, hat mich also eher gefreut als gewundert. Einige Replies, so um die 180 Retweets und ein paar hundert Like-Sternchen Like-Herzchen – darauf hatte es sich nach drei, vier Tagen eingependelt, dann ließ das Interesse nach. Alles ganz normal.

Dann kam Silvester, und während ich mich aufs Raclette bei den Nachbarn freute, schien das olle Käsebrot plötzlich wieder neuen Leuten zu schmecken. Es hagelte Interaktionen, innerhalb von wenigen Stunden. Ins neue Jahr ging der Tweet schon mit mehr als 200 Retweets/1000 Likes, inzwischen sind es rund 300/2000. „Irgendwer mit vielen Followern muss den weiterverbreitet haben,“ dachte ich – und lag falsch. Alle durchgeguckt, kein großer Multiplikator dabei.

Stattdessen haben die Accounts, die sich neuerdings an diesem Tweet abarbeiten, einiges gemeinsam:

– extrem wenige Follower
– extrem wenige bisherige Tweets
– keine Twitter-Bio (den Bereich, wo Nutzer etwas über sich selber schreiben)
– oft kein Profilbild, nur Twitters voreingestellten Eierkopp
– die meisten haben Frauennamen – Viktoria, Lisa, Julia, Viktoria, Lisa, Julia
– die meisten ihrer Tweets sind Retweets

Die Schlagzahl, in der diese ganzen Accounts sich an dem Aeroflot-Käsebrot abreagieren, hat mehrere Folgen. Mir spammt es die Übersicht voll, weil alle paar Minuten neue Reaktionen gemeldet werden:

käsebrot 1

Die echten Twitterer, die aus ehrlichem Interesse auf den Tweet reagiert haben, bekommen ebenfalls einen Teil dieses Reaktionsmülls ab:

Und, wichtigste Folge: Es wird ziemlich schnell offensichtlich, dass hinter diesen Twitter-Nutzern keine Menschen stecken, sondern ein Automatismus. Einer, der reihenweise Accounts anlegt und sie mit minimalem Aufwand leidlich echt aussehen lässt.

Dazu füttert er sie mit einer Handvoll unverfänglicher Tweets, die sie automatisch retweeten. Kleine Stichprobe bei den ganzen ViktoriaLisaJulias, und man findet schnell die Übereinstimmungen. Einige (etwa sie und sie) haben das hier retweetet:

Andere (zum Beispiel sie und sie) das hier:

Sogar Tweets von einem der russischen Twitter-Mitarbeiter müssen als Füllmasse herhalten. Vor allem aber besteht die Timeline dieser Hunderte von Accounts aus Retweets einer Person (der sie natürlich auch so gut wie alle folgen): Sasha Spilberg.

Sie scheint hier eine große Nummer bei Youtube zu sein, fast drei Millionen Menschen haben ihren Kanal abonniert. Bei Twitter hakt es allerdings bei Sasha noch ein wenig, erst eine halbe Million Fans. Aber da scheint ja gerade jemand dran zu arbeiten, wie diese Statistik von Twittercounter zeigt:

sasha spilberg twittercounter

Bis zum 30. Dezember stetiges, organisches Wachstum, ab dem 31. dann ein unvermittelter Sprung in die Höhe. Das ist der Tag, an dem sie begann, die automatisierte Aufmerksamkeit für meinen Käsebrot-Tweet. Offenbar hat also jemand den Vorsatz, zum neuen Jahr Sasha Spilbergs Followerzahl künstlich hochzutreiben. Schwer vorstellbar, dass das ein professionelles Social-Media-Team so plump tun würde. Ein Fan also? Oder jemand, der ihr was will? (Wie war das damals noch mal mit den Fake-Fans der FDP?)

Bei Twitter gemeldet hab ich die Fakes, bisher hieß die Rückmeldung „wir untersuchen das“. Aber wer weiß: Wenn sie schon die Fake-Accounts nicht stillegen, basteln sie ja vielleicht zumindest an einer Funktion, die solche Aktionen weniger nervig macht: „Benachrichtigungen für diesen einen Tweet abschalten.“

Blogstatistik 2013 – ihr sucht was?

Träge auf der Couch hängen und in der WordPress-Statistik rumtauchen – so ist das halt, zwischen den Jahren. Damit ihr auch was davon habt steht unten eine Auswahl der Dinge, die Menschen in Suchmaschinen eigegeben haben und damit hier im Blog gelandet sind.

WordPress listet diese Suchbegriffe nicht nur auf, es sortiert sie auch, danach, wie oft sie einen Suchenden auf kscheib.de geführt haben. Die schönsten, weil abwegigsten, stehen dabei am untersten Ende der Skala – jeder nur mit einer einzigen Suchanfrage. Wo ich ihn weiß, hab ich den Grund für den Treffer verlinkt.

Hintereinander gereiht taugen sie als moderne Lyrik – oder einfach als kleine Erinnerung daran, wie vielfältig das Leben so ist.

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  • Hoffnung und Käsebrot

    „Dein Blog verwaist“, sagt der Lieblingsbruder, „so langsam weiß ich, wo der Weihnachtstinnef herkommt„. Er sagt das, während wir Spanplatten auf einen Boden schrauben; die Sorte von Tätigkeit, bei der man gut reden kann.

    Darüber, wie es sich anfühlt, wenn man normalerweise mit Sprache hantiert und plötzlich sprachlos ist. Über das tiefstmögliche Tief, auf einen Schlag 120 Kollegen zu verlieren. Über das höchstmögliche Hoch, noch mal Tante zu werden. Darüber, dass der Januar vermutlich von jemandem entworfen wurde, der in der Drehbuchschule ein paar Mal zu oft das Wort „Fallhöhe“ gehört hat.

    Worüber schreibt man nach sowas? Vielleicht über Hoffnung. Und über Käsebrot.

    Alle paar Monate gibt es bei uns an der Journalistenschule ein Online-Seminar, für Volontäre ist es Pflicht. Tag eins und zwei lehrt ein Kollege, an Tag drei darf ich abklatschen. Darf mit Volos darüber reden, wie wir in der Redaktion Facebook nutzen, Twitter und deren kleinen Nerdbruder Google Plus. Und darf das erleben, was wir Referenten den Käsebrot-Moment getauft haben: Auf die Frage, wer einen Twitter-Account hat, sagt früher oder später ein Volo: Hab ich nicht, brauch ich auch nicht. Mir ist egal, wer sich gerade ein Käsebrot macht.

    Stimmt, es gibt bei Twitter viele überflüssige Einträge. Während dieser Blogpost entsteht, ist der letzte Tweet, in dem das Wort „Käsebrot“ vorkommt, neun Minuten her. Der davor 30 Minuten, und nein, der geht mit seiner blässliche Schrippe nicht mal als Foodporn durch.

    Der Käsebrot-Spruch im Seminar ist trotzdem kein Zeichen von Erkenntnis, sondern von Dünkel. Alte Journalistenkrankheit, auch bei jungen Journalisten. Dabei haben wir doch gerade erst beim Stichwort #aufschrei gesehen, dass Twitter auch Substanz kann, Denkanstöße sogar. Grund zum Reinschauen, Umgucken, Anrecherchieren gibt es da genug.

    Und das scheint auch die aktuelle Volo-Generation so zu sehen: Als wir 2010 mit diesem Seminar anfingen, fiel das Stichwort „Käsebrot“ meist gleich morgens am dritten Seminartag. Nach und nach wurde es später, und diesen Monat war es endlich so weit: Niemand hat das Wort „Käsebrot“ in den Mund genommen. Zum ersten Mal. Das macht Hoffnung.

    (Hinweis: Ein Teil dieses Textes stand am vergangenen Samstag so ähnlich als „Netzhaut“-Kolumne in der WAZ-Wochenendbeilage.)